Gender-Debatte an französischen Schulen:Ist "Feuerwehrfrau" ein absurder Beruf?

Streit ums "ABCE de l'Égalité": Ein Gender-Programm an Grundschulen sorgt in Frankreich für erhitzte Gemüter. Katholiken und Immigranten befürchten, die traditionelle Familie werde untergraben - sogar Schulverweigerung dient den Gegner als Mittel zum Protest.

Von Joseph Hanimann

Die Gender-Studies nach amerikanischem Vorbild konnten in Frankreich nie auf eine großartige Zukunft hoffen. Die Ausdifferenzierung des Geschlechtsunterschieds nach ökonomischen, sozialen, kulturellen, ethnischen Aspekten geriet im Land der massiven Frauen-Berufstätigkeit, des "anderen Geschlechts" und der geschlechtsbetonten Haute Couture stets in die Klemme zwischen universalen Citoyens, deren Geschlecht laut der Philosophin Élisabeth Badinter bedeutungslos ist, und Akteuren eines subtilen Gesellschaftsspiels nach den Regeln der Verführungskunst im Sinne der Feministin Sylviane Agacinski.

Dass das Gender-Konzept nun nach einem Testversuch zum Abbau der Geschlechterklischees an den französischen Schulen auch noch den Widerstand ganz anderer Kreise weckt, macht seine Lage fast aussichtslos. Das Gerücht, an den Volksschulen solle die Gender-Theorie Einzug halten und bei den Kleinen das Bild von Vater und Mutter zerstören oder frühzeitig homosexuelle Neigungen wecken, führte dazu, dass Eltern aus den Immigrantenvierteln der Vorstädte verstört bei der Schulleitung anriefen.

Anlass zur Aufregung ist das vom Erziehungs- und vom Frauenrechtsministerium gemeinsam lancierte Versuchsprogramm "ABCE de l'Égalité" an 275 Grundschulen quer durchs Land. Den ABC-Schützen soll die geschlechtliche Égalité beigebracht werden und die Überzeugung, dass "Feuerwehrfrau" kein absurder Beruf oder der Spaß an der Puppenstube für Jungen keine Schande sei.

Auf dünnem Eis

Alteingesessene Katholiken aus den bessergestellten Vierteln sehen darin nach der Legalisierung der Homo-Ehe einen weiteren Versuch der sozialistischen Regierung, die traditionelle Familie zu untergraben. Die Resonanz, die diese Befürchtungen bei Immigrantenfamilien vorab aus Nordafrika fand, gibt dem Streit eine neue politische Dimension. Das dünne Eis, unter dem Frankreichs Zivilgesellschaft am Staat, an der Führungselite und an sich selbst zweifelt, knackt gerade an allen Ecken und Enden.

Hauptinitiatorin des Protests gegen das Gespenst einer Gender-Theorie an der Schule ist die Autorin und Filmemacherin Farida Belghoul. Vor dreißig Jahren war diese Intellektuelle algerischer Herkunft in der französischen Antirassismusbewegung engagiert, heute steht sie als Komplizin des schweizer-französischen Doppelbürgers Alain Soral, eines Ex-Kommunisten und zeitweiligen Front-National-Mitglieds, eher den Kreisen eines Radikalsozialismus mit Neigung zu Wahnvorstellungen von einem zionistisch geführten Weltkapital nahe.

Im Kampf gegen die Aushöhlung der traditionellen Familie durch die Individualgesellschaft hat Farida Belghoul die Bewegung "Journée de Retrait de l'École" in Gang gebracht, die den Eltern nahelegt, aus Protest einen Tag pro Monat die Kinder nicht in den Unterricht zu schicken. Das fand ein überraschend großes Echo im Land. Parallel dazu hat Farida Belghoul das Jahr 2014 als das "Jahr des Rocks" ausgerufen, um den Frauen die Freude am Jeans-Tragen auszutreiben.

Unerwarteter Schulterschluss

Bei allem Wahnhaften dieser Ängste vor einer Tilgung des Geschlechterunterschieds offenbart die Bewegung ernsthafte Fragen und Zweifel. Gerade in manchen Problemvierteln, wo Sozial-, Integrations- und manchmal Religionskonflikte einander hochschaukeln, sehen die Leute nicht unbedingt ein, warum gerade dieses Thema der Geschlechtergleichstellung so dringend sein soll. Soziale Rollenklischees aufgrund ihres Namens oder Aussehens belasten ihren Alltag weit mehr.

Der unerwartete Schulterschluss zwischen erzkatholischen Bürgern und Migranten beruht auf dieser labilen, aber realen Grundlage: die geteilte Sorge um den Halt der traditionellen Familie. Das Thema von Gender-Politik und individuell bestimmter Geschlechtsneigung erscheint dabei als ein so weit her importiertes Ding, dass auch der Erziehungsminister Vincent Peillon das Wort sorgsam vermeidet und betont, mit Gender-Theorie habe sein Programm nicht das Geringste zu tun.

Hat sich das Familienleben mit seinen modernen Variationen von Zweit-Ehepartnern und Halbgeschwistern durch Tischrituale und Urlaubsgewohnheiten gut halten können, bleibt für die Individualisierung des Geschlechts in der Gesellschaft ein eher beschränkter Raum. Bei den 7000 im vergangenen Jahr quer durchs Land gefeierten Homo-Ehen fällt ein mitunter klischeehaftes Heiratsambiente besonders auf. Bei aller Verspannung ist das französische Geschlechtermodell offenbar in der Lage, Individualität zu integrieren, Bräuche zu wahren und alte Zöpfe abzuschneiden wie gerade den per Gesetz abgeschafften Ausdruck "en bon père de famille" für eine sorgsame Haushaltsführung. "Vernünftig" soll dieses Haushalten fortan heißen, ein neutrales Wort, das mit seinem Anspruch vielleicht etwas zu hoch hängt.

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