Ehe-Annullierungen in der katholischen Kirche:Als wäre nie etwas gewesen

Jede Farbe steht für einen Jahrgang, die Akten sind alphabetisch sortiert: Prälat Lorenz Wolf im Archiv des Kirchengerichts in der Rochusstraße.

Jede Farbe steht für einen Jahrgang, die Akten sind alphabetisch sortiert: Prälat Lorenz Wolf im Archiv des Kirchengerichts in der Rochusstraße.

(Foto: Robert Haas)

Scheidung kennt die katholische Kirche nicht. Wenn Partner ihre Bindung auflösen wollen, können sie die Ehe nur annullieren lassen. Dabei geht es vor allem um drei Kriterien - und die Beweisführung ist heikel.

Von Jakob Wetzel

Heuchelei, Trickserei, eine "Scheidung auf katholisch": Lorenz Wolf kennt diese Vorwürfe. Er kenne sie so gut, dass sie ihn gar nicht mehr ärgern würden, sagt er - aber dann erklärt er doch, warum alles ganz anders ist. Wolf ist oberster Kirchenrichter im Erzbistum München und Freising, und in den meisten Fällen urteilt sein Gericht in Ehenichtigkeitsverfahren.

Die Prozesse sind eigenwillig: Wenn sich ein katholisch verheiratetes Paar trennt, kann es sich zwar kirchlich nicht scheiden lassen. Aber es kann die Ehe annullieren lassen. Dann prüfen Wolf und seine Richter, ob die Ehe überhaupt gültig zustande gekommen ist. Falls nicht, sind die früheren Eheleute auch kirchlich nicht mehr verheiratet. Genauer: Sie sind es nie gewesen.

Ehenichtigkeitsverfahren sind umstritten, selbst unter Betroffenen. Kirchenmitarbeiter etwa fühlen sich in die Verfahren gedrängt, wenn sie ein zweites Mal heiraten wollen, ohne ihre Arbeitsstelle zu gefährden. Wird ihre Ehe dann für nichtig erklärt, fühlen sie sich, als würde ihnen die gemeinsame Vergangenheit genommen: Sie hätten mit einem Irrtum gelebt, im schlimmsten Fall mit einer Lüge.

Als Richter geht es Lorenz Wolf um eine exakte Prüfung

Dennoch brachten Vertreter der Kirche die Verfahren zuletzt als Ausweg im Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen ins Gespräch: Papst Franziskus und Gerhard Ludwig Müller, Präfekt der Kongregation für Glaubenslehre, deuteten an, die Kirche könne Eheannullierungen erleichtern; danach könnten auch wiederverheiratete Geschiedene wieder die Eucharistie empfangen. Im Oktober soll in Rom eine Bischofssynode über Reformen in der Familienpolitik der Kirche debattieren.

Lorenz Wolf sieht diese Gedanken mit Skepsis. Um eine "Annullierung leicht gemacht" gehe es nicht, sagt Wolf. Die Frage sei vielmehr, wie wiederverheiratete Geschiedene auch ohne ein solches Verfahren wieder zu den Sakramenten zugelassen werden können. Das sei nicht ausschließlich kirchenrechtlich zu lösen. Die Ehenichtigkeit biete dafür kein Schlupfloch.

Als Richter spreche er auch keine "gnädigen" oder "harten" Urteile: Es gehe um exakte Prüfung. Überhaupt würden keineswegs nur Mitarbeiter der Kirche klagen, weil sie ihren Arbeitsplatz nicht verlieren wollen. Häufig kämen Menschen einfach, weil sie nicht mehr an ihren Partner gebunden sein wollen. Andere wollten schlicht Klarheit für sich selbst.

Ein Ehenichtigkeitsverfahren sei nicht zuletzt Seelsorge, sagt Wolf. Und ein einfacher Schritt sei es für die Betroffenen nie. "Wir sind wahrscheinlich das Institut, in dem die meisten Tränen fließen." Etwa dann, wenn nur einer der früheren Partner die Ehe für nichtig erklären lassen will. Wenn einer merkt, dass er sich von Beginn an im anderen getäuscht hat. Oder wenn jemand versucht, dem oder der Verflossenen mit dem Verfahren noch eins auszuwischen. "Das Gericht ist nicht dafür da, den Partner zu vernichten", mahnt Wolf dann. "Wir waschen keine schmutzige Wäsche."

Wann ist eine Ehe nach Kirchenrecht nichtig?

Im Jahr werden an Wolfs Gericht 100 bis 150 Ehen verhandelt, jeweils 60 bis 120 davon sind Fälle aus dem Erzbistum. In den übrigen Verfahren prüfen die Richter Urteile aus benachbarten Bistümern. Die Zahl der Fälle ist stabil.

