Private Briefe von SS-Führer Himmler:Das Heini-Projekt

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Familienfoto aus dem Jahre 1935: Beste Freundin von Gudrun (v.l.n.r.), Heinrich Himmler, Tochter Gudrun, Ehefrau Margarete (Marga) Himmler und Pflegesohn Gerhard. Es stammt aus dem Fund von Dokumenten, die in Israel aufgetaucht sind und jetzt von der Zeitung Die Welt veröffentlich wurden (Foto: dpa)

Die "Welt"-Gruppe dokumentiert mit viel Getöse bisher unbekannte Briefe des Privatmannes Heinrich Himmler. Doch angesichts von Zitaten wie "Ich fahre nach Auschwitz. Küsse, Dein Heini" stellt sich die Frage: Was soll uns das erklären?

Von Willi Winkler

In den goldigen Fünfzigerjahren geisterte ein Mann durch die Zeitungen, der die dunkle Macht hautnah gespürt hatte. Felix Kersten hieß der Mann, der Heinrich Himmler, dem Reichsführer SS und zeitweise mächtigsten Mann im Dritten Reich, mit japanischer Heiltechnik die allfälligen Skrupel aus dem Nacken massieren durfte. Immerhin war es möglich, dass Himmler in den letzten Kriegswochen etliche tausend Häftlinge nach Schweden ausreisen ließ. Kersten beanspruchte die Befreiungstat für sich. Himmler beging 1945 Selbstmord, und die Heldentaten Kerstens wurden mit jedem Jahr größer. Am Ende wollte er das gesamte Volk der Niederlande davor bewahrt haben, hinter den Ural umgesiedelt zu werden.

Nicht nur der Historiker Hugh Trevor-Roper, sondern vor allem das seit je für medizinische Scharlatane aufgeschlossene deutsche Lesepublikum fiel auf die Enthüllungen des Masseurs herein. Wenn einer dem Organisator des Rassenmords schon so nahe gekommen war, dann mussten die durch ihn überlieferten Seufzer unbedingt authentisch sein. Die Bücher Kerstens bedienten das Nachkriegsbedürfnis nach Offenbarungen über die privaten Verhältnisse der Mörder. Schließlich war die Frage, ob Hitler womöglich mit nur einem Hoden durchs Leben ging, wesentlich interessanter als die nach dem Massenerfolg der nationalsozialistischen Bewegung.

Gewaltiges Getöse

Seltsamerweise ist trotz fünf Jahrzehnten wissenschaftlicher Forschung das Bedürfnis nach privaten Details bei den NS-Führern ungebrochen. Die Welt am Sonntag versprach gestern rot grundiert "Himmler - Handschrift eines Massenmörders". Diese Handschrift besagt nicht viel, aber das ist für Chefredakteur Jan-Eric Peters kein Grund, nicht trotzdem ein gewaltiges Getöse zu veranstalten. Eine achtteilige Serie wird angekündigt, und die Leser dürfen sich auf ein "außergewöhnliches Online-Special" freuen. Ja, es heißt tatsächlich so: www.welt.de/himmler-special, Himmler zum Runterladen.

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Heinrich Himmler war als Reichsführer-SS und Chef der Deutschen Polizei einer der Hauptverantwortlichen für Terror, Völkermord und Kriegsverbrechen. Der Historiker Peter Longerich gibt einen Erklärungsversuch, was den Münchner so grausam werden ließ.

Rezension von Wolfgang Görl

Die bisher bekannt gewordenen Zitate sind von ähnlicher Belanglosigkeit wie die Flatulenzen Hitlers, über die sein Ghostwriter Konrad Kujau seinerzeit in den Stern-Tagebüchern so großzügig informierte. Briefliche Mitteilungen an seine Frau wie "Ich fahre nach Auschwitz. Küsse, Dein Heini" werden zu einer Weltsensation aufgeblasen. Himmler hatte Ehefrau und Tochter, die er liebte, regelmäßig mit Geschenken bedacht und mit Grüßen von seinen zahlreichen Dienstreisen versorgt. So what? Ein Eintrag im Tagebuch seiner Tochter Gudrun, die 1941 mit zwölf Jahren das erste, noch von ihrem Vater installierte KZ Dachau besichtigte, sagt mehr über Täter und Opfer im Dritten Reich als die ganze angekündigte Himmler-Offenbarungsserie: "Wir sahen all die Bilder, die Häftlinge gemalt hatten. Wunderbar."

Himmler war, kaum zu glauben, ein Mensch, schrieb literarisch bedeutungslose Briefe an seine Frau und erzählte, Wunder über Wunder!, zu Hause nichts von der Arbeit. Man muss schon mit einer gusseisernen Naivität gesegnet sein, um das für die Sensation zu halten, unter der die Geschwisterblätter Welt und Welt am Sonntag dieses Nichts an Information und Erkenntnis aufbereiten. "Vanessa Lapa hat aus dem Material einen herausragenden Dokumentarfilm gemacht", versichert Chefredakteur Peters, der selbstverständlich weiß, wofür er dieses rezensorische Prädikat verleiht. Den herausragenden Film, "dessen Produktion wir finanziell unterstützt haben", kennt niemand, aber es schadet sicherlich nicht, Himmler im Paket zu verkaufen.

Leider hat sich auch der angesehene Historiker Michael Wildt für das Heini-Projekt anwerben lassen. Zusammen mit Katrin Himmler, die sich als Großnichte zur Expertin berufen fühlt, bringt er ein Buch über den privaten Himmler heraus, lässt sich aber gleichzeitig als Wissenschaftler befragen und wird damit zum Werbetexter. Felix Kersten ist es seinerzeit nicht ganz gelungen, die Niederländer zu retten, aber die Welt-Gruppe hat den Privatmann Heini Himmler für uns gerettet.

© SZ vom 27.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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