Indien und das Geschäft mit den Haaren:"Haben sie bei euch keine eigenen am Kopf?"

In Europa und anderswo tragen Menschen Haare, die eigentlich ein Geschenk für die Götter waren. Warum sich indische Frauen kahlscheren lassen - und was die verlausten Haare aus dem Süden so wertvoll macht.

Karin Steinberger

Ans Ende mag man gar nicht denken. Wenn jedes Haar gezählt, jede Nisse entfernt und jedes Strähnchen abgerechnet ist. Wenn Wärmezangen und Connectoren die Dinge aneinanderschweißen und spitznaglige Friseurinnen in London oder Rosenheim Honigblondes und Dunkelschwarzes einarbeiten, wenn sich Wildfremde an seidenweicher Pracht berauschen, die hinunterhängt bis in unbezahlbare Längen.

Indien und das Geschäft mit den Haaren: Wervolles Gut: Echthaar aus Indien wird in die ganze Welt exportiert.

Wervolles Gut: Echthaar aus Indien wird in die ganze Welt exportiert.

(Foto: Foto: Karin Steinberger)

Doch noch kein Wort davon, wie sich Hornfäden in pures Gold verwandeln. Wie Göttliches in gigantische Haartürme umgearbeitet wird. Nicht hier, am heiligsten Ort, hoch oben auf den Tirumalahügeln in Tirupati, im Tempel von Gott Venkateswara, wo P.Rangaraju sitzt, Tempelfriseur Nummer 54, die Beine überkreuz, vor sich einen Kopf, nach vorne geneigt, ausgeliefert, wie ein Schaf beim Scheren.

Die Frau hockt vor ihm auf kalten Kacheln, das Zettelchen in der Hand: 15.30 Uhr, Barber 54. Hält still auf nackten Füßen, Mann und Kind sind schon kahl und starren das Häufchen an, das sich in der Rinne türmt, schwarz und fettig, Mutters Haar, Mutters Schönheit, Mutters Geruch - und ihre Läuse dazu.

Rangaraju arbeitet schnell und fehlerlos, schaufelt aus einem Eimer Wasser über den Kopf, setzt an, arbeitet sich von der Schädelmitte runter zu den Ohren, vor zum Gesicht, immer der gleiche Schnitt, die gleiche Prozedur, acht Stunden am Tag, 50 Tonsuren pro Schicht, sagt er und nickt dem Ehemann zu. Der ganze Saal ist voller Friseure, jeder mit Nummernschild hinter sich an der Wand, jeder mit Kundschaft, jeder mit einer Bestzeit pro Kopf, die gebrochen werden will. Alles voller Haar, alles voller Mensch. Fließbandarbeit im heiligen Bezirk.

Die Tücken des Schädels

Seit 27 Jahren ist P. Rangaraju Tempelfriseur am heiligen Berg. "27 Jahre Service", sagt er. Er mag das, wenn sich die Köpfe vor ihm senken, wie Gras im Wind, immer in eine Richtung, immer zu einem Zweck. Er kennt sie, die Tücken der Schädel, die Dellen und Beulen, die verwachsenen Narben, jeder Kopf ein Relief. Es gibt hier nur einen Schnitt: Vollrasur, 20.000 Mal am Tag, den Göttern zum Dank, dem Tempel zum Wohle. Rangaraju weiß, wie man Menschen vom Haar befreit.

Die Frau vor ihm sitzt still. 30 Jahre ist sie alt. Sie starrt auf die Füße des Friseurs, auf seine verwachsenen Zehen, in denen sich die Haare verfangen, denkt an all die Stunden, die sie mit diesem Haar verbracht hat, hinunter bis zu den Hüften, dunkel wie Mahagoni, ein Kampf an jedem Tag, denkt an all das Öl, das in dieser Pracht verschwunden ist. Denkt auch an die Krankheit in ihrer Brust und die wundersame Heilung. Das Haar ist ihr Dank, ihre Bezahlung an Gott, der sie hat leben lassen. Es ist eine Erlösung, es loszuwerden.

Zwei Tage war sie mit der Familie unterwegs, um hierher zu kommen, drei Stunden stand sie an, um sich am "Free Tonsure Token Counter" ihren Zettel zu holen mit Uhrzeit und Friseurnummer und frischer Rasierklinge. Tirupati ist ein 24-Stunden-Betrieb mit 14.000 Angestellten. Kein anderer Tempel in Indien ist so gut organisiert, keiner so reich. Es kommen mehr Pilger als nach Mekka oder Rom, 50.000 an normalen Tagen, 19 Millionen im Jahr, um dem mächtigsten aller Götter Geld zu bringen, oder Haar. Tonnenweise. Langes, kurzes, schwarzes, graues. Indisches Echthaar.