Dass die Kirche Ehen überhaupt für ungültig erklären kann, ist im Kirchenrecht verankert: Wenn ein Ehepartner während der Heirat die Ehe selbst oder eine ihrer Wesens-Eigenschaften bewusst ausschließe, dann sei diese ungültig, heißt es da. Dabei geht es vor allem um drei Eigenschaften: Die Ehe müsse auf das gegenseitige Wohl der Partner hin ausgerichtet sein, außerdem auf Treue und auf Kinder. "Die Ehe gibt's nur im Paket", sagt Wolf: Ist nur eine Bedingung nicht erfüllt, ist die Ehe nichtig.

Was das Verfahren heikel macht: Entscheidend ist nicht, warum eine Ehe letztlich gescheitert ist. Es geht stets um den Zeitpunkt der Heirat. So reicht es nicht aus, wenn eine Ehe kinderlos geblieben ist oder wenn ein Ehepartner irgendwann beschlossen hat, doch keine Kinder zeugen zu wollen. Solange beide zum Zeitpunkt der Heirat Kinder bekommen wollten, bleibt die Ehe gültig. Sogar der umgekehrte Fall ist denkbar: Eine Ehe kann wegen fehlenden Kinderwunsches ungültig sein - obwohl ein Paar mehrere Kinder miteinander hat.

Einen raschen Urteilsspruch gibt es nicht

Weitere Gründe leitet die Kirche aus der Frage ab, ob es überhaupt den Willen zur Ehe gegeben hat. Dagegen können psychische Erkrankungen der Brautleute sprechen, ebenso psychischer Druck oder Irrtümer: Wer von einer Eigenschaft des Partners überzeugt war, die es gar nicht gibt, dessen Ehe kann nichtig sein; in der Vergangenheit konnten sich darauf etwa Adelige berufen, wenn sie versehentlich einen falschen Grafen geheiratet hatten.

Nichtig ist die Ehe auch, wenn Braut oder Bräutigam nicht wissen, dass eine katholische Ehe nur einmal geschlossen werden kann. Ein Vorbehalt der Art "Zur Not heirate ich später noch einmal" macht die Ehe ungültig, ebenso jeder andere Vorbehalt. Wer nur unter einer Voraussetzung heiratet, etwa dass der andere eine reiche Erbschaft antritt, dessen Ehe ist nichtig.

Beweisen lässt sich das im Idealfall durch Briefe, durch Einträge im Tagebuch oder auch durch unter Eid geleistete Zeugenaussagen. Dass er dabei zuweilen geschickt angelogen wird, könne er nicht ausschließen, sagt Wolf: "Ich bin mir sicher, dass ich auch Fehlurteile gesprochen habe, weil ich eine Lüge nicht nachweisen konnte." Aber die Kirche macht es sich nicht leicht, sie betreibt viel Aufwand.

Wenigstens ist das Verfahren nicht teuer

Den raschen Urteilsspruch oder Vergleich gibt es nicht, nicht einmal einen Gerichtssaal - dafür unzählige Akten und Briefe. Die Beweislast liegt beim Kläger, im Zweifel gilt eine Ehe als gültig. Am Verfahren sind drei Richter beteiligt, die Mehrheitsentscheidungen treffen, dazu ein Notar, ein Vernehmungsrichter und ein "Ehebandsverteidiger", der vorbringt, was für die Gültigkeit der Ehe spricht. Und jedes Urteil wird von einer zweiten Instanz überprüft.

Zumindest teuer ist ein Verfahren nicht. In erster Instanz kostet es 200 Euro, in zweiter noch einmal 100. Und die Erfolgsquote ist enorm: 90 bis 95 Prozent der Verfahren enden damit, dass die Ehe für nichtig erklärt wird. Was aber auch daran liege, dass nicht alle Klagen aufgegriffen würden, sagt Wolf. Am Anfang stehe ein Beratungsgespräch. In der Mehrzahl der Fälle - seit 2010 bei 278 von 504 Klagen - wäre eine Klage aussichtslos: Wenn der Kläger dann nicht darauf besteht, kommt es nicht zum Prozess, die Ehe bleibt gültig.

Im Durchschnitt dauert ein Verfahren ein knappes Jahr: viel Zeit, gerade wenn es anschließend weitere Instanzen durchläuft. Manch einer versuche deshalb, den Prozess abzukürzen, erzählt Wolf. Einen Bestechungsversuch habe er zwar noch nie erlebt, dafür Drohungen gehört: "Ich habe Beziehungen in den Vatikan" etwa, oder: "Ich trete aus der Kirche aus!"

Einmal habe ein Kläger gar einen Brief an Joseph Ratzinger geschrieben, der damals Kardinal war und Präfekt der Glaubenskongregation. Auch dieser Versuch war zwecklos: Das Verfahren ging seinen Gang, am Ende wurde die Ehe ordnungsgemäß für ungültig befunden. Und selbst wenn er gewollt hätte: Ratzinger hätte das Verfahren gar nicht beeinflussen können, sagt Wolf. Eine Ehe für nichtig erklären, ohne Prüfung? "Das kann nicht einmal der Papst."

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