Rüge des IOC gegen Norwegen:Trauerflor ist keine Propaganda

Winner Falla of Norway and her team mate, second placed Oestberg comfort Jacobsen after competing in the women's cross-country sprint free final at the Sochi 2014 Winter Olympic Games in Rosa Khutor

Freude und Trauer im Ziel: Die norwegischen Langläuferinnen nach dem Skiathlon in Sotschi

(Foto: REUTERS)

Den Athleten bei Olympia wird jedes Fitzelchen Menschlichkeit verwehrt. Das IOC hat die norwegischen Langläuferinnen gerügt, weil sie mit Trauerflor angetreten waren. Trauerzeichen mit Propaganda gleichzusetzen - das ist ein ziemlich starkes Stück. Mit diesem Standpunkt fällt das IOC sogar noch hinter den Fußball-Weltverband Fifa zurück.

Ein Kommentar von René Hofmann

Eishockey hat in Russland eine besondere Bedeutung. Und deshalb ist die Eishockey-Arena bei diesen Spielen auch ein besonderes Stadion. Es ist sogar ein Palast, der Bolschoj Eispalast, auf Englisch: "Dome". 12 000 Menschen finden darin Platz. Mehr kommen an keiner anderen Sportstätte unter. Fein symmetrisch geschwungen liegt die Halle am Schwarzen Meer, ihr Äußeres soll an einen gefrorenen Wassertropfen erinnern. Tagsüber schimmert der Bau silbern. Nachts, darauf sind die Schöpfer besonders stolz, beleuchten Computer-gesteuerte Leuchtdioden die Außenhülle.

Eine Technik, die das Internationale Olympische Komitee (IOC) auf geschickte Weise nutzt: Es projiziert die Namen seiner Sponsoren auf den Palast. Bei Nacht sieht der nicht mehr aus wie ein Wassertropfen, eher wie eine Discokugel. McDonald's, Coca-Cola, Samsung, Panasonic, Visa, Aeroflot - die Namen rotieren, schnell und riesig. Selbst das Logo des kleinsten Sponsors ist wesentlich größer als die fünf olympischen Ringe über dem Eingang des Palastes. Sponsoren-Namen, die alles überstrahlen - das ist der Eindruck, der bleibt, vom Olympia-Park bei Nacht.

Schöne Bilder: Hauptsächlich darum geht es bei diesen Spielen. Das war schon bei der Eröffnungsfeier überdeutlich zu spüren, als das russische Fernsehen die Aufnahmen unterdrückte, die zeigten, dass sich bei einer Installation der fünfte Ring nicht öffnete, und stattdessen Bilder aus der Probe einspielte. Das IOC fand das weder schlimm, noch erwähnenswert. Nicht nur die Gastgeber, auch die Rechteinhaber sind vor allem auf eines bedacht: Das Image soll stimmen. Welch zynische Ausmaße das annehmen kann, belegen nun zwei Vorfälle.

Am Samstag traten die vier Norwegerinnen im Skiathlon mit schwarzen Armbinden an. Marit Björgen, Heidi Weng, Therese Johaug und Kristin Stoermer Steira brachten so ihre Anteilnahme am Tod des Bruders ihrer Teamkollegin Astrid Jacobsen kurz vor Spiele-Beginn zum Ausdruck. Nach der Geste erhielt das Nationale Olympische Komitee von Norwegen Post vom IOC. In dem Schreiben wurde es gerügt. Die Vier hätten gegen Regel 50.3 der Olympischen Charta verstoßen. Diese besagt: "An den olympischen Stätten ist jede Demonstration oder politische, religiöse oder rassische Propaganda untersagt." Ähnliches hatten auch einige Ski-Freestyler zu hören bekommen, die an ihren Helmen Aufkleber hatten befestigen wollen, die an ihre vor zwei Jahren tödlich verunglückte Kollegin Sarah Burke erinnert hätten. Trauerzeichen mit Propaganda gleichzusetzen - das ist ein ziemlich starkes Stück.

Der neue IOC-Chef Thomas Bach, der sich in Sotschi müht, von sich das Bild eines eifrigen Kümmerers zu verbreiten, hinterließ bei einem Treffen mit den abgemahnten Norwegern den Eindruck, ihr Unverständnis verstanden zu haben, und stellte in Aussicht, die Regeln ändern zu wollen. Nur: Das ist überhaupt nicht nötig. IOC-Sprecher Mark Adams hatte das zuvor bereits klargestellt. Die Einwände des IOC hätten sich weniger auf den Wortlaut der Vorschriften gestützt. Es sei vielmehr um die Bilder gegangen. O-Ton: "Wir denken, dass die Wettkämpfe ein Ort der Freude sind", und kein angemessener Platz, Trauer auszudrücken. Adams weiter: "Wir möchten, dass das getrennt bleibt."

Ein zentrales Olympia-Wahrzeichen, direkt an dem Ort, wo jeden Abend die Medaillen verliehen werden, ist also der richtige Platz für gewaltige Werbe-Botschaften. Den Athleten aber, die angeblich doch im Mittelpunkt dieser Veranstaltung stehen, wird jedes Fitzelchen Menschlichkeit verwehrt. Mit diesem Standpunkt fällt das IOC sogar noch hinter den Fußball-Weltverband Fifa zurück. Dem lässt sich vieles vorwerfen. Dass Trauerflor Trikots sogar zieren kann - das hat sogar die Fifa verstanden.

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