CSU-Vorstoß zu Armutszuwanderung:"Wer Vorurteile bedient, schadet uns allen"

Überraschend deutlich wehrt sich der bulgarische Botschafter gegen die Debatte um Armutszuwanderung aus den EU-Beitrittsländern. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Göring-Eckardt attackiert die CSU direkt.

Berechtigte Furcht oder purer Populismus? Die CSU will Armutszuwanderung aus den EU-Beitrittsländern nach Deutschland vorbeugen. Das Wahlprogramm der Christsozialen für die Europawahl, das der Süddeutschen Zeitung im Entwurf vorliegt, ist von einer anti-europäischen Stimmung geprägt, die Partei fordert darin ein "Europa der Regionen" statt eines "europäischen Superstaates". Jetzt wehrt sich der bulgarische Botschafter mit überraschend scharfen Worten gegen die aktuelle Debatte.

Der Zeitung Die Welt sagte Radi Naidenov: "Wer Vorurteile bedient und populistisch argumentiert, schadet der europäischen Idee insgesamt und damit uns allen." Die CSU, die den Zugang zum deutschen Sozialsystem erschweren will, nannte der Diplomat dabei allerdings nicht direkt.

Mit der Öffnung des EU-Arbeitsmarkts für die beiden Länder am 1. Januar werde keine große Welle an bulgarischen Zuwanderern auf Deutschland zurollen, sagte Naidenov. Bulgarien und Rumänien hätten bei der Aufnahme in die EU 2007 alle Eintrittsvoraussetzungen erfüllt und lange Übergangsfristen von sieben Jahren akzeptiert, erklärte der Botschafter weiter. "Jetzt müssen für uns die gleichen Rechte und Pflichten gelten wie für alle anderen EU-Mitgliedsstaaten."

"Plumpe populistische Stimmungsmache"

Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt attackierte die CSU direkt. Sie warf der Partei "plumpe populistische Stimmungsmache" vor. "Die CSU ignoriert schlichtweg die Fakten", sagte die Grünen-Politikerin in Berlin. "Die allermeisten Bulgaren und Rumänen, die schon in Deutschland leben und arbeiten, stärken unsere Sozialsysteme und unsere Wirtschaft." Weiter kritisierte Göring-Eckardt: "Doch Seehofer und Co. ist der Stimmenfang am rechten Rand offensichtlich wichtiger als ein konstruktiver Umgang mit den Herausforderungen der neuen Arbeitnehmerfreizügigkeit."

Zur Europäischen Union gehöre der freie Warenverkehr genauso wie die freie Wahl der Bürger, wo sie leben und arbeiten wollten, sagte die Fraktionschefin. "Auch die CSU sollte sich darauf konzentrieren, diese Menschen mit klugen Konzepten in unsere Gesellschaft und in unseren Arbeitsmarkt zu integrieren, statt unnötig Ängste zu schüren."

Kritik an der Stimmungsmache der bayerischen Christsozialen kommt auch von der Vizevorsitzenden des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Annelie Buntenbach. Die CSU betreibe dumpfen und brandgefährlichen "Verbal-Aktionismus", sagte sie der Zeitung Neues Deutschland. "Für Horrorszenarien gibt es keinen Grund." Sie verstehe die Sorgen einzelner Kommunen. "Doch das Problem ist meist, dass dort die Beschäftigungslage insgesamt besonders problematisch ist und gleichzeitig Integrationsmaßnahmen der Sparpolitik zum Opfer gefallen sind."

Unterdessen hat das Bundesfamilienministerium in der Debatte um Armutszuwanderung aus Osteuropa einen Vorschlag der Länder für strengere Regeln beim Kindergeld verworfen. "Eine Koppelung des Kindergelds an den Schulbesuch ist aus verfassungs- und europarechtlichen Gründen nicht möglich", erklärte ein Sprecher von Familienministerin Manuela Schwesig (SPD). Dies habe die Prüfung ergeben, die das Ministerium auf Bitten der Arbeits- und Sozialminister der Länder vorgenommen habe.

Das Kindergeld diene dem Ziel, die verfassungsrechtlich gebotene Steuerfreistellung von Einkommen in Höhe des Existenzminimums eines Kindes sicherzustellen. Dies gelte nicht nur für Deutsche, sondern aufgrund europarechtlicher Regelungen auch für andere EU-Bürger.

"Wer betrügt, der fliegt"

Die CSU muss nicht nur im Mai die Europawahl, sondern vorher schon im März Kommunalwahlen bestehen. Sie spricht davon, die Zuwanderung von Armutsmigranten aus EU-Krisenregionen durch schärfere Bezugsregeln im Sozialsystem einzudämmen. Ertappte Betrüger sollten ausgewiesen und mit einer Wiedereinreisesperre belegt werden, so wie es das EU-Recht ermögliche. "Wer betrügt, der fliegt", heißt es in der Beschlussvorlage für die Klausur der CSU-Bundestagsabgeordneten Anfang Januar in Wildbad Kreuth.

CSU-Chef Horst Seehofer zeigte sich am Montag verwundert über die Kritik an seiner Partei. Deren Forderungen stünden alle im Koalitionsvertrag. "Was wir nicht wollen - das war Gegenstand unserer Wahlprogramme und ist Gegenstand der Koalitionsvereinbarung -, das ist eine Zuwanderung in die Sozialsysteme", sagte er in München.

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