Roma in Deutschland:Menschen, auf die niemand wartet

Roma in Belgrad

In Deutschland wartet niemand auf die Roma (im Bild in einer Siedlung in Belgrad) - die Hoffnungslosigkeit treibt viele dennoch aus der Heimat.

(Foto: dpa)

Sie suchen einen Job und ein besseres Leben. Aber wollen sie sich wirklich integrieren? Am 1. Januar 2014 fallen in der EU die letzten Arbeitsmarkt-Beschränkungen für Rumänen und Bulgaren. Zehntausende weitere Roma werden in Deutschland erwartet. Eine Spurensuche im Ruhrgebiet.

Von Bernd Dörries

"Wieso reden die Deutschen nicht mit mir?" Das ist die Frage, die Tolga bewegt an diesem Vormittag. Ein Teil der Antwort könnte darin liegen, dass Tolga, 16, nun zwar seit zwei Jahren in Deutschland lebt, diese Frage aber nur mittels einer Dolmetscherin stellen kann.

Der andere Teil der Antwort könnte damit zu tun haben, dass man eben nicht unbedingt auf ihn gewartet hat, hier in der Dortmunder Nordstadt, die mal rau ist, mal charmant, in der jeden Tag Menschen aus allen möglichen Ländern angespült werden, denen noch ganz schwindlig ist von diesem Land und seinen Vorschriften, Behörden, von seiner Kälte. Die ausgelaugt sind von der Konkurrenz unter den Schwächsten, die um das kämpfen, was die Gesellschaft übrig lässt an Almosen. Am Nordmarkt stehen sie, die Tagelöhner, die auf einen kleinen Job warten. Sie stehen vor dem Café Europa.

Vor zwei Jahren ist Tolga aus Plovdiv nach Dortmund gekommen, wie Tausende andere Roma. "Türkischer Herkunft" sei er, sagt Tolga. Das hat er gelernt: Ein Rom zu sein kommt nicht gut an in Deutschland. Tolga ist vor dem Hass und den Vorurteilen aus Bulgarien geflohen. Aber der Hass und die Vorurteile - sie waren auch schon da, als er in Deutschland ankam.

Morgens geht Tolga zur Schule, nachmittags geht er mit seinen Träumen spazieren. Irgendwas mit Fotografie würde er gerne machen. Eine Lehre. "Ein Diplom", dieses Wort kennt er. Eine Urkunde als Eintrittskarte zum Leben. "Es ist trotz allem besser hier als in Bulgarien", sagt Tolga. "Die Wohnungen, das Essen, das Leben."

"Die sind doch eh alle bald bei euch"

Umgekehrt stellt sich die Frage, wie schlecht sie es hatten in der alten Heimat. Immer wieder sind Politiker aus Deutschland nach Rumänien und Bulgarien gereist und haben in den Roma-Ghettos die Verantwortlichen gefragt, warum sie nichts tun gegen die Zustände dort, die fehlende Kanalisation, den Müll, die Hoffnungslosigkeit. "Warum sollten wir? Die sind doch eh alle bald bei euch", das hat Rudolf Kosthorst oft gehört auf seinen Reisen nach Osteuropa. Als "Beauftragter der Stadt Düsseldorf für Sinti und Roma" war er der erste hauptamtliche Angestellte einer deutschen Stadt, der sich ausschließlich um Sinti und Roma kümmerte, 33 Jahre lang, bis 2012, dann ging er in Ruhestand.

Kosthorst ist wieder ein gefragter Mann in diesen Tagen, städtische Wohnungsbaugesellschaften rufen ihn an und Vereine. Alle fragen: Was sollen wir machen mit der Welle an Roma, die jetzt kommen wird? Rudolf Kosthorst kann Tipps geben für den Umgang im Alltag, kann etwas zur Kultur und Mentalität der Roma sagen. Aber letztlich hat auch er kein Patentrezept, wie man Roma dazu bringt, sich zu integrieren. "Es sind gute und schlechte Menschen, wie alle anderen auch. Es ist absolut nachvollziehbar, dass sie aus dem Dreck wegwollen. Allerdings sind sie seit fast 800 Jahren auf dem Balkan nicht integriert und werden hier bei uns in einer für sie neuen Welt große Schwierigkeiten haben, es zu tun."

