Zukunft von Kroos beim FC Bayern:Nicht um jeden Preis

Borussia Moenchengladbach v FC Bayern Muenchen - Bundesliga

Toni Kroos beim Spiel des FC Bayern gegen Gladbach

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Thiago oder Toni Kroos? Wessen Füße werden das Mittelfeld des FC Bayern in den kommenden Jahren lenken? Während der Spanier zuletzt glänzte, gilt der Verbleib des deutschen Nationalspielers als unsicher. Die Verantwortlichen wollen Kroos halten. Eigentlich.

Von Christof Kneer

Es war kein guter Abend für Toni Kroos. Er kam hinterher nirgendwo vor, auf keinem jener Zettel, in keiner jener Spalten, in denen der moderne Fußball bilanziert wird. Toni Kroos hatte nicht die meisten Bayern-Schüsse abgegeben, er hatte nicht die meisten Bayern-Ballkontakte gehabt, nicht mal für die meisten Fouls hatte es gereicht. Zwar könnte man es für ungerecht halten, Kroos seine Abwesenheit im Zahlenteil zur Last zu legen, er hatte ja nicht so viel Zeit wie die anderen Spieler, um sich für die Statistiken aufzudrängen.

Aber natürlich ist ihm später auch daraus ein Vorwurf gemacht worden: dass er beim Spiel in Stuttgart ausgewechselt wurde, nach 60 Minuten schon. Am Ende führte Toni Kroos nur eine einzige Statistik an, eine sehr schöne zwar, aber eben auch eine, die im Bewusstsein der Branche noch nicht den Stellenwert hat, die sie verdient. In der Disziplin "geworfene Handschuhe" stand bei ihm die "2". Bei allen anderen Spielern stand eine "0".

Das alles war nicht so schön für Toni Kroos. Noch unschöner fiel allerdings die vergleichende Lektüre aus: In der Disziplin "meiste Bayern-Schüsse" führte der Kollege Thiago (4). In der Disziplin "meiste Ballkontakte" führte Thiago (129). Und bei Torvorlagen (1) sowie Torerfolgen (1) fand sich ebenfalls der Name Thiago.

"Wir wollen mit Toni verlängern"

Aus Toni Kroos' Sicht kann man sagen, dass sich Thiago keinen günstigen Moment ausgesucht hat, um seine Kunst zu demonstrieren. Sein Scherenschlag-Tor gegen Stuttgart war das eine Bild des Tages, und es glänzte noch ein bisschen heller, wenn man es mit dem zweiten Bild des Tages in Beziehung setzte. Das zweite Bild des Tages war der gereizte Toni Kroos, der nach seiner Auswechslung seine Handschuhe auf den Boden schmetterte. Es sah aus, als werfe er seinen Vorgesetzten den Fehdehandschuh hin.

Er habe "nicht damit gerechnet, dass ich raus muss", sagte Kroos später, er müsse das "natürlich akzeptieren". Es war der Versuch, ein Thema wieder einzufangen, das nicht mehr einzufangen ist: Ist Kroos unzufrieden, ist er gekränkt, gefällt es ihm nicht mehr beim FCB? Verlässt er den Klub, wenn sein Vertrag 2015 endet, oder geht er schon nach der WM im Sommer?

Viele Fragen zirkulieren zurzeit rund ums Vereinsgelände des FC Bayern, immerhin gibt es inzwischen die ersten Antworten. "Wir wollen mit Toni verlängern", sagte Sportvorstand Matthias Sammer am Freitag der SZ, "da sind wir uns im Klub alle einig." Allerdings werde das "keine einfache Geschichte", räumt Sammer ein, "man kann im Moment nicht sagen, dass die Chancen 80:20 oder 70:30 stehen". Sie stehen eher 50:50, wie ein anderer, mit dem Fall gut vertrauter Experte sagt. Es ist ein ergebnisoffener Prozess, in dem es aber zumindest eine Gewissheit gibt: "Wir werden Toni bestimmt nicht vorzeitig verkaufen", sagt Sammer, "da gilt, was Uli Hoeneß kürzlich gesagt hat: Der FC Bayern ist ein Käufer-, kein Verkäufer-Verein."

Erhabene Wurstigkeit

Die Debatte um Kroos führt auch zu ein paar übergeordneten Fragen: Welche Füße werden das bayerische Mittelfeld in den kommenden Jahren lenken, wer wird der creative director, der das schöpferische Ressort verantwortet und die geistreichen Ideen hat? Wer spielt in den kommenden Jahren die Pässe, die jahrelang Bastian Schweinsteiger gespielt hat? Und: Muss das unbedingt Kroos sein, jetzt, da die Bayern diesen unglaublichen Thiago gefunden haben, der aus der Barcelona-Schule stammt wie Pep Guardiola, der Trainer?

Guardiola schätzt Kroos sehr, er mag sein Rhythmusgefühl, seine Übersicht, seine Passqualität. Aber den Kroos aus dem Stuttgart-Spiel schätzt er weniger: jenen Spieler, der seinen Tempomat auf mittlere Geschwindigkeit programmiert, der schwere Spiele mit erhabener Wurstigkeit über sich ergehen lässt, anstatt sich ihnen entgegenzustemmen, und der seinen monumentalen Schuss versteckt hält, als müsse er sich für ihn schämen.

Toni Kroos, 24, kann alles und noch viel mehr, aber er zeigt es nicht immer. Solche Spieler geraten gern in die Gefahr, dass sie ungerecht behandelt werden, man will immer noch mehr von ihnen sehen, als sie ohnehin schon zeigen. Das muss man berücksichtigen, wenn man das nicht unkomplizierte Verhältnis zwischen Kroos und dem FC Bayern ergründen will.

"Kroos ist der strategischere von beiden"

Die Bosse waren all die Jahre hin- und hergerissen, sie haben ihn mal für den besten 17-Jährigen der Welt und den spanischsten Mittelfeldspieler Deutschlands gehalten; dann war er wieder der große Phlegmatiker, der im Champions-League-Finale gegen Chelsea den Elfmeter verweigert. Kroos hat all das Hin und all das Her natürlich mitbekommen, und er hat auch die Stimmen aus den oberen Büros gehört, die im Mai flüsterten, dass es der Triplesieger-Elf bestimmt nicht geschadet habe, dass Kroos in den entscheidenden Spielen verletzt fehlte.

Ja, es geht ums Geld, Kroos will mehr verdienen als das, was der FC Bayern ihm für den Fall einer Vertragsverlängerung angeboten hat. Aber es geht auch um Anerkennung. Er möchte wissen, ob Karl-Heinz Rummenigge und Uli Hoeneß in ihm dauerhaft das sehen, was Matthias Sammer in ihm sieht. "Manchmal denkt Toni noch zu sehr ans eigene Spiel", sagt Sammer, "aber er hat die Anlagen, irgendwann die Verantwortung für unser gesamtes Spiel zu übernehmen."

Kroos plus Thiago, so könnte sich Sammer das Mittelfeld der nächsten Jahre gut vorstellen. "Kroos ist der strategischere von beiden, ähnlich wie Xavi", sagt Sammer, "Thiago ist mehr Iniesta, er ist der riskantere, noch etwas genialere." Sammers Aufgabe wird es nun sein, den Spieler zu überzeugen. Es ist keine leichte Aufgabe: Er wird dem Spieler sagen müssen, dass sie ihn ganz, ganz dringend behalten wollen. Aber natürlich nicht um jeden Preis.

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