Ohne die Götter müssten sie sich etwas anderes einfallen lassen.

Auf der nächsten Seite: Was der Tempel mit dem Geld macht, das er mit den Haaren verdient.

"Haben sie bei euch keine eigenen am Kopf?"

Das Geschäft mit dem Haar, hier scharrt es und kratzt es, manchmal blutet es leicht. "Er ist der mächtigste aller Götter", sagt Rangaraju, schaut hinauf ins Neonlicht, als würde er dort hocken, Lord Venkateswara, Inkarnation des Gottes Vishnu. Mehr sagt er nicht. Warum auch. Wenn der Mächtige wollte, könnte er aus Köpfen Goldfäden wachsen lassen. Aber er will nicht, er will nur ihre Schönheit, ihr Ego, ihre Eitelkeit. Ihr Haar.

Indien und das Geschäft mit den Haaren: Haar in Tüten: Beim Geschäft mit dem Haar gibt es nur Barzahlung und kein Rückgaberecht.

Haar in Tüten: Beim Geschäft mit dem Haar gibt es nur Barzahlung und kein Rückgaberecht.

(Foto: Foto: Karin Steinberger)

So fängt es an, das Geschäft. Voller Ehrfurcht. Sie geben es, weil er ihnen Gesundheit schenkt, gute Noten, einen reichen Schwiegersohn. Es gibt so viele Gründe, sein Haar zu lassen, im Tempel des mächtigen Gottes, der hier seit Jahrtausenden in ewiger Finsternis hockt, mit glühend roten Augen, von Diamanten umsäumt, eine Mähne von Haaren drumherum. Seine Augen, heißt es, werden die Erde verglühen, wenn sie das Sonnenlicht erblicken.

Keiner hier fragt, was die Tonne Haar, die die Menschen hier jeden Tag lassen, wert ist, wenn es gewaschen und gekämmt, entlaust und gewogen wurde. Keiner fragt. Sie haben es Gott geschenkt.

Und der Tempel investiert das Geld, das er mit den Haaren verdient, in Schulen und Universitäten, in Bibliotheken und in die Lehre des Hinduismus, er bezahlt Essen und Massenhochzeiten für die Armen.

Sie zeigen ihre kahlen Schädel

Ein Kopf nach dem anderen neigt sich zu Rangaraju, Kinder, Frauen, Männer, Babys, die schreien, wenn er die kalte Rasierklinge auf ihren Hinterköpfen ansetzt. Die Frau steht jetzt kahl im Saal, ihr Schädel leuchtet weiß. Dann verschwindet sie mit Mann und Kind, duscht, schmiert sich Asche aufs Haupt, geht hinüber zu den Warteschlangen des Tempels, acht Stunden, zehn Stunden, manche stehen Tage, um Gott in seinem finsteren Loch zu sehen. Sie werfen sich auf den Boden, berühren Steine, Blumen, irgendwas, wenn sie vorbeigeschoben werden, Wärter treiben die Menge weiter. Hunderte, Tausende, Millionen, um ihm ihre kahlen Schädel zu zeigen.

In der feuchten Rinne vor Friseur 54 liegt es, das Haar der Frau, schwarz wie Mahagoni. Ein Häuflein. Zweihundert Gramm vielleicht, oder dreihundert. Das reicht am Ende für ein paar hundert U-tip gebondete Echthaar-Strähnchen.

Für was bitte? Die Sammelfrauen schauen sich an. Sie kichern nicht einmal mehr. Sie sammeln Haar, das ist ihr Job, tonnenweise kehren sie es zusammen, Männerhaar, Frauenhaar, kurz, lang, kommt alles in Kanister, die versiegelt sind und verschlossen und bewacht wie Tresore in der Bank of India. Von den anderen Dingen wissen sie nichts. Von Microrings und Shrinkies, von Echthaartressen, Glanzversiegelungen und Single Drawn Qualität. Sie halten ihre Besen in der Hand wie Waffen, kein Haar darf liegenbleiben. Ein Zopf schon gar nicht.

Auf der dritten Seite lesen Sie, warum Echthaar sich wieder so gut verkauft und welche Haarsorten verkauft werden.

