Korruptionsskandal in der Türkei:Erdoğan verbündet sich mit dem Militär

Türkischer Premier Recep Tayyip Erdoğan

Der türkische Premier Recep Tayyip Erdoğan zeigt großen Aktionismus bei der Aufarbeitung der Korruptionsaffäre.

(Foto: Bloomberg)

Hunderte türkische Polizisten ließ Premier Erdoğan über Nacht feuern. Doch sein Aktionismus bei dem gewaltigen Korruptionsskandal seiner Partei geht noch deutlich weiter. Als neue Verbündete hat er sich ehemalige Feinde auserkoren.

Von Christiane Schlötzer, Istanbul

Es war die bislang wohl größte Operation gegen das, was der türkische Regierungschef Recep Tayyip Erdoğan nun den "Parallelstaat" nennt. In der Nacht zum Dienstag wurden allein in Ankara 350 Polizisten versetzt, im ganzen Land sollen es nach türkischen Medienberichten bis zu 600 Beamte sein, die ihre Jobs einbüßten.

Zahlreiche Polizeioffiziere sollen Führungspositionen in Dezernaten für Finanzverbrechen, organisierte Kriminalität, Schmuggel und Terrorismus gehabt haben. Schon im Dezember waren Hunderte Polizisten und mehrere Staatsanwälte versetzt worden, die an Korruptionsermittlungen gegen die Söhne von mehreren Ministern, Kommunalpolitiker der regierenden AKP, Unternehmer und den Chef einer Staatsbank beteiligt waren.

Teil einer "Verschwörung"

Erdoğan hat die Vorwürfe von Beginn an als Teil einer "Verschwörung" gegen seine Regierung abgewiesen. Dennoch wechselte er inzwischen fast das halbe Kabinett aus. Als Kopf der Konspiration hat der Premier den türkischen Prediger Fethullah Gülen ausgemacht, einen einstigen Unterstützer, der in den USA lebt, aber in der Türkei viele Anhänger hat. Medien, die zur Gülen-Gemeinde gehören, wie die auflagenstarke Zaman, werfen Erdoğan einen "autoritären Regierungsstil" vor.

Am vergangenen Wochenende hatte Erdoğan bei einem Frühstück mit ausgewählten türkischen Journalisten in Istanbul angekündigt, er werde gegen die "Verschwörer" vorgehen und ihre "Parallelstrukturen liquidieren". Akif Beki, ein früherer Berater des Premiers, der inzwischen für das Massenblatt Hürriyet schreibt, hatte danach den Eindruck, Pläne für eine große Operation gegen Hunderte Beamte seien so gut wie fertig.

Die Aktion galt aber offenbar nicht nur der Polizei, sondern auch dem Diplomatischen Dienst. So berichtet die Zeitung Yeni Şafak, die als Regierungssprachrohr gilt, am Dienstag von "überraschenden" Neubesetzungen der Botschafterposten in Washington und London. Das Blatt betonte, auch diese Wechsel stünden in Verbindung mit einer Neuausrichtung des Staatsapparats "nach der Operation vom 17. Dezember". An diesem Tag fanden die ersten Festnahmen in der bislang größten Korruptionsaffäre in der elfjährigen Regierungszeit der AKP statt.

Als neue Verbündete in seinem Kampf gegen die "Verschwörer" hat Erdoğan nun auf einmal das türkische Militär entdeckt - nachdem er über eine Dekade hinweg die Macht der Generäle, im Einklang mit der EU, systematisch beschnitten hat. Nun sieht Erdoğan auch Hunderte im Zuge von Putschprozessen zum Teil zu lebenslanger Haft verurteilte hohe Armeefunktionäre als "Verschwörungsopfer". Der Premier setzt sich für eine Wiederaufnahme der Verfahren gegen die ehemaligen Offiziere ein, unter ihnen Ex-Kommandeure von Luftwaffe und Marine. Auch der Generalstab hat, offenbar ermuntert durch Signale aus Ankara, eine Klage bei der dortigen Staatsanwaltschaft eingereicht.

Warnung vor Schlag gegen die Justiz

Erdoğan traf sich bereits mit dem Chef der türkischen Anwaltskammer, Metin Feyzioğlu. Der unterbreitete dabei den Vorschlag, die Urteile der Sondergerichte, die jene Offiziere verurteilten, nachträglich für ungültig erklären zu lassen, nachdem diese Gerichte ja jüngst bereits abgeschafft worden waren. Danach sollte es neue Prozesse geben. Erdoğan meinte dazu in Istanbul: "Unsere Position zu einem Wiederaufnahmeverfahren ist positiv."

Gegen ein solches Vorgehen aber gibt es selbst aus der konservativ-islamischen AKP Widerstand. Der Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses im Parlament, Ayhan Sefer Üstün, warnte vor einem Schlag gegen die Justiz. Die Ex-Offiziere würden damit alle "aus dem Gefängnis entlassen, ohne Ausnahme". Damit würden auch Leute, die einen Putsch gegen die gewählte AKP-Regierung geplant hatten, unbestraft davonkommen.

Die größte Oppositionspartei, die CHP, die gewöhnlich auf Seiten des Militärs steht, wurde von der Erdoğan-Offerte offenbar kalt erwischt. Ihr Vizechef Faruk Loğoğlu sprach von einem "Manöver". Die AKP versuche damit die "Korruptions- und Bestechungsvorwürfe vergessen zu machen".

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