Fachkräfte wandern ins Ausland ab:Auf und davon

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In Deutschland fehlen 400.000 Fachkräfte, klagt die Industrie. Sie sind - wie viele junge Deutsche - im Ausland, wo mehr Einkommen und bessere Aussichten für die Karriere locken. Das wird für die deutsche Wirtschaft zum Problem.

Nina Bovensiepen

Sie sind in der Mehrzahl jung und männlich, bestens ausgebildet, häufig verheiratet, meist noch kinderlos - und sie fühlen sich im Ausland wohler als daheim. So sieht das Profil des typischen deutschen Auswanderers aus; zumindest geht es so aus einer Studie hervor, die das Forschungsinstitut Prognos am Dienstag in Berlin vorgestellt hat.

Sonnenaufgang über der Tower Bridge: London lockt nicht nur jedes Jahr Zehntausende deutsche Touristen an. Auch viele deutsche Akademiker arbeiten lieber an der Themse als am Rhein. (Foto: Foto: AP)

Spitzenkräfte gehen ...

Die Veröffentlichung der Untersuchung über das "Auswanderungsland Deutschland" fällt in eine Zeit, in der immer öfter vom Fachkräftemangel und dem sogenannten Brain Drain die Rede ist, also dem Phänomen, dass hochqualifizierte Arbeitnehmer das Land verlassen.

Ebenfalls am Dienstag schlug das Institut der deutschen Wirtschaft Alarm: 2007 hätten fast 70.000 Ingenieursstellen nicht besetzt werden können, 44 Prozent mehr als im Vorjahr. Die Firmen suchten "händeringend nach klugen Köpfen". Auch der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) warnt. "Schon jetzt fehlen in Deutschland mehr als 400.000 Fachkräfte", sagt Hauptgeschäftsführer Martin Wansleben. "Wir müssen daher alles tun, damit das Problem nicht verstärkt wird."

Laut Walther Otremba, Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, gibt es hierzulande einen "Netto-Wanderungsverlust". Die Auswanderer seien häufig die Spitzenleute, die "Crème de la Crème unserer Eliten", meint Otremba. Prognos hat nun im Auftrag des Ministeriums bei dieser Elite nachgefragt, warum sie das Land verlässt.

An der Studie nahmen gut 1400 Fach- und Führungskräfte teil, die bereits im Ausland leben. Die Befragten waren zu 84 Prozent Akademiker, und etwa 21 Prozent kommen aus einer Berufsgruppe, die neuerdings unter dem Kunstwort MINT zusammengefasst wird, das für Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik steht. Diese Berufe sind derzeit vom Fachkräftemangel besonders betroffen.

Für die Befragten waren laut Prognos vor allem die besseren Aufstiegs- und Verdienstchancen der Grund, ins Ausland zu gehen. 68 Prozent nannten dieses Motiv für ihren Schritt. Eine höhere Lebensqualität gaben knapp 39 Prozent an. Der Großteil der Auswanderer bemängelte die schlechten Karrierechancen in Deutschland und zu niedrige Einkommen. Ein Drittel der Befragten nannte zudem zu hohe Steuern und Abgaben als Grund für die Abkehr von der Heimat.

... und bereuen es nicht

Ihren Entschluss, ins Ausland zu gehen, beurteilen die Auswanderer Prognos zufolge auch im Nachhinein durchweg als positiv. 96 Prozent der Befragten seien mit ihrer Entscheidung zufrieden. Ihre eigenen Erwartungen bezüglich des beruflichen Erfolges, der Wohnsituation und anderer Lebensumstände hätten sich erfüllt. Insbesondere Haushalte mit einem monatlichen Nettoeinkommen von mehr als 3800 Euro verspürten außerdem eine deutliche steuerliche Entlastung durch die Auswanderung.

Vor allem an diesem Punkt ließe sich aus Sicht des Wirtschaftsministeriums von Michael Glos (CSU) zügig ansetzen, um der Abwanderung Einhalt zu gebieten. Vorschläge zur Senkung von Steuern und Abgaben lägen bereits vor, erinnerte Staatssekretär Otremba. Vor allem die "kalte Progression" gehöre zügig korrigiert. Dies bezeichnet den Effekt, dass bei Gehaltserhöhungen die Steuerlast auch dann steigt, wenn das Lohnplus bloß die Inflation ausgleicht und die Bürger daher gar nicht reicher geworden sind.

Otremba zufolge sollten dem öffentlichen Dienst und den Hochschulen außerdem mehr Freiheit bei den Gehältern zugestanden werden. Einrichtungen des öffentlichen Dienstes könnten sich oft keine Spezialisten leisten, etwa IT-Fachleute, weil sie diese schlicht nicht bezahlen könnten, sagte Otremba. Auch viele Hochschulen könnten beim Wettbewerb um die klügsten Köpfe häufig nicht mithalten, da sie an feste Vergütungssysteme gebunden seien.

In diesem Punkt ist die Privatwirtschaft flexibler - und hat offensichtlich bereits reagiert. Laut dem Institut der deutschen Wirtschaft verdiente ein Ingenieur 1996 - damals war von Fachkräftemangel noch keine Rede - etwa 3,6 Prozent mehr als Akademiker in anderen Berufen. 2006 waren es bereits 26 Prozent mehr. Sollte sich diese Entwicklung unter den Ausgewanderten herumsprechen, würde dies vielleicht zur Steigerung einer anderen Zahl beitragen: Laut Prognos-Studie ist nämlich für 53 Prozent der Auswanderer die Rückkehr nach Deutschland durchaus eine Option.

© SZ vom 25.06.2008/jkr - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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