Wörthsee:Geld oder Ruhe

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Wörthsee stimmt über den Bau eines Logistikzentrums ab. Das würde auf einen Schlag zehn Millionen Euro in die Gemeindekasse spülen. Doch der Preis ist hoch - 13 Hektar Landschaft würden versiegelt, ganz zu schweigen vom Verkehr.

Von Christine Setzwein

CSU und Parteifreie gegen SPD und Grüne, Natur gegen Versiegelung, Discounter-Kunden gegen Dorfladen-Anhänger: Wer in Wörthsee die überzeugendsten Argumente für oder gegen ein Logistikzentrum an der Autobahnausfahrt bei Etterschlag hat, entscheiden am kommenden Sonntag ganz allein die Bürger. Es geht um die Bebauung eines 13 Hektar großen gemeindeeigenen Grundstücks am Ortseingang von Wörthsee - und um viel Geld. Bekanntlich hat die örtliche CSU ohne Wissen ihres Bürgermeisters Peter Flach Kontakt mit Aldi aufgenommen. Der Discounter bietet zehn Millionen Euro für das nicht erschlossene Grundstück und möchte dort ein neues Logistikzentrum bauen. Etwa 3900 Wörthseer sind stimmberechtigt, mindestens 20 Prozent, also 780, müssen an die Urne, damit das Quorum erreicht wird und der Bürgerentscheid Gültigkeit erlangt. Die Wahllokale haben von 8 bis 18 Uhr geöffnet.

Die Frage "Sind Sie dafür, dass die Gemeinde Wörthsee die planungsrechtlichen Grundlagen für die Errichtung eines Logistikzentrums auf den Grundstücken Fl.Nrn. 813, 815, 816 und 816, alle Gemarkung Etterschlag "Am Ziegelstadel" schafft?" Es steht nur eine Frage auf dem Stimmzettel, die mit Ja oder Nein zu beantworten ist. Die Wörthseer stimmen also nicht über Aldi ab, sondern generell über ein Logistikzentrum. Sollte die Mehrheit Ja ankreuzen, wird erst einmal zu prüfen sein, ob das Grundstück ausgeschrieben werden muss. Wenn ja, gibt es sicher eine ganze Reihe von Logistikunternehmen wie große Speditionen oder den ein oder anderen Versandhandel, die an einem so gut angebundenen Standort interessiert sind. Und die bereit sind, mehr als zehn Millionen Euro zu zahlen. Vor zehn Jahren erwarb die Gemeinde den Ziegelstadel für knapp 390 000 Euro als ökologische Ausgleichsfläche. Wenn sie das Gelände nun an einen Investor verkauft, muss sie dem damaligen Besitzer noch einmal zwei Euro pro Quadratmeter, 264 000 Euro, zahlen.

Was Aldi will

Der Discounter braucht mehr Platz. Sein Warenlager in Eichenau ist nach 40 Jahren zu klein geworden. 15 bis 17 Hektar wären eigentlich nötig, sagte Prokurist Michael Klöter auf einer Informationsveranstaltung, 13 Hektar seien das Mindeste. Trotzdem ist der Standort Ziegelstadel ideal für Aldi: keine Nachbarn und direkt an der Lindauer Autobahn gelegen. Von dort sollen etwa 50 Filialen im Münchner Westen und im Oberland versorgt werden. Das Dach des geplanten Lagers soll begrünt und fast vollständig mit einer Fotovoltaikanlage versehen werden. 200 Mitarbeiter sind momentan in Eichenau beschäftigt, und das Unternehmen bietet jährlich zehn Ausbildungsplätze an. Zu der Kaufsumme müsste Aldi noch zwischen 80 und 100 Euro pro Quadratmeter für die Erschließung zahlen. Zum Vergleich: Im Gewerbepark Inning/Wörthsee, ein gemeinsames Projekt beider Kommunen, kostet der Quadratmeter erschlossenes Bauland 165 Euro.