"Haben sie bei euch keine eigenen am Kopf?"

Indien und das Geschäft mit den Haaren: Haar ist nicht gleich Haar. Es gibt Männerhaar, Barthaar, Resthaar. Und es gibt Frauenhaar. Das ist lang und seidig.

Haar ist nicht gleich Haar. Es gibt Männerhaar, Barthaar, Resthaar. Und es gibt Frauenhaar. Das ist lang und seidig.

(Foto: Foto: Karin Steinberger)

Natürlich reden sie manchmal auch über die Leute, die dieses klebrige Durcheinander kaufen. Menschen sind es, aus anderen Universen, aus Amerika und Europa, Victoria Beckham, Paris Hilton, Jennifer Lopez, behängt mit Fremdhaar. "Wozu brauchen sie dort so viele Haare?", fragt eine. "Haben sie bei euch keine eigenen am Kopf?" Dann kichern sie, kehren weiter, schütten alles in Gottes Haarsammelkanister. Was sie hier an einem Tag vom Boden kehren, ist sehr viel mehr wert, als sie in einem Jahr verdienen.

Ein paar Meter Platinblond

"Tempelhaar ist harte Arbeit. Es ist durcheinander, lang, kurz, mit Läusen, alles dabei." Das sagt L.A. Kishore, jung wie er ist, und doch schon ein Profi. Er muss es wissen, er ist mitten im Haar aufgewachsen. Der Urgroßvater, der Großvater, der Vater, seit vier Generationen sind sie im Geschäft. Das ganze Haus voller Haar. Göttlich ist hier nichts mehr. Sie nennen Kishores Familie die "Human Hair People" in Madras. Der Vater sitzt im Zimmer und schaut dem Sohn zu, wie er Haarbündel herumträgt. Als er anfing, war das Geschäft noch ein anderes. "Haar war so billig", sagt er.

Einfach war es trotzdem nicht. Es gab immer wieder Höhen und Tiefen, 1962, als das falsche Haar kam, wollte kein Mensch mehr Echthaar haben. Bis sie merkten, dass das Plastik am Kopf nicht taugt. Dann kam die indische Regierung und verbot erst das Geschäft, dann wollte sie mitverdienen.

Der Vater hat sich mehrmals umgestellt, hat Barthaar nach Korea verkauft, wo sie daraus Aminosäuren herstellen für Medizin und anderes. Er verkaufte mal langes Haar, mal kurzes. Die Auswahl war immer überschaubar. Die Kundschaft auch. Er zählt Adressen auf von damals: Salzburg, Hongkong, Kuwait. P.O. Box, Straßenname, hat alles noch im Kopf. Wenn Haar gerade nicht ging, verkaufte er Pfauen- und Hühnerfedern.

Der Sohn exportiert in fast alle Länder, er führt mehr als 500 Haartypen. Falsches, echtes, kurzes, langes, remy, nonremy, in Bündeln, in Zöpfen, in hauchdünner Glanzversiegelung, jungfräulich, chemisch behandelt, gebleicht, gefärbt, aufgefädelt, gerade, lockig, dauergewellt, die Länge wie gewünscht, platinweiß, honigblond, espressobraun, tiefschwarz. Alles gestapelt in einer Kammer, in der es nach Öl und Haarconditioner und Shampoo riecht. "Wir haben unsere Methoden", sagt Kishore und sperrt das Haarzimmer wieder zu. Mehr sagt er nicht. Betriebsgeheimnis. Jeder macht es anders, jeder wäscht das Haar anders, kämmt es anders, bleicht es anders.

Im nächsten Abschnitt: Das beste Haar

"Haben sie bei euch keine eigenen am Kopf?"

Indien und das Geschäft mit den Haaren: Ein Kind vor der Rasur ...

Ein Kind vor der Rasur ...

(Foto: Foto: Karin Steinberger)

. Wer glaubt, man kann in diesem Geschäft nichts falsch machen, sollte es bleiben lassen.

Denn Haar ist nicht gleich Haar. Es gibt Männerhaar, Barthaar, Resthaar, es gibt das Haar der Sikhs, es gibt Tempelhaar und Dorfhaar, es gibt aus Kämmen gesammeltes Haar. Und es gibt Frauenhaar. Lang und seidig. Bares Geld, wenn es der Friseur zusammenknotet, bevor er es schneidet, so dass oben und unten nicht durcheinandergeraten, Haarwurzel und Haarspitze. Nur dann ist alles in einer Richtung, die Schuppenschicht gesund, gut kämmbar. Nur dann ist es Remy Hair.

