Schlachtfeld von Verdun heute:"Wir sind die Müllmänner der Schlachtfelder"

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Bombenspezialisten beim Verladen von deutscher Kriegsmunition aus dem Ersten Weltkrieg in Châtelet-sur-Retourne (Archivbild) (Foto: AP)

Entlang der früheren Front bei Verdun ist die Erde immer noch mit Schwermetallen und Chemikalien verseucht. Dort, wo Gas-Granaten lagerten, gedeihen heute nur drei Pflanzenarten. Ein Besuch bei den Minenräumern, die wohl noch jahrzehntelang Blindgänger aus dem Ersten Weltkrieg entschärfen.

Von Benoît Hopquin (Le Monde)

Der Ort liegt einige Kilometer von Verdun entfernt, und er sieht aus, als hätte man ein Stück Tundra in den Osten von Frankreich verpflanzt. Nur ein paar magere Flechten und verkümmerte Moose krallen sich am Boden fest, während drumherum der Wald duftet. Die Lichtung hat einen besonderen Namen, den die Förster und Jäger, die hier seit Generation picknicken, gut kennen: Sie nennen ihn den Gas-Platz.

Nur wenige Menschen wissen allerdings noch, warum die Lichtung so heißt: Nach dem Waffenstillstand 1918 wurden Hunderttausende "Blindgänger" - Granaten, die nicht explodiert waren - von den umliegenden Schlachtfeldern hierher gebracht, wo man sie dann "neutralisierte". Gut 200.000 dieser Geschosse waren mit chemischen Kampfstoffen gefüllt, dessen trauriges Labor der Erste Weltkrieg war.

Historisches Bild aus der Hölle des Artilleriefeuers in der Schlacht von Verdun im Jahre 1916 (Foto: SCHERL)

Die Spätfolgen dieser Munitionsentsorgung kann man am Gas-Platz immer noch messen. 2004 haben drei Wissenschaftler, Tobias Bausinger und Johannes Preuss von der Universität Mainz sowie Eric Bonnaire von der französischen Waldbehörde, das Gelände untersucht.

Ihre 2007 veröffentlichte Studie ergab, dass der Boden gesättigt ist mit Schwermetallen, Kupfer, Blei und Zink, vor allem aber mit Arsen und Ammoniumperchlorat - Chemikalien, die in den Zündern der Granaten verwendet wurden. Die Arsen-Konzentration ist 1000- bis 2000-mal höher als normal.

Der Boden ist so vergiftet und sauer, dass nur drei Pflanzenarten darauf gedeihen, deren zarte Namen freilich so gar nicht zu der mörderischen Vergangenheit des Ortes passen, an dem sie wachsen: Wolliges Honiggras, Nickendes Pohlmoos und Trompetenflechte. 2005 ließen die Behörden den Gas-Platz einzäunen, seit 2012 ist der Zutritt offiziell verboten.

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Der Gas-Platz ist längst nicht das einzige Umwelterbe des Ersten Weltkriegs. Die ökologischen Hinterlassenschaften der vernichtenden Kämpfe zeigen sich an vielen Orten entlang der alten Frontlinie in Frankreich und Belgien. Nach dem Kriegsende steckten die Behörden eine rote Zone ab, welche die Hauptkriegsschauplätze umfasste.

Der französische Staat kaufte die am stärksten betroffenen Gebiete auf, pflanzte dort Wälder - und kümmerte sich nicht weiter darum. Alle anderen Kampfgebiete wurden nach und nach wieder bepflanzt oder bebaut, von Leuten, die sich der Risiken nicht bewusst waren. "Es herrscht eine allgemeine Amnesie, seit einhundert Jahren", sagt Jacky Bonnemains von der Umweltgruppe Robin des Bois.

Bonnemains leistet an der früheren Front bereits seit 14 Jahren Kärrnerarbeit. Noch immer vergifteten die Waffen des Weltkriegs die Menschen, sagt er. Das Arsen hat inzwischen das Grundwasser erreicht, die Böden sind voller Blei aus den Schrappnellgeschossen.