Die Finanzen

Großer Streitpunkt zwischen Befürworten und Gegnern einer Aldi-Ansiedlung ist das Geld. Mit den zehn Millionen wäre Wörthsee auf einen Schlag schuldenfrei, die neue Schule bezahlt, und die Baugrundstücke an der Graf-Toerring-Straße müssten nicht verkauft werden, argumentiert die CSU. Aldi verspricht pro Jahr eine Gewerbesteuer zwischen einer halben und einer Million Euro, allein die Grundsteuer würde 60 000 Euro ausmachen. SPD und Grüne, der Finanzreferent und ein externer Wirtschaftsprüfer kommen zu dem Ergebnis: Das Geld braucht es nicht. Die Gemeinde sei finanziell solide aufgestellt. Außerdem kann Wörthsee in den kommenden Jahren mit Gewerbesteuereinnahmen aus dem Gewerbepark Inning rechnen. Allein der Erlös aus den Grundstücksverkäufen in Inning liege bei drei Millionen Euro, sagt Bürgermeister Peter Flach. Und er sagt noch etwas: "Die Kreisumlage ist kein Damoklesschwert, das über der Gemeinde hängt." Heißt: Selbst wenn die Umlage in den kommenden Jahren wegen des Neubaus eines Gymnasiums in Herrsching und einer Fachoberschule in Gilching steigen würde, wie es die CSU an die Wand malt, "tut sie das nicht um das Doppelte". Damit kann die Gemeinde umgehen, auch ohne Aldi, meint Flach. Aber natürlich, das gibt er zu, wären zehn Millionen in der Gemeindekasse schön.

Die Wünsche

Ein modernes Pflegeheim, ein neues Schützenheim, vielleicht noch eins für den Obst- und Gartenbauverein, neue Spielplätze, sichere und gut ausgebaute Straßen, Zuschüsse für Sport- und Trachtenverein, Räume für einen Lebensmittelladen, ein Sozialpädagoge für die Grundschule - mit Dollarzeichen in den Augen wünscht es sich leicht. Und es ist Wahlkampf, da wird schnell und viel versprochen. Wenn das alles realisiert werden würde, wären die zehn Millionen schnell weg, nicht zu reden von den Folgekosten. Ganz abgesehen davon, dass vieles gar nicht geht. Möchte die Kommune Gemeindestraßen ausbauen oder ertüchtigen, müsste sie die Straßenausbausatzung anwenden. Mit der Folge, dass die Anwohner kräftig mitzahlen. Für das Personal an Schulen ist das Ministerium zuständig, die Gemeinde ist nur Sachaufwandsträger. Und günstige Räume für einen Lebensmittelmarkt dürfte sie schon gar nicht zur Verfügung stellen. Das wäre ein Eingriff in den Wettbewerb und den verbietet das Kommunalrecht.

Der Verkehr

250 Lkw-Bewegungen pro Tag, mehr nicht, sagt Klöter. Laut Verkehrsexperte Harald Kurzak würde der Autobahnanschluss Wörthsee durch Aldi und die Umgehungsstraße Weßling nicht überlastet". Die Verkehrsqualität auf der Rampe der Auffahrt Richtung München werde auch in Zukunft die höchste Verkehrsqualität A haben. Lediglich für die wenigen Autofahrer aus Richtung Landsberg, die auf die Umfahrung Weßling wollen, hätten die schlechte Qualität D. Diese neue Berechnung reichte Kurzak erst am Dienstag nach. Sehr zum Missfallen der SPD, die sich nun fragt, ob diese Information den Bürgern vorenthalten werden sollte.

Die Natur Der Ziegelstadel liegt im Landschaftsschutzgebiet und ist von Wald umschlossen. Grüne und Naturschützer sind gegen die Versiegelung und Zersiedelung dieser Landschaft. In Bayern dürfen laut Landesentwicklungsprogramm neue Gewerbegebiete nur noch in der Nähe von Siedlungen gebaut werden. Von diesem Anbindungsgebot sind nur Logistikzentren ausgenommen. Wie lange dieses Gesetz gilt, weiß niemand. Auch bei der Windenergie haben sich Kommunen, Bürger und Investoren auf die Zusagen der CSU verlassen. Die Lindauer Autobahn ist noch eine der wenigen Entwicklungsachsen. Und in Etterschlag ist noch viel Platz.

© SZ vom 06.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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