Exportierte Armutsproblematik

Am 1. Januar fallen die letzten Arbeitsmarkt-Beschränkungen für Bulgaren und Rumänen; die meisten, die in Deutschland arbeiten wollen, werden wohl Roma sein. Im Ruhrgebiet sind es bereits jetzt Zehntausende, weitere werden folgen. Sie dürfen zwar ein selbständiges Gewerbe anmelden und bekommen Kindergeld. Aber sich frei auf dem Arbeitsmarkt bewerben dürfen sie erst vom kommenden Jahr an. Kosthorst sagt: "Welchen Sinn macht es, dass Hunderttausende hierher nach Westeuropa kommen, für die es keine Arbeitsplätze gibt? Die Südosteuropäer exportieren ihre Armutsproblematik, und die Bundesregierung schaut einfach zu." Die Roma aus Ex-Jugoslawien, die seit Ende der Sechzigerjahre als Gastarbeiter kamen, seien heute vielfach gut integriert, weil sie sofort Arbeitsplätze hatten. Auf die, die nun kommen werden, warte niemand, sagt Kosthorst. Kommen werden sie trotzdem.

Die Städte haben sich darauf vorbereitet. Tolga steht im Keller des Dortmunder Gesundheitsamtes. Zwei Ärzte sehen hier nach Kindern wie Tolga, die keine Krankenversicherung haben, und nach den Roma-Frauen; die meisten von ihnen sprechen wenig Deutsch und tragen zur Sprechstunde ihre traditionellen Gewänder. Es geht um Schwangerschaft und darum, was man aus dem neuen Leben in Deutschland machen kann und will.

Gefahr für die soziale Balance?

Johanna Smith kümmert sich hier jeden Dienstag und Donnerstag im Auftrag der Stadt um die Roma. Eine Geschichte erzählt sie gerne, wenn wieder einmal behauptet wird, es seien nur die Ärmsten der Armen, die da kommen. Arm an Geld, arm an Bildung, arm an Zukunft und ohne den Willen, sich anzupassen. Wenn also wieder über die vielen tausend Roma diskutiert wird, die derzeit vor allem ins Ruhrgebiet strömen. "Neulich hatten wir ein Roma-Mädchen, das sechs Sprachen fließend spricht", sagt Smith. "Die will studieren und Karriere machen." Smith betreut das Projekt "Schritt-Weise", das sich in Dortmund an Roma-Familien wendet, Smith spricht lieber von "Zuwanderern aus Rumänien und Bulgarien". Letztlich sind es aber vor allem Roma aus dem bulgarischen Plovdiv, die zu Tausenden nach Dortmund übergesiedelt sind. Vor allem, weil es hier für die EU-Bürger Kindergeld und andere Transferleistungen gibt, behaupten viele. Vor allem, weil es hier eine Zukunft gebe, sagt Smith.

Am Anfang sah diese Zukunft ziemlich düster aus. Die Roma hausten in der Dortmunder Nordstadt in leer stehenden Häusern oder zu Dutzenden in kleinen Zimmern, ließen sich von Vermietern abzocken. Die Frauen verkauften ihre Körper, die Männer ihre Arbeitskraft. Es waren schlimme Zustände in der Nordstadt, die Anwohner begannen zu protestieren, sie sahen die soziale Balance des Problemstadtteils gefährdet, der doch gerade erst gefestigt zu sein schien. Die ersten Generationen der Zuwanderer, vor allem aus der Türkei, waren zu Hauseigentümern geworden, hatten in die Zukunft investiert. Die Nordstadt war auf dem Weg zu einer gewissen Gutbürgerlichkeit. Dann kam die neue Welle an Zuwanderern. "Wir sind mit einer Armut konfrontiert, die alles übersteigt, was wir bisher kennen", sagt Smith.

Also wurde das Projekt "Schritt-Weise" ins Leben gerufen, das den neuen Mitbürgern die ersten Schritte erklären soll. Den Eltern, was ein Anwalt ist und wie man die Behördengänge erledigt, den Kindern, wie man auf einem Stuhl sitzt. Man fängt manchmal bei null an, aber einen neuen Anfang wollen alle wagen. "Viele sagen, wir sind wegen unserer Kinder hier hergekommen, damit die bessere Chancen haben durch Bildung. Das Märchen, dass die an unserer Bildung nicht interessiert sind, können wir nicht bestätigen", sagt Smith. Bildung fängt mit Sprache an, das Projekt arbeitet mit Auffangklassen der Stadt zusammen, in denen die Kinder schulfähig gemacht werden sollen.

Darf man das heute noch sagen, Zigeuner?

Johanna Smith sagt, es gebe auch Erfolgsgeschichten. Aber in die Schlagzeilen kommen nur die negativen Geschichten. So wie jene aus Duisburg-Rheinhausen, wo das sogenannte Problemhochhaus steht. Dort lebten bis zu tausend Roma auf engstem Raum. Die Duisburger Stadtwerke mussten nach eigenen Angaben ein Dutzend neue Stellen schaffen, um den Müll zu beseitigen, der durch Roma anfiel, weil die ihn einfach aus dem Fenster warfen. 20 neue Müllmänner, und nur ein neuer Sozialarbeiter.

Nur ein paar Kilometer weiter, im Düsseldorfer Norden, versucht man an diesem Abend, das Problem akademisch anzugehen. Klaus-Michael Bogdal liest aus seinem Buch. "Europa erfindet die Zigeuner. Eine Geschichte von Faszination und Verachtung", heißt es, Bogdal hat damit den Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung bekommen. Der kleine Saal der Stadtteilbibliothek ist gut besucht, es gibt Wasser und Wein. Und ein bisschen "Zigeunermusik" zur Einstimmung. Und da beginnt schon die Debatte: Darf man das heute noch sagen, Zigeunermusik?

Zu solchen und ähnlichen Fragen tobt gerade ein kleiner Krieg in den Foren des Internet, auf dem Sachbuchmarkt gibt es eine erstaunliche Zahl von Bucherscheinungen, die sich mit den Sinti und Roma beschäftigen. Man kann sie ganz grob gesagt in zwei Lager verorten: Da sind die einen, die als Journalisten recherchiert haben oder aus der Praxis kommen wie der Autor und Journalist Rolf Bauerdick, der in seinem Buch "Zigeuner: Begegnungen mit einem ungeliebten Volk" von seinen zahlreiche Reisen nach Südosteuropa berichtet. Er sieht eine fatale Verquickung von Armuts- und Mentalitätsproblematik, die von Generation zu Generation weitergegeben werde, eine Abwehrhaltung gegenüber allem, was fremd erscheint.

"Gadsche", nennt man in ihrer Sprache das, was nicht-Roma ist. Auf der anderen Seite stehen Akademiker wie der Preisträger Bogdal, der sagt: "Wir reagieren in der Regel mit Abwehr, wenn wir etwas Fremdem begegnen, noch bevor dieses Gegenüber etwas getan hat, was wir als bedrohlich empfinden." Seine These: Zuerst gab es Diskriminierung und Vorurteile, dann die Armut der Roma. Er bringt Beispiele auf einer kleinen Leinwand, aus der Literatur, aus Filmen von Walt Disney. Frauen die klauen oder sexuell aufreizend wirken. Typisch Roma angeblich.

Nur die negativen Geschichten werden sichtbar

Was das nun für die Gegenwart bedeute, wird Bogdal gefragt. Welchen Rat er gebe für den Umgang mit den real existierenden Problemen, zum Beispiel in Duisburg, wo nicht wenige Roma den Nachbarn jeden Tag aufs Neue ihre Vorurteile zu bestätigen scheinen, wenn sie Gänse und Schwäne vom Teich fangen und essen, wenn sie den Müll zum Fenster hinauswerfen? "Ich rede nicht über Lebenswirklichkeit, sondern über die Darstellung in der Literatur", sagt Bogdal. Der Umgang mit Gegenwartsproblemen gehöre nicht zu seinem Berufsbild.

In der westlichen Welt ist ein ganzer akademischer Kreis entstanden, der die Geschichte der Roma erforscht. Doch zueinander findet man nicht. An dem Abend in der Stadtteilbibliothek sitzen nur sehr deutsch aussehende Menschen im Publikum. Der "Zigeuner" darf die Musik machen, nach einer Stunde Diskussion hat er genug. "Ihr sprecht andauernd über mein Volk, aber nicht mit uns", sagt Mustafa Zekirov, die Gitarre in der Hand. Es herrscht jetzt eine peinliche Stille im Saal. "Es gibt auf der ganzen Welt zwölf Millionen Roma", fährt er fort , "aber ihr seht nur die, die sich nicht integrieren wollen und nicht gebildet sind. Wir sehen aber all die anderen, die studiert haben, die ganz normale Berufe machen." Dann spielt er noch etwas Musik.

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