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Auch andere langlebige und giftige Stoffe wie Quecksilber werden die Umwelt noch viele Jahre belasten, vielleicht für immer. Das sei ein "moralischer Bankrott", sagt Bonnemains. "Franzosen, Engländer und Deutsche haben die Chemiewaffen erfunden, und heute interessieren sie sich nicht mehr dafür."

Mit Umweltproblemen werden die Bewohner der ehemaligen Frontgebiete regelmäßig konfrontiert. Wegen erhöhter Ammoniumperchlorat-Werte wurde im Jahr 2012 das Trinkwasser in 500 nordfranzösischen Gemeinden gesperrt, in 400 von ihnen gibt es noch immer Einschränkungen.

Die Behörden äußern sich nur vage über den Grund der Verschmutzung, aber die betroffenen Orte liegen genau dort, wo die schlimmsten Schlachten tobten. Für die Bürgermeister der Gemeinden jedenfalls gibt es keine Zweifel, was die Ursache ist.

Etwa 15 Prozent der Milliarden von Granaten, die im Ersten Weltkrieg verschossen wurden, explodierten nicht. Zum Teil stecken sie tief im Boden, kommen aber regelmäßig zum Vorschein, bei Bauarbeiten etwa oder wenn Bauern ihre Felder pflügen. Dann wird die Bevölkerung in Sicherheit gebracht und die Bombe unschädlich gemacht.

Für die Betroffenen ist das fast Routine. Gut 1000 Einsätze hat die Bombenräumbrigade aus Metz schon hinter sich, allein auf einem kleinen Abschnitt der alten Schützengräben nahe Verdun kümmert sie sich um 45 bis 60 Tonnen Munition im Jahr. "Wir sind die Müllmänner der Schlachtfelder", sagt Christan Cléret, Chef der elf Mann starken Einheit und selbst Sohn eines Minenräumers.

Seine Nachkommen werden die Tradition fortsetzen können: Pessimisten glauben, dass es mehrere Jahrhunderte dauern wird, bis alles gesäubert ist. "Ein paar Jahrzehnte dauert es auf jeden Fall", versichert Cléret.

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Mit seinen 33 Jahren Berufserfahrung kann der Sprengmeister auf einen Blick den Typ und die Gefährlichkeit der Granaten und anderer explosiver Fundstücke abschätzen. "Nach Jahren im feuchten Boden werden die Hüllen der Sprengkörper brüchiger", sagt er. "Unter diesen Bedingungen zerfallen sie schneller."

Etwa zwei Prozent der gefundenen Munition enthalten chemische Kampfstoffe, vor allem Senfgas, Phosgen und Diphosgen. Christian Cléret und seine Leute haben gelernt, die Granaten auseinanderzuhalten. "Im Zweifel machen wir eine Röntgenaufnahme."

Die Chemiewaffen werden ins Militärlager in Suippes gebracht, wo etwa 200 Tonnen zwischengelagert werden. Nachdem Frankreich die Konvention zum Verbot der Lagerung chemischer Waffen unterzeichnet hatte, wurde 1997 eine Einrichtung geplant, um die giftigen Granaten zu vernichten.

Nach einigen Verzögerungen haben die Arbeiten daran gerade in Mailly-le-Grand begonnen, frühestens 2016 wird die Anlage eröffnet. Die Chemiewaffen werden dann dort in einer abgedichteten Kammer auseinandergenommen, die Reste in anderen Teilen der Anlage unschädlich gemacht.

Doch die Blindgänger auf den früheren Schlachtfeldern sind nicht das einzige Problem. Nach Kriegsende wurde auch unbenutzte Munition, vor allem Chemiewaffen, entsorgt. In Frankreich wurden Tausende Tonnen im Lac d'Avrillé (im Westen des Landes; Anm. d. Red.) versenkt oder in der Jardel-Höhle (an der Schweizer Grenze) vergraben.

An die Zukunft der Anwohner dachte damals beim Militär offenbar niemand. "Wenn die Leute Krieg führen wollen", sagt Jacky Bonnemains, "sind ihnen künftige Generationen ziemlich egal."

Der Autor Benoît Hopquin schreibt für die französische Zeitung Le Monde.

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© SZ vom 23.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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