NSU-Prozess:Zschäpe soll an 19 Stellen Benzin verschüttet haben

NSU-Prozess Angeklagte Beate Zschäpe

Die Angeklagte Beate Zschäpe am 14.01.2014 im Gerichtssaal des Oberlandesgerichts in München.

(Foto: dpa)

Wie kam es zum Brand im Versteck der Neonazigruppe NSU? Ein Gutachter schildert vor Gericht, wie die mutmaßliche Terroristin Beate Zschäpe den Unterschlupf zerstört haben soll. Unangenehm wird es bei der Frage, inwiefern der Brand eine greise Nachbarin in Lebensgefahr brachte.

Aus dem Gericht berichtet Tanjev Schultz

Manchmal gibt es im Gerichtssaal kleine wissenschaftliche Vorlesungen. Wie an einer Hochschule erklärt ein Sachverständiger dann beispielsweise, wie sich ein Brand ausbreitet. Er bringt Fotos von Experimenten mit, erläutert Fachbegriffe, stellt Hypothesen auf. Ist der Sachverständige gut, wird es mehr als nur ein lehrreicher Tag für das Publikum. Ein Angeklagter kann durch einen solchen Fachvortrag erheblich ent- oder belastet werden.

Entsprechend aufmerksam folgen an diesem Mittwoch im NSU-Prozess Beate Zschäpe und ihre Verteidiger den Ausführungen von Christian Setzensack. Der Experte des Bayerischen Landeskriminalamts hat die Überreste des NSU-Verstecks in Zwickau nach der Explosion und dem Brand begutachtet. Die Anklage wirft Zschäpe schwere Brandstiftung und versuchten Mord vor. Durch das Feuer geriet eine damals 89-jährige Nachbarin in Lebensgefahr, und zwei Handwerker, die über Zschäpes Wohnung arbeiteten, hatten das Glück, dass sie gerade nicht im Haus waren.

Der Gutachter spricht von einer denkbaren Gefährdung weiterer Personen. Durch die Explosion stürzte eine Außenwand heraus. Auf der Straße hätten Menschen von herabstürzenden Mauerteilen getroffen werden können. Die Feuerwehr war zwar schon wenige Minuten nach der Explosion angerückt, dennoch griff das Feuer bereits auf die Wohnungen im Dachgeschoss über, in denen sich zu dem Zeitpunkt allerdings niemand aufhielt. Die alte Dame, die nebenan wohnte, war dagegen akut gefährdet.

Kein Zweifel an der Brandstiftung

Die Frau wurde von Verwandten gerettet, die in der gleichen Straße lebten. Die Trennwand zur Wohnung der 89-Jährigen sei bereits rissig gewesen, sagt der Gutachter. Dadurch hätten Rauchgase eindringen können. Wäre die Explosion etwas anders verlaufen, hätte die Wand auch einstürzen können. Zschäpes Verteidiger bemühen sich allerdings herauszuarbeiten, dass das Szenario des Gutachters Setzensack nur eine mögliche Variante sei.

Der Brand in Zwickau ist für den NSU-Prozess auch deshalb so bedeutsam, weil ihn Zschäpe selbst gelegt haben soll. Bei den anderen Taten, die dem Nationalsozialistischen Untergrund zugeschrieben werden - zehn Morde und zwei Sprengstoff-Anschläge - gehen die Ankläger zwar von einem gemeinsamen Tatplan aus. Zschäpe ist deshalb als Mittäterin angeklagt. Doch ausgeführt haben sollen diese Verbrechen Zschäpes Freunde Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos.

Für den sehr anschaulich vortragenden Gutachter Setzensack besteht kein Zweifel, dass die Wohnung des Trios gezielt mit Benzin in Brand gesetzt worden ist. Einen Unfall oder eine Gasexplosion schließt er aus und begründet das vor Gericht ausführlich. In der Wohnung sind an 19 Stellen Rückstände von Benzin nachgewiesen worden, das großflächig in der Wohnung verschüttet worden ist.

Etwas mehr Benzin hätte NSU-Versteck völlig zerstört

Der Gutachter hält es für wahrscheinlich, dass der Brandstifter an der Wohnungstür das Benzin anzündete. Wie bei einer Lunte verbreitete sich dann das Feuer von Benzinlache zu Benzinlache. Zeugen haben berichtet, wie sie Zschäpe kurz nach Ausbruch des Feuers auf die Straße laufen sahen. Als sich die Angeklagte am 8. November 2011 der Polizei stellte, trug sie Socken, an denen Kriminaltechniker noch Spuren von Benzin entdeckten.

Im Hausflur, am Eingang von Zschäpes Wohnung, fanden die Ermittler einen fast leeren Zehn-Liter-Benzinkanister. Im Brandschutt wurde später noch ein weiteres Behältnis mit einem Brandmittel gefunden.

An die Wände des Gerichtssaals werden nun Fotos von den teilweise völlig ausgebrannten Zimmern geworfen. In einigen Räumen ist fast alles zerstört, in anderen noch vieles erhalten. In einem Zimmer sind von einem Bett nur noch die Sprungfedern übrig. Im Bad ist dagegen sogar die Klopapierrolle noch zu erkennen.

Der Gutachter schätzt, dass mindestens fünf und höchstens 20 Liter Benzin verteilt und entzündet wurden. Er zeigt ein Foto eines anderen Falles: Zu sehen ist ein Familienhaus, in dem 35 Liter verschüttet wurden. Durch die Explosion dort ist das Gebäude vollständig zerstört worden. Der Experte erklärt geduldig den Zusammenhang zwischen der Menge des Benzins, der Größe der "explosiven Wolke" und dem dadurch entstehenden Druck. Wäre in Zwickau etwas mehr Brandmittel benutzt worden, wäre von dem NSU-Versteck kaum etwas übrig geblieben.

Nachfragen der Verteidigung sollen Entlastung für Zschäpe bringen

Zschäpes Verteidiger stellen eine Reihe Nachfragen, mit denen sie ihre Mandantin zu entlasten suchen. Sie wollen nicht zuletzt den Vorwurf des versuchten Mordes an der Nachbarin erschüttern. So will der Anwalt Wolfgang Stahl wissen, ob es möglich gewesen wäre, dass der Brandstifter, nachdem er Benzin verschüttet hat, kurz das Haus verlässt und nach kurzer Zeit zurückkommt, um erst dann das Feuer zu legen? Die Antwort: Möglich wäre es wohl. In der Zwischenzeit, darauf wollen die Verteidiger offenbar hinaus, könnte der Brandstifter beispielsweise versucht haben, die 89-jährige Nachbarin zu warnen.

Angeblich soll Zschäpe bei der Nachbarin geklingelt haben. Sollte es so gewesen sein, so hat die alte Frau darauf aber nicht reagiert. Sie lebt jetzt in einem Seniorenheim und ist gesundheitlich nicht in der Lage, als Zeugin nach München zu kommen. Eine Vernehmung per Videoschaltung musste im Dezember nach kurzer Zeit abgebrochen werden.

Weitere Berichte auf der Themenseite zum NSU-Prozess.

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