Modell gegen den Ärztemangel:Landarzt in Festanstellung

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Erstmals in Deutschland lockt eine Gemeinde Ärzte mit Festanstellung. Mediziner in Büsum werden aus der Gemeindekasse bezahlt, sie können im Team und in Teilzeit arbeiten. Für den Ort in Schleswig-Holstein mit 5000 Einwohnern ist es ein wirtschaftliches Risiko. Aber der Bürgermeister findet: "Besser als mit Aktien zu spekulieren."

Von Marc Widmann

Diese Luft. Manchmal trägt sie Regen heran, tagelang, dagegen haben sie hier den Eiergrog erfunden. Meistens schmeckt die Luft nach Salz, nach Weite, nach Freiheit, sie bläst den Stadtmenschen ihre Sorgen aus dem Kopf, sie kühlt im Sommer, wenn sich die Touristen tummeln. Wer in Büsum lebt, an der Westküste Schleswig-Holsteins, kann morgens vor der Arbeit barfuß durchs Watt laufen und mittags frische Nordsee-Krabben essen. Trotzdem will hier niemand arbeiten. Zumindest kein junger Hausarzt.

Drei der fünf Mediziner gehen demnächst in Ruhestand, Nachfolger sind selbst vom Büsumer Leuchtturm aus nicht in Sicht. "Man kann die Jahre bis zur Katastrophe zählen", sagt Delf Kröger von der Kassenärztlichen Vereinigung in Schleswig-Holstein.

Da hilft es wenig, dass die Büsumer jetzt sogar einen künstlichen Sandstrand aufgespült haben. Die jungen Ärzte, inzwischen meist Ärztinnen, wollen nicht aufs platte Land. Sie wollen sich nicht hoch verschulden für eine Praxis, sie scheuen die 60-Stunden-Wochen als Einzelkämpfer und möchten Zeit für die Familie haben. Deshalb macht Büsum ihnen nun ein Angebot. Es ist ein Experiment aus der Kategorie: Not macht erfinderisch.

Not lässst viele Experimente gedeihen

Um die fünf Millionen Euro will Bürgermeister Maik Schwartau ausgeben. Ein neues Ärztehaus will er bauen und einrichten, eine neue Heimat für die Hausärzte des Kurorts. Die alteingesessenen Mediziner, 62 Jahre alt im Schnitt, haben schon zugesagt, dass sie dort einziehen würden. Und wenn sie bald in Rente gehen, soll etwas Einmaliges in Deutschland passieren: Ihre Nachfolger arbeiten dann nicht mehr auf eigene Rechnung, sie werden von der Gemeinde unter Vertrag genommen, als Angestellte. Ohne finanzielles Risiko, mit geregelten Arbeitszeiten und der Möglichkeit, im Team zu arbeiten. Oder in Teilzeit.

"Gemeinde-Praxis" heißt die Idee, sie ist durchaus kühn für eine kleine Stadt, die gerade mal 5000 Einwohner und im Sommer 20 000 Touristen beherbergt. Aber Bürgermeister Schwartau sagt: "Wenn ich dafür kein Risiko eingehe, wofür denn dann? Das ist besser, als mit Aktien zu spekulieren."

Auch zwei weitere Gemeinden an der Küste wollen das Experiment wagen, Lunden und St. Michaelisdonn, ihre Lage ist ähnlich prekär. Eine Änderung des Sozialgesetzbuches aus dem Jahr 2012 macht es möglich. Seither dürfen Kommunen "in Ausnahmefällen" selbst Arztpraxen betreiben. Zum Beispiel, wenn sie die Versorgung anders nicht mehr sichern können.

Die Not lässt derzeit viele Experimente gedeihen. In Thüringen organisiert die Kassenärztliche Vereinigung eigene Praxen, für die sie beispielsweise Ärzte im Ruhestand anheuert. In Brandenburg werden junge Landärzte mit Umsatzgarantien gelockt, in Sachsen-Anhalt ködert man sie mit Stipendien. Am kreativsten war vor wenigen Jahren das Dorf Lette im Münsterland: Der Bäcker bot kostenlose Brötchen, der Metzger Mittagessen gratis, der Friseur Haarschnitte - wenn sich nur ein Arzt erbarmt. Vergeblich. Es kam keiner.

In Büsum dagegen hat Bürgermeister Schwartau diese Woche schon eine Bewerbung per E-Mail bekommen. Eine junge Ärztin will in die Gemeinde-Praxis einziehen, obwohl die frühestens 2015 fertig ist. Schwartau kann es kaum glauben. "Das läuft gut", sagt er.

© SZ vom 22.02.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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