Allein im Restaurant:Nur für eine Person

Allein im Restaurant: Diesen Herrn (Szene aus der Klamauk-Komödie "Mr. Bean macht Ferien") an den Tisch einzuladen, könnte tatsächlich im Desaster enden

Diesen Herrn (Szene aus der Klamauk-Komödie "Mr. Bean macht Ferien") an den Tisch einzuladen, könnte tatsächlich im Desaster enden

(Foto: Imago Stock&People)

Schauspieler Robert Redford bittet einen Solo-Esser im Restaurant aus Mitleid an seinen Tisch. Ist das ein beispielhafter Akt der Nächstenliebe? Oder hätte er den Mann lieber in Ruhe lassen sollen? Ein Pro und Contra zum Einzelgedeck.

Von Violetta Simon und Oliver Klasen

Nicht jeder, der allein in einem Restaurant sitzt, braucht Gesellschaft. Oder gar Mitleid. Manche wollen einfach nur ihre Ruhe. Ein Plädoyer für das Alleinsein von Violetta Simon.

Der wunderbare Robert Redford, ein Vorbild an Stil, Takt und Moral (jedenfalls in seinen Filmen), hat in einem Interview mit dem Magazin Hollywood Reporter gesagt, dass der Anblick eines Fremden, der alleine esse, ihn aus der Fassung bringe. "Aus irgendeinem Grund finde ich das herzzerreißend. Ich möchte so jemanden dann am liebsten an meinen Tisch einladen." Einmal habe Redford das auch getan, bei einem Restaurantbesuch mit seinen Kindern. Da saß ein Herr allein vor seinem Essen. Also ging er hinüber und lud ihn ein, ihnen Gesellschaft zu leisten. "Das Ganze war ein Desaster", gibt der Schauspieler zu.

Jetzt mal ehrlich: Was hat Mister Redford erwartet? Ich meine, hey, der Mann ist ein Hollywoodstar! Zu so einem sagt man nicht einfach "Puh, das passt jetzt gerade gar nicht. Können Sie sich nicht mit Ihren Kindern unterhalten und mich in Frieden lassen?" Kam dem prominenten Wohltäter nicht in den Sinn, dass der Herr sich vielleicht freiwillig in dieser Situation befand? Vielleicht war der Fremde ja allein unterwegs, weil ihm seine drei pubertierenden Kinder gerade den letzten Nerv geraubt haben. Sicher, es war gut gemeint. Aber die Frage ist doch: Hätte Redford den Mann angesprochen, wenn er selbst allein gewesen wäre?

Natürlich gibt es Menschen, die einsam sind. Die alleine leben, schlafen, essen, obwohl sie es hassen. Aber das heißt nicht, dass sich jeder, der allein vor seiner Misosuppe sitzt, Begleitung wünscht, schon gar nicht irgendeine. Die Vorstellung, mit einem weltberühmten Promi und seinen drei schlecht gelaunten Kindern beim Essen Höflichkeiten auszutauschen, verursacht mir weitaus mehr Unbehagen, als die Aussicht auf ein unbehelligt genossenes Drei-Gänge-Menü.

Um alleine sein zu können, muss man es mit sich aushalten. Manche schaffen das. Andere gehen nicht einmal allein ins Kino, obwohl man ohnehin im Dunkeln sitzt und schweigt. Ob Kino, Shoppen, Sauna oder Kurztripp: Ich bin hin und wieder gern allein, gerade weil ich selten Gelegenheit dazu habe. Sollte mich jemand an seinen Tisch einladen, wäre ich im Zweifel lieber unhöflich, als meine kostbare Einsamkeit zu opfern - für Smalltalk mit Fremden.

Allein wirkt bedürftig

Für viele fühlt es sich komisch an, ohne Begleitung in einem Restaurant zu sitzen. Schon allein deshalb, weil sie es nicht gewohnt sind. Aber auch, weil es als Zeichen sozialer Inkompetenz interpretiert wird, wenn sich jemand allein an einem Ort der Geselligkeit zeigt. Zumal es in einer Gesellschaft, in der Ablenkung und Begleitung nur einen Klick weil entfernt sind, keine Notwendigkeit dafür gibt. Umso befremdlicher wirkt die Situation auf die Umgebung. Ein einsamer Mensch in einem Lokal wirkt unvollständig, geradezu amputiert. Warum bleibt so einer nicht daheim, denken manche.

Das kann man vor allem in der Kantine beobachten - eine Art Barometer für die soziale Rangordnung. Zwischen all den wuselnden, quasselnden, klappernden Kollegen sitzt da einer ganz stumm, schaut vor sich hin und konzentriert sich auf seine Mahlzeit. Auf mich wirkt so jemand wie ein Fels in der Brandung. Die meisten aber fühlen sich von Kollegen, die alleine essen, irritiert. Weil diese - bewusst oder unbewusst - Bedürftigkeit ausstrahlen. Weil ihre Anwesenheit erst durch die Gruppen um sie herum zur Einsamkeit verkommt. Und weil ihr Anblick ein Gefühl der Hilflosigkeit auslöst: Muss ich mich jetzt dazusetzen? Tue ich, als würde ich ihn nicht sehen? Ist er allein, weil er niemanden hat? Oder was stimmt nicht mit dem?

Was hier nicht stimmt? Dass wir keine Zeit mehr für uns haben. Und uns keine nehmen. Für manche ist das einsame Mittagessen oft die einzige Zeit, die sie nicht in Meetings verbringen - und damit in Gesprächen mit anderen. Die einzige Gelegenheit, zur Ruhe zu kommen und sich Gedanken zu machen. Abgesehen davon, dass man den Geschmack des Essens viel bewusster wahrnimmt - zugegeben, in einer Kantine nicht unbedingt ein schlagendes Argument. In einem Restaurant jedoch eine Zutat, die jeden Geschmacksverstärker um Längen schlägt.

Es mag edelmütig sein von Robert Redford, den Mann an seinen Tisch zu bitten. Offenbar ging er davon aus, dass dem anderen etwas fehlt, was er selbst im Überfluss hat. Doch sollte er nicht übersehen, ob nicht vielleicht gerade das Alleinsein der Luxus ist, den sich die Person in dem Moment gönnt.

Ich erinnere mich gern an die Woche auf Samos, wo ich allein in einem Lokal saß. Ich genoss den Fisch, dazu kühlen Weißwein, ließ den Blick über den Hafen schweifen. Und ich schwöre, ich bin bis heute dankbar, dass man mir meine Würde gelassen und mich an diesem Abend nicht angesprochen hat.

Redford hat recht

Essen ohne ein Gegenüber ist reduziert auf den Akt der Nahrungsaufnahme, findet Oliver Klasen. Warum Robert Redford richtig liegt und ein Mensch, der allein im Restaurant sitzt, unser Mitleid verdient.

Wenn Robert Redford mir tatsächlich gegenübergesessen hätte, damals im August, in diesem feinen Fischrestaurant an der Strandpromenade von Salerno. Wenn er tatsächlich aufgestanden, auf meinen Tisch zugegangen und mich, der ich alleine dort saß, zu sich gebeten hätte, es hätte mir gefallen. Ganz kurz nur wäre es ein bisschen peinlich geworden, weil ich die schon angeknabberte Fischplatte, die ich bestellt hatte, den Brotkorb und das halbvolle Weißweinglas hätte herüberbalancieren müssen, an den anderen Tisch, zu Redford und seiner Familie.

Wir hätten dann geredet, über italienische Küche und Kultur vielleicht, über seine neuen Filmprojekte, die Rollen, die er unbedingt noch spielen will. Ich hätte ihn gefragt, ob er Quentin Tarantinos letzten Film "Django Unchained" gut findet und danach, wie er die Bedeutung des klassischen amerikanischen Westerns für das heutige Kino einschätzt, solche Sachen.

Es wäre, jedenfalls stelle ich mir das jetzt so vor, bestimmt ein gutes Gespräch geworden. Auf jeden Fall besser als jene Lage, in der ich stattdessen war. Allein in diesem Fischrestaurant in Salerno, wo das Schlimmste war, dass der Kellner nicht einmal das zweite Gedeck abgeräumt hatte, mit dem die Tische standardmäßig bestückt waren.

Meine Bekannten, mit denen ich ein paar Tage in Rom verbracht hatte, waren schon abgereist. Ich aber wollte den Urlaub noch ein bisschen verlängern und hatte mir alles so schön vorgestellt. Und es war schön - der Strand in der Bucht von Minori, der weiße Fiat, den ich rasant durch die Serpentinen der Amalfiküste jagte und das Panorama, das überall so beeindruckend war, dass sich davon eine Postkarte drucken ließ - ja, es war schön, bis zu diesem Moment.

Umzingelt von Gruppen

Denn Redford hat recht: Es gibt kaum etwas Schlimmeres, als im Restaurant alleine essen zu müssen. Beim alltäglichen Mittagessen, in einem dieser hippen Cafés in der Innenstadt, da geht es noch einigermaßen. Da sitzen vielleicht noch andere Büro- und Businessmenschen, die alleine essen. Da kann man möglicherweise noch ein bisschen auf dem Smartphone herumspielen und so tun, als gäbe es wichtige Termine zu checken oder als lese man Le Monde diplomatique. So lässt sich kurzzeitig vergessen, dass man alleine ist.

Abends im Restaurant funktioniert das nicht. Da ist man umringt von lauter Pärchen, die sich verliebt anschauen und Gruppen, die sich angeregt unterhalten. Da ist man völlig zurückgeworfen auf sich selbst. Da hilft das Smartphone bestenfalls über die Wartezeit, bis das Essen kommt. Dann bleibt nur der Teller auf dem Tisch, man isst, oft viel zu schnell, nach zehn Minuten ist man fertig und - allein.

Es soll ja Männer geben, die nicht in der Lage sind, ohne ihre Frau einkaufen zu gehen. Weil sie jemanden brauchen, der ihnen sagt, dass eine schräg gestreifte Krawatte nicht unter ein längs gestreiftes Sakko passt. Andere Menschen suchen sich auf Online-Seiten einen Jogging-Partner. Doch beides funktioniert auch alleine. Eine einzelne Läuferin im Park sieht nie unwürdig aus. Ein einzelner Mann, der sich beim Herrenausstatter beraten lässt, auch nicht.

Doch Essen ohne ein Gegenüber ist reduziert auf den Akt der Nahrungsaufnahme, verkommen zu einer vom Körper diktierten Notwendigkeit, sämtlicher sozialer Komponenten beraubt. Darum ist es gut, dass es Menschen wie Robert Redford gibt, die sich der einsamen Esser annehmen.

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