Umfrage der katholischen Kirche zur Sexualmoral:Päpstlich verordnete Selbsterkenntnis

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Street Art unweit des Vaticans in Rom: Papst Franziskus als Superman mit seinem Koffer voller "Werte" (Valores) (Foto: AFP)

Wie steht es um die Kenntnis von "Humanae Vitae"? Verdruckst und ungelenk sind die Fragen zu Ehe und Familie, die der Vatikan den Gläubigen stellt. Doch die Befragung, ein Akt päpstlich verordneter Anarchie, ist eine große Chance: Die Kirche hält sich selbst den Spiegel vor.

Ein Kommentar von Matthias Drobinski

Angesichts der Umfrage zu Ehe und Familie, die Papst Franziskus da in seiner katholischen Kirche angestoßen hat, dürften die Meinungsforscher von Emnid oder Allensbach nur milde lächeln: Man kann sich irgendwie an der Umfrage beteiligen, und zwar in jedem Bistum anders. Mal haben das mehrere Tausend Menschen getan, mal ein paar Hundert, mal wenige Dutzend.

Und dann die Fragen! Wie steht es um die Kenntnis von "Humanae Vitae"? Oder: "Wird der Begriff des Naturrechts auf die Verbindung von Mann und Frau von Seiten der Gläubigen im Allgemeinen akzeptiert?" Und was sind "irreguläre" Beziehungen oder Ehen "ad experimentum"? Das ist ungefähr so verdruckst wie die Frage besorgter Eltern in den 50er-Jahren an das junge Paar: Und ihr wohnt jetzt, äh, in derselben Stadt?

Fragen und Antworten aus dem Bauch der Kirche

Gerade das Ungelenke macht aber das Besondere dieser Umfrage aus, über deren erste Ergebnisse nun die Bischöfe in Würzburg beraten haben und die sie jetzt nach Rom schicken wollen. Die Fragen stammen aus dem Bauch dieser Kirche, sie waren ursprünglich für Bischöfe zur Vorbereitung der Familiensynode im Herbst in Rom gedacht, die in solchen Formulierungen reden und denken.

In einem Akt päpstlich approbierter Anarchie sind sie weltweit öffentlich geworden: Fragt doch auch die Gläubigen, hat Franziskus gebeten, und dann standen die Fragen im Internet. Auch die Antworten kamen aus dem Bauch der Kirche, aus den Pfarreien, Verbänden, von Besuchern katholischer Internetpräsenzen - konservative Gruppen hatten dazu aufgerufen, sich rege zu beteiligen, damit auch ihre Auffassung sich widerspiegle.

Die Gläubigen fühlen sich in einer Welt der Brüche alleingelassen

Das Ergebnis ist dramatisch eindeutig: Selbst Katholiken aus dem Inneren der Kirche können nichts mit dem anfangen, was diese Kirche zu Sexualität, Ehe, Familie sagt. Sie wissen oft gar nicht mehr, dass "Humanae Vitae" die Pillen-Enzyklika aus dem Jahr 1968 ist; und warum Sex vor der Ehe, Homosexualität oder eine zweite Ehe irregulär und wider die Natur sein sollen, erschließt sich ihnen nicht.

Sie wollen ja gar nicht die Ehe abschaffen, die Treue lächerlich machen und Sex als Variante des Sports ansehen, sie fühlen sich aber in einer Welt der Brüche und der vielfältigen Lebensentwürfe von ihrer Kirche alleingelassen und auch abgewertet - so sehr, dass sie die durchaus guten Angebote für Paare und Familien, die es in den Pfarreien, Verbänden und Bistümern gibt, gar nicht mehr wahrnehmen.

Das alles ist nicht neu, die Profis von Emnid und Allensbach haben es dutzendfach so abgefragt, repräsentativ und statistisch sauber aufgearbeitet. Nur: Da wurden die anderen gefragt. Nun hat sich die Kirche selbst den Spiegel vorgehalten. Sie kann nicht mehr sagen, dass es ein Zerrspiegel ist, sie muss ehrlich erschrecken über das, was ihr da entgegenblickt. Das hat wohl auch Papst Franziskus bezweckt, als er den Fragebogen hinaus in alle Welt gehen ließ, statt ihn wie üblich diskret den Bischöfen zukommen zu lassen: Besser als alle Analysen von außen ist die Selbsterkenntnis - so sehr sie auch schmerzen mag.

© SZ vom 29.01.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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