Vergessene Seuchen (2):Sars, und nun?

Ein unerwarteter Erreger, ein ungeahnter Übertragungsweg: Sars zeigte der Welt, wie schwer sich die Seuchengefahr einschätzen lässt. Das lässt für die Zukunft nichts Gutes erahnen.

Berit Uhlmann

BSE, Sars, Vogel- und Schweinegrippe - alles Luftblasen, die nach einiger Zeit zerplatzen und für immer aus der Aufmerksamkeit entschwinden? Eine Serie auf sueddeutsche.de geht der Frage nach, ob die Seuchen tatsächlich ausgestanden sind. Teil 2: Ist Sars vorbei?

Am 21. Februar 2003 checkt ein chinesischer Arzt in einem Hotel in Hongkong ein. Kaum angekommen, fühlt er sich elend, legt sich ins Bett und begibt sich am nächsten Morgen in ein Krankenhaus. Auf seinen wenigen Gängen durch das Hotelgebäude steckt er mindestens 16 weitere Gäste an. Sie verbreiten die zunächst unbekannte Krankheit nicht nur in Hongkong, sondern schleppen sie innerhalb von nur zwölf Stunden nach Vietnam, Singapur und Kanada ein. Zwei Monate später sind 4000 Menschen auf mehreren Kontinenten erkrankt, nach dem noch einmal fünf Tage vergangen sind, hat die Krankheit schon 5000 Menschen im Griff. Mittlerweile trägt sie einen Namen: Schweres akutes Atemwegssyndrom, abgekürzt Sars.

Sars traf die Welt heftig und plötzlich. Gerade erst war in Europa die BSE-Welle abgeflaut, als die neue Lungenkrankheit sich in nie dagewesenem Tempo um die Welt verbreitete. Panik machte sich vor allem in Asien breit. Tourismus und Flugverkehr kamen vorübergehend zum Erliegen. Die ökonomischen Folgen, die das winzige Virus auslöste, lagen weit über denen des Tsunamis, der Weihnachten 2004 mehr als 200.000 Menschen in Südostasien tötete.

Dabei hinterließ Sars - gemessen an den Befürchtungen - eine unerwartet glimpfliche Bilanz: Rund 8000 Menschen erkrankten in 29 Ländern an der Virus-Epidemie. Jeder Zehnte starb. Schon im Sommer 2003 ebbte die Epidemie wieder ab. Seit Jahren gibt es keine neuen Fälle mehr. Es sieht aus, als sei die Seuche vorbei.

"Die Wahrscheinlichkeit, dass das Sars-Virus von 2003 noch einmal wiederkehrt, ist äußerst gering", bilanziert der Bonner Virologe Christian Drosten. Weniger leicht sei einzuschätzen, ob ein verwandtes Virus in Zukunft eine ähnliche Epidemie hervorrufen könne. Drosten identifizierte 2003 - damals noch am Hamburger Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin - den Sars-Erreger. Anders als allgemein vermutet, entdeckte er kein Influenza-, sondern ein Coronavirus als Verursacher der Epidemie. Dies war durchaus eine Überraschung, denn Coronaviren galten bis zum Ausbruch von Sars als harmlos für den Menschen, waren sie doch bis dahin nur als Verursacher banaler Erkältungskrankheiten bekannt.

Kann es also weitere Überraschungen geben? Drosten schließt nicht aus, dass Epidemien durch gefährliche Coronaviren "alle paar Jahrzehnte im Menschen oder einem seiner Zuchttiere neu entstehen könnten". Aufgrund genetischer Analysen hält er es für möglich, dass in Zukunft nicht nur Influenzaviren regelmäßig Pandemien hervorrufen, sondern auch Coronaviren.

Hinzu kommt, dass der häufigste Wirt der Coronaviren ein Tier ist, das bis dahin in der Seuchenforschung kaum beachtet wurde: die Fledermaus. Dabei bringt sie alle Voraussetzungen mit, Krankheitserreger auf den Menschen zu übertagen - und dies besser als Vögel, die als ursprüngliche Wirte von Influenzaviren schon lange im Fokus der Wissenschaft stehen.

Auf der Spur der Fledermäuse

Wie Vögel leben Fledermäuse in großen Kolonien zusammen und bieten Viren damit gute Bedingungen zu gedeihen. Wie Vögel überwinden Fledermäuse fliegend große Distanzen und begünstigen so die Verbreitung von Erregern. Doch anders als Vögel, sind Fledermäuse Säugetiere und stehen damit dem Menschen und vielen seiner Zuchttiere genetisch näher. An sie angepasste Erreger können den Sprung auf den Menschen leichter schaffen. Doch: "Während man sich in der Seuchenforschung auf die Vögel konzentrierte, hat man die fliegenden Säuger komplett vergessen", sagt Drosten.

Erst die Sars-Epidemie öffnete den Forschern die Augen. Denn es waren Fledermäuse, die das Coronavirus auf Schleichkatzen übertrugen. Chinesen, die Fleisch dieser Tiere aßen - es galt in der Region als Delikatesse - infizierten sich dann mit dem Erreger.

Dies mutet hierzulande exotisch an, doch vielleicht übertragen die Fledermäuse beim nächsten Mal den Erreger nicht auf den chinesischen Larvenroller (Paguma larvata), sondern auf ein Hausschwein in einem europäischen Stall? Schließlich gibt es auch in Europa Fledermäuse, eines ihrer größten Quartiere befindet sich nahe dem schleswig-holsteinischen Bad Segeberg; jährlich überwintern dort rund 20.000 Tiere. Tatsächlich haben Drosten und Kollegen in diesen europäischen Fledermäusen bereits Coronaviren entdeckt. Diese Viren sind dem Menschen nicht gefährlich. Doch ob das für alle in europäischen Fledermäusen lebenden Viren und für alle Zeiten gilt, ist mit Sicherheit nicht zu sagen.

Auch in Afrika sind Fledermäuse stark verbreitet, das Fleisch der Tiere wird dort gegessen - eine Tradition, die mögliche Übertragungswege für Krankheitserreger eröffnet. Afrika aber ist eine Region, die Seuchenexperten ohnehin Sorgen bereitet.

"Hätte der Sars-Erreger 2003 zufällig in einem Land mit wenig entwickeltem Gesundheitssystem etwa in Afrika Fuß gefasst, wäre seine weite Verbreitung vielleicht nicht aufzuhalten gewesen", sagt Susanne Glasmacher vom Robert-Koch-Institut. In der Rückschau macht sie für die rasche Eindämmung der Lungenkrankheit vor allem die schnelle Isolierung von Erkrankten, also "die gute alte Quarantäne" verantwortlich. Dies klappte aber nur aufgrund der halbwegs funktionierenden Gesundheits-Überwachung der betroffenen Länder.

Ein Stück weit Glück habe die Welt auch gehabt, weil sich der Sars-Erreger auf seinem Weg um die Welt offenbar abschwächte. Sogenannte Superverbreiter, wie den chinesischen Arzt, der im Hongkonger Hotel zum Ausgangspunkt der Epidemie wurde, gab es später nicht mehr. Dieser Arzt war 64 Jahre alt, er war zu einer Hochzeitsfeier nach Hongkong gekommen. Er erlebte sie nicht mehr. Er starb an Sars.

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