"Remy Hair". Kishore spricht das Wort aus wie den Namen einer Geliebten. Dann breitet er seine Ware aus. Neben ihm hockt eine Arbeiterin am Boden, die seit Stunden Platinblondes auffädelt. Drei Meter weißes Haar, in winzigen Strähnchen aufgeknüpft, mit vier Fäden verwoben, vom Tischbein zum Stuhlbein, quer durchs Zimmer. Acht Stunden braucht sie für zweihundert Gramm, das sind vier Meter. Eine Maschine schafft zehn Kilogramm am Tag. "Die Frauen sind trotzdem billiger", sagt Kishore und fährt mit der Hand durchs weiche Blond. Zwar werden auch Arbeiter immer teurer, aber Maschinen sind unbezahlbar. Jede Woche müssen sie repariert werden, weil die Haare alles verkleben, er leistet sich trotzdem ein paar.

Der Markenname der Nähmaschine ist abgeklebt. Noch ein Betriebsgeheimnis. Sie haben viel Kundenverkehr, aus aller Welt kommen sie und kaufen ein, manche nur ein paar Strähnchen, andere für Tausende Dollar. Die ganze Branche ist misstrauischer geworden, nicht mehr wie beim Großvater. Damals kannte man sich und schickte Angebote noch per Brief zur Kundschaft nach Japan, 25 Tage hin und 25 zurück. Heute bekommt man einen Anruf aus Nairobi oder Los Angeles oder Bonn, und nach einer Stunde ist das Geschäft erledigt. Neben dem Vater hockt ein Kunde. Er wartet auf das blonde Haar. A.L. Kishore scherzt: "Wenn mir das Geld ausgeht, schneide ich meinen Mitarbeitern die Haare ab." Alle lachen.

Wo es doch gar nicht zum Lachen ist. Es war der Minister für Textilien und Kommerz in Tamil Nadu, E. V. K. S. Elangovan, der vor kurzem warnte: "Tirupati und all die anderen Tempel zusammen liefern nur 20 von 100 Premiumhaarlocken. Wo der Rest herkommt, weiß keiner... Es gibt keine Restriktionen beim Import oder Export von Menschenhaar, alles ist erlaubt. Das ist natürlich eine Umgebung, in der Illegalität blüht."

Sheeba Paul sitzt am Tisch, starrt ins Schwarz, zupft Nissen heraus. "Es ist ein großes Chaos", sagt sie, zupft weiter. Die Nissen leuchten hell im dunklen Haar. "Früher waren nur Experten im Geschäft, aber dann kamen diese neuen Leute, die alles für jeden Preis kaufen, ohne sich auszukennen. Sie probieren es einmal, verlieren Geld und kommen nie wieder. Den Preis verderben sie trotzdem, er ist um 30 Prozent gestiegen", sagt sie, ihr blaues Gewand bebt.

Seit 2006 sind sie da, die Preisverderber. Sheeba Paul ist seit 2002 im Geschäft. Eine Frau, das ist in Indien einmalig. Nicht weit weg von "A.L. Kishore's Hair Co" hat sie ihre Firma "Exodus Exports", 35 Mitarbeiter. Oben am Dach trocknet das neu gelieferte, frisch gewaschene Haar, Hunderte Zöpfe, an Wäscheständern aufgehängt.

Nachschub aus den Dörfern

Sheeba Paul ist klein und energisch, das ist auch nötig in diesem Geschäft, in dem es nur Barzahlung gibt und kein Rückgaberecht. Haar gegen Geld, alles auf Vertrauen. Wer die Ware schickt, bevor das Geld da ist, hat verloren. Und ein Ende ist nicht in Sicht. Eine Haarverlängerung hält nicht ewig. Dann muss neues Material her.

1990 fing der Boom an, die ganze Welt braucht jetzt Haar, kaukasisches ist selten, chinesisches zu hart. Das Exportvolumen von indischem Haar soll sich in drei Jahren von 50 auf mehr als 100 Millionen Euro verdoppelt haben. Tempelhaar allein reicht da schon lange nicht mehr.

