"Günther Jauch" über Sterbehilfe:"Sterben kann schwer sein"

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Wem gehört der Tod? Nur mir selbst, findet der Sterbehilfe-Befürworter Udo Reiter. Falsch, entgegnet der frühere SPD-Chef Franz Müntefering. In der SZ haben beide eine Debatte angestoßen, die bei Günther Jauch weitergeführt wird. Dabei treten Lücken in Reiters Argumentation zutage.

Eine TV-Kritik von Felicitas Kock

Angenehm zurückhaltend: Günther Jauch (Foto: dpa)

Es geht um Leben und Tod an diesem Sonntag im Gasometer in Berlin. Konkret: Um das Thema Sterbehilfe, das immer wichtiger wird in einer Zeit, in der die Medizin den Menschen so lange am Leben halten kann wie nie zuvor. Im Raum steht die Frage, wie viel Freiheit uns zusteht, wenn es ans Sterben geht. Dürfen wir entscheiden, wann der Zeitpunkt gekommen ist? Oder müssen wir den Tod als Geschick hinnehmen?

Für Udo Reiter ist die Sache klar. Der ehemalige Intendant des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) findet, dass das Recht auf Selbstbestimmung nicht nur für das Leben gelten sollte, sondern auch für den Tod. "Ich möchte allein entscheiden, wann es so weit ist", hat er Anfang Januar in einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung geschrieben. Diesen Satz wiederholt er bei Günther Jauch häufig, in verschiedenen Formulierungen zwar, aber dennoch wie ein Mantra.

Was er sagt, klingt "sehr rücksichtslos und sehr radikal", das weiß Reiter selbst. Dennoch beharrt er darauf: Warum sollten Menschen in einem freien Land den Zeitpunkt ihres Todes nicht frei wählen dürfen? Warum müssen sich jährlich 10.000 "Lebenssatte" vor Züge werfen, warum erlaubt man ihnen nicht, einen ärztlich verschriebenen "Cocktail zu nehmen"? Er selbst, sagt der 69-Jährige, der seit einem Verkehrsunfall im Jahr 1966 querschnittsgelähmt im Rollstuhl sitzt, könne sich nicht vorstellen, später einmal als Pflegefall zu enden. Als hilfloser, vielleicht dementer Patient, "als Wrack, das seine Persönlichkeit und sein Leben verloren hat".

Jauch hält sich im Hintergrund

Es sind diese Formulierungen, die Franz Müntefering so sehr beunruhigen, dass er nicht nur eine Gegenrede zu Reiters Text veröffentlicht hat, sondern sich nun auch der direkten Diskussion stellt. Müntefering hat wie Reiter seine Erfahrungen mit dem Tod gemacht, beide haben ihre Ehefrauen durch Krebserkrankungen verloren. Doch im Gegensatz zum früheren MDR-Intendanten sucht der ehemalige SPD-Chef nicht nach "Abkürzungen" in Richtung Tod, wie Günther Jauch es nennt. Er fordert stattdessen eine tiefere Auseinandersetzung mit dem Sterben.

Die Aussage Reiters, er wolle lieber sterben, als ein Pflegefall zu werden, sei ein gefährliches Argument, empört sich Müntefering. Es lege die Geringschätzung von Menschen nahe, die hilflos seien. "Niemand, so elendig er da auch liegt, sollte sich denken 'Ich bin nichts mehr wert, ich will weg, ich bin zu teuer'", sagt der 74-Jährige. Sonst sei man schnell bei Nützlichkeitserwägungen. Man dürfe alten, kranken, hilflosen Menschen nicht die Botschaft senden: Wenn du willst, kannst du doch gehen.

Auf Nachfrage des Moderators - Günther Jauch hält sich an diesem Abend im Hintergrund, stellt die richtigen Fragen zur rechten Zeit - wird Müntefering sehr persönlich. Die Möglichkeit einer Abkürzung habe bei ihm und seiner Frau nie im Raum gestanden. "Sterben kann schwer sein", sagt er und blickt nach oben. In der Zeit kurz vor dem Ende sei natürlich "mal geheult und mal gezagt" worden. Aber es sei auch eine gute Zeit gewesen, der Tod sei nun mal Teil des Lebens.

Eine Aussage, die auch Petra Bahr so unterschreiben würde. Die Kulturbeauftragte des Rates der Evangelische Kirche in Deutschland greift Udo Reiter für seine Thesen ebenfalls hart an. "Nichts scheint uns mehr zu provozieren, als nicht mehr für uns selbst sorgen zu können. Wir sind dabei, das Ideal des fitten Menschenkörpers zu entwerfen und alles andere soll dann würdelos sein", sagt die Pfarrerin. Wenn Reiter von seinem Gift-Cocktail spreche, klinge das für sie eher nach Happy Hour als nach Sterben.

70 Prozent für die Sterbehilfe

Was an der Argumentation des ehemaligen MDR-Intendanten nicht ganz zusammengeht, deckt dann aber nicht Müntefering oder Bahr auf, sondern der Neurologe und Psychiater Reinhard Lindner: Aus seinem Unwillen, im Alter zum Pflegefall zu werden, setze sich Reiter dafür ein, Menschen beim Suizid zu unterstützen. Doch die meisten der 10.000 Personen, die sich in Deutschland jedes Jahr das Leben nähmen, seien nicht schwer krank, sondern in einer Situation, aus der man ihnen eigentlich hätte heraushelfen können. Bei suizidgefährdeten Menschen seien Gespräche wichtig, Versuche, sie zu verstehen und Lösungen zu finden - und nicht das Angebot tödlicher Medikamente.

Dass die beiden Aspekte nicht vermischt werden sollten, ist auch in einer aktuellen Umfrage zu sehen, die Reiter gerne zur Argumentation heranzieht. 70 Prozent der Befragten haben sich demnach für eine ärztlich begleitete Sterbehilfe ausgesprochen. Allerdings nur dann, wenn die betroffene Person schwer erkrankt ist.

Bislang dürfen Ärzte in Deutschland keine Sterbehilfe leisten. Aktive Sterbehilfe - also etwa die Verabreichung eines tödlichen Medikaments - ist gänzlich verboten. Ihr Standesrecht verbietet Ärzten außerdem, an der "Beihilfe zum Suizid" mitzuwirken. Anderen ist das Besorgen des tödlichen Medikaments für den Todkranken erlaubt. Mehrere Organisationen haben sich daher auch in Deutschland auf die Beihilfe spezialisiert. Im Bundestag soll nach einem Vorstoß von Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) in Kürze darüber diskutiert werden, ob diese geschäftsmäßige und organisierte Sterbehilfe verboten werden soll.

Linktipp: Aktiv, passiv, indirekt - was verstehen wir eigentlich unter Sterbehilfe? Eine gute Übersicht bietet ein Artikel des Tagesspiegels.

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