Studie zu Zwangsarbeit von Häftlingen:Knastware aus der DDR

Mit Ikea ging die Debatte los - nun könnte sie auch Aldi, Karstadt oder Kaufhof umfassen: Einer Studie zufolge haben viel mehr Firmen Produkte gekauft, die von - teils politischen - Häftlingen in der DDR hergestellt wurden.

Von Sibylle Haas

Es war eine unheilige Allianz: Westfirmen ließen in der DDR produzieren, weil die Löhne so schön niedrig waren, und die DDR brauchte Devisen und bekam sie auf diesem Weg. Die Verbindung funktionierte gut, mitunter deshalb, weil die DDR für die Herstellung von Westware Häftlinge einsetzte.

Eine neue Studie zeigt, das Geschäft mit Produkten aus DDR-Haftanstalten war Teil des innerdeutschen Handels. Gegen harte Devisen konnte die DDR in den Achtzigerjahren Knastwaren im Wert von mindestens 200 Millionen DM jährlich absetzen, schätzt der Wissenschaftler und Autor der Studie, Tobias Wunschik. Der Historiker hat im Auftrag des Bundesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, Aktenbestände aus dem Bundesarchiv und Landesarchiv ausgewertet. Die mehr als 360 Seiten große Studie "Knastware für den Klassenfeind", über die das ARD-Politmagazin "Report Mainz" am Dienstag berichtete und die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, erscheint am 22. Januar als Buch.

Die Studie spricht von "Ausbeutung der Gefangenen" und von "Profitstreben der Unternehmen". Forscher Wunschik zieht den Schluss: In 250 ostdeutschen Betrieben waren neben sogenannten freien Arbeitern auch Häftlinge beschäftigt, darunter politische Gefangene.

Möbel, gefertigt von politischen Gefangenen

Anlass der Studie war der Fall Ikea. Der schwedische Möbelkonzern hatte 2012 eingestanden, seit dem Anfang der Achtzigerjahre vom Häftlingseinsatz für seine Möbelproduktion gewusst zu haben. Es entzündete sich eine breite öffentliche Diskussion, in der es auch um die Entschädigung vor allem der politischen Gefangenen ging. Westdeutsche Firmen schlossen damals aus, von Häftlingsarbeit in der DDR profitiert zu haben.

Doch die Studie zeigt nun das Gegenteil. Danach haben auch bundesdeutsche Firmen Möbel aus der DDR bezogen, die teilweise politische Gefangene gefertigt hatten. So seien über einen Zwischenhändler die Handelshäuser Neckermann, Quelle, Otto, Kaufhof, Horten, Hertie, Karstadt, Möbel Hess und Möbel Steinhoff mit Möbeln beliefert worden, an denen Häftlinge mitgearbeitet hatten, fand Forscher Wunschik heraus.

Allein das Versandhaus Quelle habe jährlich Waren im Wert von insgesamt 250 Millionen DM aus der DDR bezogen. Kameras stammten offenbar vom VEB Pentacon Dresden, heißt es in der Studie. Der Betrieb habe seit 1964 in der Haftanstalt Cottbus etwa 250 Häftlinge die Gehäuse der Fotoapparate stanzen lassen, die zu 80 Prozent in den Westen exportiert wurden. Quelle war bereits in den Achtzigerjahren darüber informiert, dass die Ware teilweise von politischen Gefangenen gefertigt worden war, wie Dokumente zeigen.

100 Millionen Strumpfhosen

Aus der Haftanstalt Cottbus wurden der Studie zufolge in der Ära Honecker insgesamt 200.000 Fotoapparate und aus dem Frauengefängnis Hoheneck 100 Millionen Damenstrumpfhosen in den Westen exportiert. Die Strumpfhosen wurden von Aldi, Karstadt, Hertie, Horten, Kaufhof, Kaufhalle und Woolworth verkauft. Gefangene waren außerdem an der Produktion von Fernsehern, Motorrädern und Farbfilmen (für Neckermann), Küchenherden (für Quelle) sowie Kerzen (für Schlecker) beteiligt.

Auch Werkzeugkästen und Schreibmaschinen wurden teils in Gefängnissen gefertigt und dann in den Westen geliefert. Häftlingsarbeiter produzierten außerdem zusammen mit freien Arbeitern Kupferdraht, Elektromotoren, Mähdrescher, Gussteile, Schuhe, Glasseide, Spindeln, Schaltelemente, Autoscheinwerfer sowie Motorradteile für den Westexport.

Von Januar 1982 an mussten zunächst 20, später 130 Gefangene aus Gräfentonna für den VEB Fahrzeugelektrik Ruhla arbeiten. Zehn Häftlingsarbeiter fertigten Gehäuse für Kfz-Zusatzscheinwerfer. Dieser Betriebsteil Eisenach galt als "exportintensiv" und lieferte Kfz-Scheinwerfer an den Volkswagen-Konzern. Unklar sei, ob es sich um die von Gefangenen hergestellte Produktlinie handelte, heißt es in der Studie.

Volkswagen unterstrich in einer Stellungnahme, dass das Unternehmen "jede Form der Zwangsarbeit und wissentlichen Nutzung von Zwangs- und Pflichtarbeit" ablehne. Man wisse aber nichts darüber, dass möglicherweise Gefangene in DDR-Betrieben für Lieferungen an VW mitgearbeitet hätten. Der Wissenschaftler Wunschik fand weiter heraus, dass in nahezu allen Stahlwerken der DDR Häftlinge eingesetzt wurden. Sie hätten große Konzerne in der Bundesrepublik, Österreich und der Schweiz beliefert, darunter Mannesmann, Bayer und BASF. Die Chemischen Werke Buna, in denen rund 100 Häftlinge arbeiteten, verkaufte laut Studie PVC-Folie an die Firma Otto Wolff.

Der Bundesbeauftragte für die Stasi-Unterlagen, Roland Jahn, hat Unternehmen aufgefordert, die Aufklärung der Zwangsarbeit von DDR-Häftlingen finanziell zu unterstützen. "Wichtig ist es, den Menschen, die damals als Häftlinge gearbeitet haben, gerecht zu werden", sagte Jahn der Nachrichtenagentur dpa. Wie viele Westfirmen davon profitierten, kann laut Jahn-Behörde nicht exakt gesagt werden. Dazu bedürfe es weiterer Forschung.

Charakteristisch für die Arbeit von politischen Häftlingen in DDR-Gefängnissen war, dass sie zusammen mit Kriminellen arbeiten mussten. Teilweise brachten veraltete Maschinen sie dabei in Lebensgefahr oder ruinierten ihre Gesundheit.

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