Verantwortung der Bundesregierung:Deutsche Bahn, Lebenslüge der Republik

Kanzlerin Merkel und Ex-Kanzleramtsminister Pofalla

Im September 2009 war die Stimmung noch bestens: Kanzlerin Merkel und der damalige CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla steigen aus dem Rheingold-Zug nach Berlin.

(Foto: REUTERS)

Sucht die Bahn vielleicht gar keinen neuen Lobbyisten? Ist es vielleicht so, dass Pofalla für die Kanzlerin in dem Staatskonzern nach dem Rechten sehen soll? Drei Jahre nach dem geplatzten Börsengang sind die Führungsstrukturen wirr, der Investitionsstau ist atemberaubend. Schon längst hätte die Regierung den Konzern teilen sollen.

Ein Kommentar von Karl-Heinz Büschemann

Manchmal ist es gut, wenn Politiker mal wieder ein stammtischtaugliches Thema liefern. Der Plan des CDU-Spitzenmannes Ronald Pofalla, sich nach vier anstrengenden Jahren in der Bundesregierung und 20 Jahren im Bundestag auf einen mit über einer Million Euro bezahlten Posten bei der Bahn zurückzuziehen, bietet eine Gelegenheit, den Blick erneut auf dieses merkwürdige Unternehmen zu richten.

Wieso braucht die Bahn, die dem Staat gehört, einen Lobbyisten im Vorstand, um ihren Einfluss in der Politik geltend zu machen? Vielleicht ist es doch anders. Möglicherweise braucht ja die Regierung einen Verbindungsmann im Bahnvorstand, damit dort alles so läuft, wie es die Kanzlerin gerne hätte. Vielleicht ist es auch ganz primitiv und die Bahn dient dem simplen Zweck, einen verdienten Vertrauten der Kanzlerin zum Dank einen gut bezahlten Posten zuzuschieben.

Die Bahn ist ein Zwitter und eine Lebenslüge der Republik. Sie soll handeln wie ein privates Unternehmen, darf es aber nicht. Die Politiker planten vor 20 Jahren die Privatisierung. Als es soweit war, schreckten sie zurück. Der eigene Einfluss auf den Verkehrsbetrieb war ihnen wichtiger. Als Staatskonzern hat die Bahn einen Versorgungsauftrag. Doch das Management soll handeln, als führe es eine börsennotierte Gesellschaft. Im 20-köpfigen Aufsichtsrat der Bahn sitzen nur fünf Unternehmer und Manager. Politiker und Arbeitnehmervertreter stellen die Mehrheit der Kontrolleure. Die Bahn mit ihren etwa 300.000 Beschäftigten hängt zwischen den Welten. Das kann nicht gut gehen.

Über 3000 Stellwerke stammen noch aus Kaisers Zeiten

In den Leitlinien der Deutschen Bahn heißt es auch drei Jahre nach der Absage des Börsenganges im schönsten Investment-Banker-Deutsch: "Wir verfolgen die dauerhafte Steigerung unseres Unternehmenswertes, um kapitalmarktfähig zu werden und künftige Investitionen zu sichern". Das kann nichts werden, weil die faktische Kontrolle des Konzerns im Kanzleramt liegt - und nicht beim Aufsichtsrat, wie es sich in der freien Wirtschaft gehört. Die Folge der wirren Führungsstruktur sind die Ergebnisse: Es beklagen sich nicht nur verspätungsgeplagte Reisende über das Totsparen der Bahn. Auch große Ziele bleiben unerreicht. Der Anteil der Schiene am gesamten Güter- und Personenverkehr wächst trotz aller Politiker-Bekenntnisse wenig. Das Auto bleibt im Zentrum der Verkehrspolitik.

Die Eisenbahn kann kaum noch eine zeitgemäße Infrastruktur erhalten, weil sich der Staat aus der Verantwortung für die Schiene weit zurückgezogen hat. Das System von Strecken, Stellwerken oder Bahnhöfen ist einer führenden Industrienation in Europa nicht angemessen. Über 3000 Stellwerke stammen noch aus Kaisers Zeiten. Zahllose Brücken sind über 100 Jahre alt und am Ende. Der Investitionsstau der Bahn liegt bei atemberaubenden 30 Milliarden Euro. Ein echter Grund zur Sorge.

Bahnchef Rüdiger Grube braucht allein für den Erhalt der 34.000 Schienenkilometer im Jahr 4,2 Milliarden Euro. Er bekommt dafür vom Bund aber gerade einmal 2,5 Milliarden Euro. Jedes Jahr fehlen ihm 1,2 Milliarden Euro. Das Netz vergammelt bei wachsendem Verkehr. Die Bundesregierung hat in den zurückliegenden Jahren sogar noch eine Dividende von etwa einer halben Milliarde Euro von der Bahn kassiert. Eine solche Verkehrspolitik ist kurzsichtig und fahrlässig.

Es bliebe die Möglichkeit, die Bahn zu teilen

Das Berliner Modell der privatwirtschaftlichen Staatsbahn hat ausgedient. Die Bundesregierung kann sich nicht mehr drücken. Will sie eine profitorientierte Rennstreckenbahn, die attraktive Verbindungen bedient und das flache Land aus Rentabilitätsgründen abhängt? Oder besinnt sie sich auf ihren Auftrag zur technischen Grundversorgung einer Volkswirtschaft? In diesem Fall müsste sie ihre Verkehrsstrategie allerdings grundlegend ändern und zur Kenntnis nehmen, dass die jetzige Organisation der Bahn der Aufgabe nicht annähernd gewachsen ist.

Die Bundesregierung muss den Erhalt des technischen Rückgrats der Volkswirtschaft in den Vordergrund stellen und die dafür anfallenden Kosten aus dem Steuertopf bezahlen. Daran führt kein Weg vorbei. Andere Länder machen das auch. Dazu muss aber nicht die ganze Bahn mit rollendem Material und Schienen beim Staat bleiben. Es bliebe die Möglichkeit, die Bahn zu teilen. Diesen Schritt hätte die Bundesregierung schon lange tun sollen. Das Schienennetz mit Stellwerken und Bahnhöfen bleibt in staatlicher Hand, der Betrieb von Zügen und Waggons wird privatisiert. Das dient dem Wettbewerb - und die Struktur der komplizierten Bahn wäre transparenter.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: