Arabischer Frühling:Tunesien gibt sich wegweisende Verfassung

Members of the Tunisian parliament wave flags after approving the country's new constitution in the assembly building in Tunis

Abgeordnete des tunesischen Parlaments feiern die neue Verfassung.

(Foto: Reuters)

Geteilte Exekutive, beschränkter Raum für die Religion, Frauenquote im Parlament: Drei Jahre nach dem Sturz von Machthaber Ben Ali gibt sich Tunesien eine neue Verfassung. Sie gilt als vorbildlich - auch für die anderen Länder des Arabischen Frühlings.

Mit mehr als einem Jahr Verspätung ist im krisengeschüttelten Tunesien am Sonntag eine neue Verfassung verabschiedet worden, die Vorbildfunktion für die Länder des arabischen Frühlings entfalten könnte. In der Nationalversammlung erhielt der Text eine überwältigende Mehrheit von 200 Stimmen bei zwölf Gegenstimmen und vier Enthaltungen - 145 Ja-Stimmen hätten ausgereicht. Tunesien habe eine "historische Etappe" gemeistert, zollte UN-Generalsekretär Ban Ki Moon seinen Respekt.

Die Arbeit an der neuen Verfassung hatte im Oktober 2011 begonnen - ein Dreivierteljahr nach Beginn der Revolution, die zum Sturz des langjährigen Machthabers Zine El Abidine Ben Ali führte. Eigentlich sollte die Verfassung binnen eines Jahres fertig werden. Aber Grabenkämpfe zwischen den Islamisten der Ennahda-Partei und der säkular orientierten Opposition zogen den Prozess mehr als zwei Jahre in die Länge.

"Modell für andere Völker"

Das Ergebnis wurde am späten Sonntagabend schon gefeiert: "Wir opfern unsere Seele und unser Blut für Dich, Tunesien", riefen die Mitglieder der Nationalversammlung. "Das Grundgesetz bewahrt unsere früheren Errungenschaften und schafft das Fundament für einen demokratischen Staat", sagte Mustapha Ben Jaafar, der die verfassunggebende Versammlung leitete.

Die Verfassung schreibt eine geteilte Exekutive fest, weist dem Islam einen begrenzten Raum zu und sie setzt - zum ersten Mal in der arabischen Welt - das Ziel, dass in den gewählten Kammern genau so viele Frauen wie Männer sitzen sollen. Sie schaffe damit ein "Modell für die anderen Völker, die nach Reformen streben", sagte UN-Generalsekretär Ban mit Blick auf Länder wie Ägypten oder Libyen.

Wahlen haben Priorität

Die Paraphierung der Verfassung ist für Montagmorgen vorgesehen, eine weitere Zeremonie findet am Nachmittag bei Präsident Moncef Marzouki statt. Der Sonntag war für Tunesien nicht nur wegen der Verfassung wichtig. Der designierte Regierungschef Mahdi Jomaâ legte nach mehreren gescheiterten Anläufen auch eine neue Liste für sein Expertenkabinett vor. Die neue Regierung soll insbesondere die Präsidentschafts- und Parlamentswahl vorbereiten, die den Übergang in dem Land nach den Umbrüchen abschließen soll.

Das Land war durch die Ermordung des linken Oppositionellen Mohammed Brahmi im Juli 2013 in eine schwere Krise gestürzt. Die Tat wurde zwar militanten Salafisten angelastet, doch die Opposition machte die bislang regierende Ennahda-Partei mitverantwortlich. Beide Seiten einigten sich Ende 2013 schließlich auf einen Fahrplan aus der Krise, der den Rücktritt der Ennahda-geführten Regierung vorsah. Das Expertenkabinett Jomaâs soll in dieser Woche vom Parlament bestätigt werden. Die Abhaltung von Parlaments- und Präsidentschaftswahlen noch in diesem Jahr sei "die Priorität der Prioritäten" für ihn, sagte der designierte Ministerpräsident.

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