Schnee-Kunst von Simon Beck:Bilder, auf Schnee gestapft

Sie sehen aus wie Landeplätze für Ufos: Der Brite Simon Beck erschafft riesige Bilder in den Skigebieten der französischen Alpen. Er stapft dafür stundenlang durch unberührten Schnee.

Von Titus Arnu

Wenn es frisch geschneit hat im Skigebiet Les Arcs, tauchen wenig später seltsame Muster in der Landschaft auf. Schraffierte Spiralen mit 300 Metern Durchmesser. Kubistische Kristalle, die einen zugefrorenen See fast komplett bedecken. Konzentrische Kreise in der Größe von drei Fußballplätzen. Manche der riesigen Gebilde erkennt man nur aus der Luft, andere sind von Skipisten und Sesselliften aus zu sehen. Ein bizarres Wetterphänomen? Eine Werbeaktion des Tourismusverbands? Markierungen für Ufo-Landeplätze?

Anstatt nun einen alten Märchenonkel wie Erich von Däniken zu Wort kommen zu lassen, sollte man lieber Simon Beck fragen. Der 55-jährige Brite sieht mit seinem weißen Bart und den wirren Haaren ebenfalls aus wie ein Märchenonkel, aber mit Außerirdischen hat er definitiv nichts am Hut. Der Mann ist im wörtlichen Sinne bodenständig. Er zaubert großflächige Bilder auf unberührte weiße Flächen - indem er stundenlang durch die Gegend stapft, mit Schneeschuhen an den Füßen.

"Snow Art" nennt Simon Beck sein naturnahes Hobby. Ist das eher eine künstlerische Extremsportart oder sportliche Extremkunst? "Beides", sagt Beck beim Skype-Interview mit der SZ, "es ist harte körperliche Arbeit und gleichzeitig eine neue Kunstform." Gerade hat er sein Tagwerk beendet und sitzt schwitzend vor einem Computer in einer Après-Ski-Kneipe in Les Arcs, ein Glas Bier in der Hand. Sein Gesicht ist braun gebrannt, nur um die Augen herum sind weiße Ränder von der Gletscherbrille. Die Arbeitsbedingungen seien ausgezeichnet, sagt er, in den französischen Alpen liege vergleichsweise viel Schnee, und das Wetter sei auch nicht schlecht. Um die Kunstwerke optimal fotografieren zu können - ein wichtiger Teil seiner Arbeit - muss die Sonne scheinen. Außerdem sollte es nicht zu warm sein, sonst schmilzt das Werk ziemlich schnell dahin.

Es kommt vor, dass während des Anfertigens einer Schnee-Grafik das Wetter umschlägt, dann war fast alles umsonst - Schönheit ist im Schnee besonders flüchtig. Es sei gerade das Wechselspiel zwischen den Kräften der Natur und seiner Arbeit, das er spannend finde, sagt Beck. Oft muss er feststellen, dass seine Werke innerhalb weniger Stunden verschwunden sind - weggefegt vom Wind, bedeckt von Neuschnee, planiert von Pistenraupen, zusammengeschmolzen im Föhnsturm. "So läuft das eben", sagt Beck, "der Mensch muss sich den Gesetzen der Natur beugen, wenn er unter freiem Himmel arbeitet."

Dadurch unterscheidet sich Snow-Art von der Land-Art - die Pioniere dieser Kunstform wollten erlebbare Skulpturen aus Erde und Gestein schaffen, die Landschaft nach ihren Vorstellungen umformen, notfalls mit Baggern und Dynamit. Der kalifornische Künstler Michael Heizer etwa bewegte für sein Werk "Double Negative" 240 000 Tonnen Erdreich in der Wüste von Nevada, um zwei 450 Meter lange und neun Meter tiefe Gräben auszuheben. Andere Land-Art-Künstler spielen mit den Kräften der Natur, indem sie Gras über ihre Kreationen wachsen oder Holz-Objekte in der Landschaft verwittern lassen.

So gegenständlich und tiefschürfend wirken Simon Becks Schnee-Zeichnungen nicht. Total oberflächlich sind sie aber auch nicht, man sieht den Gebilden an, wie viel Sorgfalt, Schweiß und Phantasie ihr Schöpfer dafür aufgebracht hat. Bevor er losläuft, skizziert er das Muster auf Papier. Er favorisiert geometrische Formen wie die Koch-Kurve, das Mandelbrot-Apfelmännchen oder das Sierpinski-Dreieck. Mit dem Entwurf in der Hand stapft er los, ausgerüstet mit Schneeschuhen, Stöcken und Kopfhörern - während der Arbeit hört er Musik, am liebsten Beethoven.

Bis zu zwölf Stunden arbeitet Simon Beck manchmal an einem Bild, teilweise zieht er nachts mit der Stirnlampe auf dem Kopf seine Bahnen. Die ersten zwei Stunden lang trampelt er die Grundlinien der Figur in den Schnee, und wenn dieses Gerüst fertig ist, füllt er es mit weiteren Linien, Mustern und Schraffuren aus. Freie Flächen findet er auf zugefrorenen Seen, in abgesperrten Gebieten zwischen zwei Skipisten oder neben einem Parkplatz - überall dort, wo er den Wintersportlern und Liftbetreibern nicht in die Quere kommt.

Bevor Simon Beck nach La Grave zog, um von Oktober bis April in seinem Lieblingselement zu sein, verdiente er sein Geld mit dem Erstellen von Software für Navigationsgeräte. Er wohnte in der Nähe von London und kannte die französischen Alpen nur als Skitourist. Vor neun Jahren malte er aus Spaß seine erste Figur auf einen zugefrorenen See in La Grave. Mittlerweile hat er sich ein Appartement in dem Wintersportort gekauft und ist täglich von morgens bis abends draußen. Mit seinem ursprünglichen Beruf hat Snow-Art viel zu tun: Er arbeite "wie beim Erstellen einer Landkarte, nur rückwärts", erklärt Beck.

Simon Beck hat mittlerweile mehr als 200 000 Bewunderer auf Facebook, ein Verlag ist auf ihn aufmerksam geworden und will einen Bildband mit seinen Werken herausbringen. Falls er kommerziell erfolgreich damit ist, würde er gerne eine Kamera-Drohne für Luftaufnahmen kaufen, denn das würde seine Arbeit sehr erleichtern. Nach der Vollendung eines Werks muss Beck bisher mit dem Lift nach oben fahren oder zu Fuß aufsteigen, um das Werk zu fotografieren. Manchmal ist er zu langsam, und dann ist das Bild schon wieder zerstört: "Manche Leute fahren absichtlich mit den Skiern mitten durch mein Kunstwerk." Ein Brite, der in den französischen Alpen tagelang im Kreis durch den Schnee rennt, kann auf manche Beobachter dann doch verstörend wirken, gibt Simon Beck zu: "Viele halten mich einfach für verrückt."

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