Schutzbunker unter der Heßstraße:Die Ruine des Kalten Krieges

Unter der Heßstraße verrottet ein Bunker, in dem 3000 Münchner einen Atomschlag überleben sollten.

Susi Wimmer

Die Schritte hallen dumpf durch den großen Raum, irgendwo tropft Wasser auf den blanken Betonboden, langsam gewöhnt sich das Auge an die Dunkelheit, die Nase an den Brandgeruch und der Körper an das Gefühl des Eingeschlossenseins. Ein verzweigtes, unterirdisches Labyrinth tut sich auf, gut 15.000 Quadratmeter groß, wie ein kleines Dorf. Mit ausgeklügeltem Belüftungssystem, Brunnenwasser und eingelagerten Lebensmitteln. Hier, in dem Bunker an der Heßstraße, hätten gut 3000 Münchner im Falle eines atomaren Zwischenfalls 14 Tage überleben können.

Schutzbunker unter der Heßstraße: Überleben im Stil der siebziger Jahre: 3000 Menschen sollten im Bunker unter der Heßstraße einen Atomschlag überstehen.

Überleben im Stil der siebziger Jahre: 3000 Menschen sollten im Bunker unter der Heßstraße einen Atomschlag überstehen.

(Foto: Foto: Robert Haas)

Heßstraße120, Oberfläche. Wolfgang Schäuble, Leitender Branddirektor und Chef der Münchner Berufsfeuerwehr, deutet mit einer Handbewegung über das 12.000 Quadratmeter große Areal: Hier, im Westen von Schwabing, befand sich bis vor etwa zehn Jahren das Zentrum für Katastrophenschutz.

Im Vordergebäude, einem 70er-Jahre-Betonklotz direkt an der Heßstraße, war das Technische Hilfswerk (THW) mit seiner Verwaltung untergebracht. Hier wurden Aus- und Weiterbildungen abgehalten, während in der rückwärtigen Großgarage alle Rettungsdienste von der Feuerwehr, über Malteser und Spezialeinheiten wie der ABC-Zug ihre Fahrzeuge untergestellt hatten. Jetzt bröckelt an allen Ecken und Enden der Putz und die Feuerwehr wartet darauf, dass der Bund das Gelände an die Stadt verkauft. Dann soll hier bis 2010 ein neues Feuerwehrzentrum mit integrierter Leitstelle, Wachen sowie Garagen und Übungsmöglichkeiten entstehen.

Musterbau für Deutschland

Am Rande des Areals, eher unscheinbar, geht es in den Untergrund. Die Tiefgarageneinfahrt ist lang, biegt um die Ecke und plötzlich ist es zappenduster. Brandgeruch beißt in der Nase. "Vandalen haben wohl den Zugang zum Bunker entdeckt und Feuer gemacht", erklärt Schäuble. Er steht in dem leergefegten Raum, niedrige Decken: eine heruntergekommene Riesengarage ohne Autos. Er deutet auf die Stützen, die von der Decke kommen. "Da konnte man die Betten einhängen", sagt er. 3000 Leute hätten man hier einschließen können, ein Quadratmeter Platz pro Kopf. Alles verschlossen, geschützt vor ABC-Kampfstoffen.

Die Ruine des Kalten Krieges

Anfang der Siebziger-Jahre wurde der Bunker an der Heßstraße gegraben. "Zu den olympischen Spielen - und vor dem Hintergrund des kalten Krieges", erzählt Wolfgang Schäuble. Der Münchner Bunker sollte ein Musterbau werden für die gesamte Bundesrepublik. Später, so plante man damals, sollten in ganz Deutschland zehn dieser überdimensionalen Schutzräume entstehen.

Jahrzehntelang wurde der Bunker "vorgehalten", wie es die Schutzexperten nennen, benutzt wurde er aber nie. Lediglich zu Übungszwecken simulierte man hier das Vorgehen im Ernstfall. Zu einem "zivilen Schadensfall" sollte es anlässlich der olympischen Spiele 1972 in München auch nicht kommen, dafür zu dem erschütternden "Olympia-Attentat", bei dem 17 Menschen ums Leben kamen.