Es sind die Dörfer, die den Nachschub liefern. Dort glauben sie noch an die Götter, die Alten jedenfalls. Es wird immer mehr graues Haar, die Jungen behalten ihre Pracht. Wenn sie können. Es gibt Gerüchte über Banden, die mit Rasierern herumlaufen und Mädchen das Haar klauen. Es soll Männer geben, die ihre Frauen zwingen, sich den Kopf scheren zu lassen für ein paar Rupien. Haarsammler tauschen in Slums billige Plastikhaarklammern gegen Zöpfe. "Wir sind vorsichtig, bei wem wir kaufen", sagt Sheeba Paul.

Im letzten Abschnitt lesen Sie, warum das Haar im Süden besser ist als im Norden.

"Haben sie bei euch keine eigenen am Kopf?"

Indien und das Geschäft mit den Haaren: .. und nach der Rasur.

.. und nach der Rasur.

(Foto: Foto: Karin Steinberger)

Betrogen hat man sie trotzdem schon. Sie schmieren Öl ins Haar, um die Lieferung schwerer zu machen, mischen kurzes Haar zwischen langes. Solche Sachen.

Und für die Tempelauktionen fehlt ihr das Geld, obwohl der Einkaufspreis dort nur halb so hoch ist. "Jede Lieferung hat Überraschungen, aber Tempelhaar ist Roulette", sagt sie. Wie viel langes, wie viel kurzes man bekommt, weiß man nicht. Und es sind gigantische Mengen. In Tirupati muss man für mindestens 30.000 Dollar kaufen. Und man bekommt immer auch Männerhaar. Kurz und durcheinander. "Das ist eine völlig andere Fachrichtung", sagt Sheeba Paul. Sie jedenfalls kann es nicht gebrauchen. Es geht fast alles nach China und Korea, dort werden Anzugstoffe daraus gemacht, oder Kosmetikpinsel, oder Perücken aus Echthaar, nonremy. Damit das Haar nicht verfilzt, wird es mit Säure behandelt, um die Schuppenschicht zu entfernen.

Der Schatz der Jungfrauen

Andere Fachrichtung, andere Preise. Es ist ein Geschacher. Und es ist hauptsächlich ein Geschäft des Südens.

Hier in Madras sitzen sie an der Quelle, Tirupati ist nicht weit, und es gibt fast keinen Tempel, der nicht Haar hat. Die Frauen sind traditioneller, haben langes Haar, nicht wie die Frauen in Delhi und Bombay, wo es immer kürzer wird und bunter. Die ganze Stadt ist voller Kleinsthaarbetriebe. S.V. Kamala Kannan ist so einer. Er nimmt den Leuten das Zeug ab, das sie sonst wegschmeißen würden. Er nennt es Recycling. Er sammelt Haar aus den Kämmen der Frauen. Verfilzte, ölige Haarknäuel. Er lebt davon. Andere auch. Immer um 14Uhr treffen sie sich beim Eisenbahnwerk und verkaufen es. 20 Euro für einen 40-Kilo-Sack.

So eine Keratinfaser lebt ja nicht ewig, da fällt immer etwas ab. Bei den Nachbarinnen, den Slumfrauen. Er hockt am Boden in einem kleinen, stickigen Zimmer, alles ist voller verfilzter Haarflocken, es staubt, als er sie in Säcke schaufelt. Neben ihm quatschen Frauen, die die störrischen Haarnester auseinanderzupfen.

Es ist eine mühsame Arbeit. Irgendwann sind es keine Knoten mehr, sondern einzelne Haare, die sie vermessen und sortieren und frisieren. Nach Dicke und Länge und Farbe. Eine alte Frau steht an der Tür, hält einen kleinen Zopf in die Höhe. "Remyhair", sagt sie. Man könnte ihn jetzt kaufen für ein paar Euro. Kamala Kannan bemerkt sie gar nicht.

So ist das Geschäft, es lässt nicht nur die Götter leben.

Auch Sheeba Paul lebt davon. Sie sagt: "Das Haar im Süden ist besser, weil sie es im Norden mit Henna verderben." Dieses Haar sei zwar verlaust, aber jungfräulich. "Virgin hair", nie gefärbt, nie gebleicht, aus Armut unbehandelt, Haar, das nur mit Öl in Berührung kam. "Daraus kannst du jede Farbe machen", sagt sie, ein paar kastanienbraune Echthaartressen in der Hand. Sie fährt über das seidige Haar. Lächelt.

Dann dreht sie sich um, ihr langes Haar fliegt um sie herum. Hundert Gramm dürften es sein.

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