Berlinale-Premieren:Flucht vor dem Elend

64. Berlinale - Pressekonferenz Catherine Deneuve

Wenn es vor dem Kino schöner ist als im Kino: Auf der Großleinwand vor dem Berlinale-Palast ist Catherine Deneuve zu sehen.

(Foto: dpa)

Aus Filmvorstellungen frühzeitig herauszugehen, das widerspricht in vielerlei Hinsicht unserer Sozialisierung. Doch bei dieser Berlinale muss es aus Gründen des Selbstschutzes manchmal sein - schließlich verdienen die guten Filme alle Kräfte des Zuschauers.

Von Paul Katzenberger

Aus Filmvorstellungen frühzeitig herauszugehen, das widerspricht in vielerlei Hinsicht unserer Sozialisierung. Doch bei dieser Berlinale muss es aus Gründen des Selbstschutzes manchmal sein - schließlich verdienen die guten Filme alle Kräfte des Zuschauers.

Wer schon einmal in Detroit oder in Marrakesch im Kino gesessen ist, der hat dort Menschen kennengelernt, die sich in ihrem Rezeptionsverhalten deutlich vom deutschen Kinogänger unterscheiden. Letzterer ist es ja gewohnt, vom Sitznachbarn auf Schärfste gemaßregelt zu werden, wenn er etwas zu laut mit seiner Salzstangentüte rascheln sollte, und insofern muss ihm die Unverkrampftheit, mit der hier Menschen ihr ganz persönliches Kinoerlebnis laufend ungehemmt zum Ausdruck bringen, als pure Lebenslust erscheinen.

Daneben wird leider aber auch unser antrainierter Ordnungssinn herausgefordert, weil sich das Publikum während der Vorstellung nicht im Geringsten in seinem Bewegungsdrang einschränken lassen will - es herrscht ein reges Kommen und Gehen. Wer wollte auch etwas gegen ein kleines Rauchpäuschen zwischendurch haben? Und mit den Kumpels muss man das Gesehene dabei schließlich auch mal zeitnah besprechen dürfen.

Von dieser Seite her ähnelt ein Filmfestival wie die Berlinale tatsächlich ein kleines bisschen dem Kinogang in Detroit oder Marrakesch. Denn es herrscht bei den Vorführungen zwar kein Kommen, doch mitunter ein sehr ausgeprägtes Gehen, wenn auch nur einmaliges und nicht mehrmaliges.

An dieser Stelle sei ein kleiner Exkurs zu meinem persönlichen Psychogramm in Hinblick auf das Herausgehen aus Kinofilmen gestattet. Als in Schwaben sozialisierter Kinobesucher ging ich aus Filmvorstellungen eigentlich nie vorzeitig heraus, es sei denn, es drohte eine dauerhafte Traumatisierung durch das Gesehene. Ein Film, der einfach nur fade oder schlecht war, reichte als Grund in aller Regel nicht aus. Schließlich war der Erwerb eines Kinotickets mit einem schmerzhaften finanziellen Obolus verbunden, man lässt als Schwabe schließlich nix verkommen. Und die Angst, etwas Sensationelles zu verpassen, nahm einem ja auch keiner ab.

Insofern bedurfte es einer gewissen Härte gegen mich selbst, vorzeitig aus Vorstellungen hinauszugehen, als ich anfing, auf Filmfestivals zu gehen. Dort macht dies der reine Selbstschutz leider erforderlich. Denn wer vier oder mehr Filme pro Tag sieht, der fängt an, durchzudrehen, wenn er bei schlechten Filmen nicht sofort die Reißleine zieht.

Besonders konsequent scheine ich dieses Kalkül aber nach wie vor nicht verinnerlicht zu haben, was mir immer dann auffällt, wenn ich manchen Kollegen bereits nach fünf Minuten schon wieder aus dem Kino stürmen sehe. Einem Film-Abbruch geht bei mir vielmehr immer ein quälend langer Abwägungsprozess voraus.

Typische Fragen, die mir in der Dunkelheit durch den Kopf gehen:

  • "Ich bleib noch fünf Minuten, vielleicht wird's ja noch spannend." (Passiert so gut wie nie, und das eine Mal, als es sich tatsächlich so zutrug, hält immer als Grund dafür her, nicht noch fünf Minuten geblieben zu sein, sondern eine halbe Stunde.)
  • "Dort vorne, in der zehnten Reihe, sitzt - glaube ich - der Regisseur. An dem jetzt vorbeizugehen, ist respektlos. Schließlich ist jeder fertiggebrachte Film eine tolle Leistung, egal ob der mir jetzt gefällt, oder nicht." (Ist zwar fast immer richtig, ist das Opfer weiterer quälender Kinominuten aber nicht wert.)
  • "Wenn ich jetzt rausgehe, verpasse ich was." (Mag sein, lässt sich aber nicht nachprüfen und ist insofern egal.)

Aus Filmen, die einem schlecht erscheinen, konsequent rauszugehen, ist also sehr häufig die einzig richtige Entscheidung, und ich kann auf mich selber stolz sein, sie bei dieser Berlinale erstmals bei Wettbewerbsfilmen umgesetzt zu haben. Doch das spricht dann womöglich nicht nur für meine Lernfähigkeit, sondern für eine außergewöhnlich schwankende Qualität dieses Festivaljahrgangs. Zwischen Glanz ("Grand Budapest Hotel") und Elend ("History of Fear") ist da alles dabei.

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