In Friedenszeiten werden viele Bunker zu öffentlichen Tiefgaragen

"Schrott" hat irgendwer mit Kreide auf den hölzernen Fernschreiber gekritzelt. Auf dem Boden ein Blättermeer aus Vorgangformularen. Alle mit vierfachem Durchschlag in blau, grün, rot und gelb. Umgekippte Stühle, alte Lagekarten für die Warnbereiche zur Sirenenauslösung und eine große grüne Tafel, auf der mit Magnetschildchen Einsatzpläne simuliert wurden: "Das ist die Befehlszentrale des Oberbürgermeisters", erklärt Schäuble. An der Wand allerdings hängt ein Konterfei eines unbekannten jungen Mannes. Offenbar Feindbild und Zielscheibe jener Vandalen, die sich hier eingenistet und sowohl Gocha-Spiele als auch Partys veranstaltet hatten.

Insgesamt 31 Schutzanlagen gibt es noch in München, erzählt Heinz Geissel von der Branddirektion. 21 so genannter Mehrzweckanlage, die meisten im Stadtzentrum. In Friedenszeiten werden sie als öffentliche Tiefgaragen genutzt, "etwa die am Hauptbahnhof", sagt Geissel. Im Ernstfall könnten hier 3000 Menschen Unterschlupf finden.

345.000 Schutzplätze gibt es in München

Dann gibt es noch zwei kleinere Anlagen für 50 bis 299 Personen und acht Hoch- und Tiefbunker aus der Zeit des Zweiten Weltkrieges. "An der Hotterstraße zum Beispiel, direkt neben dem Wirtshaus Hundskugel, steht so ein grauer Klotz - das ist einer der Hochbunker", sagt Geissel. Insgesamt 345.000 solcher Schutzplätze seien in ganz München verteilt, hauptsächlich in der Innenstadt. Allesamt "gasdicht verschließbar".

Die Ruine des Kalten Krieges

Weiter geht es durch die verwinkelten Gänge des Betonlabyrinths. Vorbei an Tonnen von Großpackungen Klopapier der Marke "Elite-Krepp". "Zu einer autarken, 14-tägigen Versorgung gehört auch das", grinst Schäuble. Dann ein Bunkerraum mit dem Zeichen für Radioaktivität an der Türe, dahinter die Filteranlage, die die Insassen mit Frischluft versorgen sollte. Draußen, auf dem Dach der Fahrzeuggarage, ist der unscheinbare Ansaugstutzen, der die Luft ins Innere des Bunkers zieht.

Dann wird sie durch einen etwa zwei Meter hohen Sandfilter gesogen und weitere durch weitere Aktivkohle-Filter, die die ABC-Partikel herauslesen sollten. "Derart gereinigt wird die Luft dann in den Bunker eingeblasen", sagt Schäuble. Überdruckventile sollten dann dafür sorgen, dass in dem hermetisch verschlossenen Gebäude Luft wieder entweichen konnte.

Strom wird mit Hilfe von Schiffsmotoren erzeugt

Duschen gibt es und Sanitärräume sowie die Technik im zweiten Untergeschoss mit einem gut 150 Meter tiefen Brunnen, aus dem 36 Liter pro Sekunde nach oben gepumpt und aufbereitet werden sollten. Es ist zum Trinken geeignet, aber auch für Waschen und Toilettenspülung gedacht. Zur Stromerzeugung dienten Schiffsmotoren, für diese wurden rund 36.000 Liter Diesel eingelagert. "Die mussten immer wieder aufbereitet und ausgewechselt werden", erzählt Heinz Geissel.

Das alles war einmal. Mittlerweile ist das THW abgezogen, die Rettungsdienste folgten. Der Unterhalt der maroden Bausubstanz an der Heßstraße wurde zu teuer, die Betten für den Ernstfall sind längst in den Nahen Osten verkauft. Gelingt es der Stadt München, das Areal dem Bund abzukaufen, so werden hier bald Bagger und Spezialgeräte anrollen und den Bunker zerstören. Dann verschwinden der Fernschreiber, die Schiffsmotoren und die Sandfilteranlage für immer - ein Stück Geschichte und Erinnerung an die Zeiten des Kalten Krieges.

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: