Literatur zur rechten Esoterik:Schwarze Sonne

Das "Vril" ist eine geheimnisvolle männliche Urkraft, erfunden 1871 von einem britischen Autor. An seinem Beispiel zeigt der Religionswissenschaftler Julian Strube auf, wie Esoteriker und rechte Ideologen versuchen, das Unerklärliche der Wissenschaft zuzuführen.

Von Franz Viohl

Die Botschaft klingt nach einem schönen Zauber, der alle Bedürfnisse nach Sinnstiftung erfüllt: "So manches, was auf den ersten Blick jeweils für sich zu stehen scheint, ist in Wirklichkeit eine Komposition aus Bildern und Klängen des Lebens, die zum Bewußtsein der Fähigkeiten aller leiten." Sie klingt wie der Satz eines romantischen Künstlers, der seine literarischen Fähigkeiten überschätzt und doch einem erhabenen Gefühl Ausdruck verleihen will.

Dass die Menschen gleich sind in dem, wie sie die Welt erleben. Dass das Leben ein Kunstwerk sein kann. "Es wäre wichtig", heißt es weiter, "dass jeder Mann und jede Frau unter dem Schirm ein und derselben Geisteskraft zusammenfinden." Welche Geisteskraft, will man noch wissen, da springt einem unerwartet der Befehl entgegen: "Durchhalten, nachladen, weitermachen!"

Der Verfasser dieser Zeilen ist unbekannt. Sie finden sich auf der Website "causa-nostra.com". Vorzugsweise geht es darin um die Jagd nach einem Gral, um Geheimbünde oder um die "Elfe mit dem goldnen Haar". Das Ganze ist bebildert mit amateurhaft angelegten Powerpoint-Folien, die Blondinen, Ferraris oder mittelalterliche Kelche zeigen. Man könnte das alles als Spinnerei abtun und weiterklicken, wäre der "Freundeskreis Causa Nostra" nicht eine Vereinigung esoterischer Neonazis.

Einer der Autoren ist Ralf Ettl, ein im rechten Milieu geschätzter Verschwörungstheoretiker. Seine Schriften handeln vom Planeten "Sumi-Er" und vom "Herrschaftsvolk der Aldebaren", das alle "minderfähigen Rassen" auf einen anderen Planeten verbannt hat. Das Dritte Reich sei in Wahrheit nie untergegangen, sondern seine Führungselite mit Ufos in den Weltraum geflohen. Natürlich um wiederzukommen.

Diese Vorstellungen entspringen nicht nur der Einbildungskraft von ein paar Außenseitern, sondern einer langen und großen Geschichte esoterischer Literatur. Ihre Entwürfe reichen von okkulten Energien, die sich hinter den Phänomenen der Physik verbergen sollen, bis hin zu einem Atlantis der Unterwelt. Es ist das Verdienst des Heidelberger Religionswissenschaftlers Julian Strube, hier Licht ins Dunkel gebracht zu haben.

Die Verbindung von Esoterik und rechter Ideologie, zeigt Strube, reicht zurück ins 19. Jahrhundert und bildet eine eigene, weithin unterschätzte intellektuelle Tradition, die fest mit der Moderne verbunden ist, nicht zuletzt, weil Geister und unbekannte Naturkräfte so leicht miteinander zu vertauschen sind.

Der englische Schriftsteller Edward Bulwer-Lytton, bekannt durch "Die letzten Tage von Pompeji" (1834), veröffentlichte 1871 den Roman "The Coming Race" (Das kommende Geschlecht). Darin entwirft er die Gesellschaft der Vril-ya, eines Volks, das vor einer Flut fliehen musste und seitdem unter der Erde lebt. Namensgebend für dieses Volk ist das "Vril", eine geheimnisvolle, wohl männliche (lateinisch vir) Urkraft, deren Besitzer allen anderen Menschen überlegen ist. Julian Strubes Studie setzt an bei diesem "Sammelbegriff für all jene verborgenen Naturkräfte, die die Okkultisten zu ergründen versuchten".

Utopie oder Satire?

Die Vril-ya sind schlank, groß und haben ein "sphinxartiges Gesicht". Gäbe es sie wirklich, sie würden "vor Langeweile sterben", sagte Bulwer-Lytton selbst über seine Vril-ya. In einer perfekten Gesellschaft kann es nichts Neues mehr geben. Aber da war er schon zum Okkultisten erklärt und in den englischen Geheimbund der "Rosenkreuzer-Gesellschaft" aufgenommen worden. Mit seinem Buch habe der Konservative Bulwer-Lytton warnen wollen vor den Folgen moderner Technik und materialistischer Weltdeutung, erklärt Strube. Aber "The Coming Race" galt dem England des späten 19. Jahrhunderts nicht als Satire, sondern als Utopie.

Die esoterischen Vorstellungen jener Zeit, wie sie später Helena Blavatsky oder Rudolf Steiner aufgriffen, wandten sich nicht gegen die Wissenschaft, sondern waren vielmehr bestrebt, das Unerklärliche der Wissenschaft zuzuführen. Das Vril war stets konzipiert als Naturkraft, deren Beherrschung das Verständnis der Natur voraussetzte. In Bulwer-Lyttons Roman und seinen unzähligen Rezeptionen fließt das Vril zwar aus einem Stab. Ihn zu benutzen aber vermag nur, wer von der Evolution dazu ausersehen ist. Was die Esoteriker an der Moderne beklagten, war der Materialismus. Ihm setzten sie das Übersinnliche entgegen, nicht das Übernatürliche. So erklärt sich etwa die Rede von einer "natürlichen Magie".

Das Vril blieb bis weit ins 20. Jahrhundert ein beliebter Gegenstand esoterischer Spekulationen. Wesentlichen Anteil daran hatte der Theosoph William Scott Elliot, der das Vril mit Atlantis in Verbindung setzte und ihm somit eine Rezeption innerhalb der Esoterik sicherte. Auf Rudolf Steiner machte "The Coming Race" so großen Eindruck, dass er eine Neuübersetzung unter dem Titel "Vril oder Eine Menschheit der Zukunft" anfertigen ließ. Im Jahr 1923 erklärte er Bulwer-Lyttons Buch zur Pflichtlektüre für die zehnte Waldorf-Klasse.

Heute ist es das freilich nicht mehr. Aber warum ranken sich immer noch so viele Theorien um das Vril? Rechte Esoteriker redeten in den zwanziger Jahren viel von einer "Urkraft des deutschen Volkes", und die Nähe zur "friedlichen" Theosophie ist nicht zu verkennen, wenn etwa der Industrielle Fritz Klein 1929 davon spricht, die "Erkenntniswelt" sei durch eine "Erlebniswelt" zu ersetzen. Fritz Klein war Mitglied der "Reichsarbeitsgemeinschaft", die sich, in Analogie zu Bulwer-Lyttons Roman, als das "kommende Deutschland" begriff. In einer Broschüre aus dem Jahr 1930 heißt es: "Jetzt wachse das in die Menschenbrust gesäte Tatkorn wurzeltreibend zum Tat-Weltbaum!"

Hitlers "Geheimwaffe Vril"

Wieder stehen in diesem Zusammenhang Atlantis und Vril für das Erbe einer "germanischen Zivilisation". Auch Heinrich Himmler war dem Esoterischen zugetan. Auf der Wewelsburg, einer Kultstätte der SS, hatte er eine "Schwarze Sonne" im Boden anbringen lassen. Bis heute wollen Anhänger des Nationalsozialismus mindestens das Zeichen einer geheimen "esoterischen SS", wenn nicht ein Dokument der Vril-Kraft erkennen, des Treibstoffs für die "Flugscheiben", auf denen Hitler und seine Getreuen von der Erde geflohen seien.

Im Jahr 1960 setzten Louis Pauwels, ein in Paris lebender Belgier, und Jacques Bergier die ebenso abenteuerliche wie erfolgreiche Geschichte einer "Vril-Gesellschaft" in die Welt, die zum Aufstieg des Nationalsozialismus beigetragen habe. Hitler galt ihnen als vom Himmel Gesandter. Den Unterhaltungswert solcher Geschichten erkannte schließlich auch der US-Sender Discovery Channel, der 2008 eine Dokumentation mit dem Titel "Dark Fellowships: The Vril" produziert. In bester Scripted-Reality-Manier wird darin "nachgewiesen", wie Hitler dank der "Geheimwaffe Vril" an die Macht gekommen sei. Und das Buch "Geheimgesellschaften" von Jan Udo Holey, zuerst 1994 erschienen, verkaufte sich hunderttausend Mal, bis es zwei Jahre später wegen Volksverhetzung und Antisemitismus verboten wurde (das Verbot wurde 2001 aufgehoben). Auch darin geht es um den Vril-Mythos.

Es ist eine erstaunliche Geschichte, die Julian Strube hier auf streng motivgeschichtliche Weise aus dem Untergrund der Zeitgeschichte erzählt. Am meisten überrascht daran, wie groß und ungebrochen offenbar die Bereitschaft ist, sich auf solche Spekulationen einzulassen. Die Moderne hat offenbar eine Rückseite: die Modernisierung des Aberglaubens.

Julian Strube: Vril. Eine okkulte Urkraft in Theosophie und esoterischem Neonazismus. Wilhelm Fink Verlag, München 2013. 222 Seiten, 19,90 Euro.

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