Russlands Sieg im Medaillenspiegel:"Beneide uns, Planet"

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Viktor Ahn (links) und Vic Wild freuen sich über ihre Goldmedaillen, die sie zum Ruhme Russlands gewonnen haben

(Foto: AFP)

Russland gewinnt mit 13 Goldmedaillen die Länderwertung bei den eigenen Olympischen Spielen - auch wegen geschickter Einbürgerungspolitik. Ein Cowboy aus Klickitat County und ein schüchterner Südkoreaner lassen die Gastgeber jubeln.

Von Johannes Aumüller und Thomas Hahn

Eine Frühlingssonne schien wie ein russisches Lebenszeichen über dem Langlaufzentrum Laura von Krasnaja Poljana, stolz trugen die Leute ihre weiß-blau-roten Fahnen den Berg hinunter, und der Langläufer Alexander Legkow war auf einmal so entspannt, wie man ihn in der Öffentlichkeit selten sieht. Ein Lächeln ruhte in Legkows kantigem Gesicht. Er war jetzt der Stolz seines russischen Vaterlandes, er hatte das Königsrennen der Olympischen Spiele gewonnen, den 50-Kilometer-Massenstart in freier Technik, und das auch noch vor zwei Landsleuten, vor Maxim Wylegschanin und Ilja Tschernoussow.

Er feierte sich mit bescheidenem Selbstlob, er bekam Applaus dafür, aber irgendwann musste er auch seinen Trainer hervorheben, mit dem er trotz auslaufenden Vertrages gerne weiterarbeiten würde. "Mit ihm habe ich verstanden, was ich tun und was ich lassen muss", sagte Legkow, und das war kein Lob auf die alte russische Ausdauerschule. Im Gegenteil. Legkow trainiert wie Tschernoussow bei Reto Burgermeister aus der Schweiz, der für eine kreativere Trainingslehre steht.

"Beneide uns, Planet"

13 Goldmedaillen hat Russland bei diesen Spielen gewonnen, so viele wie keine andere Nation. Genauso wie vor vier Jahren in Vancouver hat sich das Gastgeberland wieder durchgesetzt, was gerade an diesem medaillenreichen letzten Olympia-Wochenende noch einmal zu vielen stimmungsvollen Momenten führte. "Beneide uns, Planet", titelten russische Internet-Seiten. Bei allem Jubel haben die Russen aber auch zugestehen müssen, dass ihr Sport von ein paar sehr vitalen Gastarbeitern profitiert. Und diese Gastarbeiter arbeiteten keineswegs nur als Trainer im Hintergrund wie beim Landsmann Legkow. Sie halfen auch als Stars in der Arena mit.

Die Biathletin Darja Domratschewa (Weißrussland) oder der Halfpipe-Snowboarder Iouri Podladtchikov (Schweiz) sind einst aus dem Riesenland in eine andere Heimat übergelaufen. Andere Athleten haben in Russland ihr Heil gefunden - und Russland sein Heil in ihnen. Gleich fünf Goldmedaillen kommen von zwei Sportlern, die erst in den vergangenen Jahren eingebürgert wurden: Vic Wild, 27, geboren in White Salmon im US-Bundesstaat Washington, hat am Samstag beim Parallelslalom von Rosa Chutor sein zweites Gold im Alpin-Snowboarden unter russischer Flagge gewonnen. Viktor Ahn, 28, aus Seoul, ist seit seinem 500-Meter-Erfolg vom Freitagabend Russlands Dreifach-Olympiasieger von Sotschi.

Ein Cowboy aus Klickitat County und ein schüchterner Asiate als Stimmungsretter der Spiele, die viele Fans nach dem Aus der Eishockey-Mannschaft schon als beendet ansahen - das neue Russland kann ganz schön bunt sein, wenn es der Bilanz dient.

Schwer zu sagen, ob sich die Russen mit Vic Wild wirklich identifizieren können. Gejubelt haben sie jedenfalls für ihn bei seinen wilden Ritten auf zerfurchter Piste. Seine Tänze durch den Stangen-Parcours wirkten wie Rodeo-Auftritte, im Halbfinale holte er gegen den Österreicher Benjamin Karl einen Rückstand von 1,12 Sekunden auf. Die Tribüne bebte vor Russland-Glück. Später allerdings hat Vic Wild dann nicht das Spiel von der großen Vaterlandsliebe spielen können. Er hatte nach seinem ersten Gold offensichtlich ein bisschen etwas in US-Zeitungen gelesen, und es war ihm ein Bedürfnis, die Beweggründe seines Wechsels klarzustellen.

"Ich bin nicht für was Besseres weggegangen"

In den USA gibt es praktisch keine Förderung mehr für Alpin-Snowboarden, der Sport geht dort ganz in der Freestyle-Sparte auf. Wild hätte aufhören müssen, wenn er die russische Chance nicht bekommen hätte. 2011 heiratete er die russische Snowboarderin Alena Zawarzina, dadurch konnte er 2012 wechseln. Russland stattete ihn mit erstklassigen Trainingsmöglichkeiten und Material aus. Vic Wild erzählt dankbar davon, und er schenkte den Russen ja dann auch nicht nur zwei Gold-Medaillen; bei seinem Parallelriesenslalom-Sieg gab es eine richtige kleine Gewinner-Romanze, weil seine Alena gleichzeitig Bronze bei den Frauen gewann. Aber Amerika will er offensichtlich auch nicht verprellen. "Ich bin nicht für was Besseres weggegangen", sagt Vic Wild mit Nachdruck, "ich bin weggegangen, um überhaupt weitermachen zu können, das ist alles."

Vic Wild hat für sein altes Land nie etwas gewonnen. Der Shorttracker Viktor Ahn schon. 2006 in Turin war er schon einmal Dreifach-Olympiasieger, damals noch unter dem Namen Ahn Hyun-Soo. Südkorea freute sich. Doch dann verletzte Ahn sich, fiel lange aus - und als er zurückkommen wollte, war in Südkoreas Team kein Platz mehr für ihn. Wie er danach zu den Russen kam, ist schon auf diverse Varianten erzählt worden. Früher hieß es, der Gastgeber der Sotschi-Spiele habe Shorttracker gesucht, weshalb sie erst den Ukrainer Wladimir Grigorjew einbürgerten - und dann Ahn. In diesen Tagen hat der Verbandspräsident Alexej Krawzow erzählt, dass er von Ahns Onkel eine Mail bekommen habe, in der dieser von den Wechselabsichten des Neffen berichtete.

10 000 Dollar und ein neuer Vorname

Auf jeden Fall erhielt Ahn in Moskau beste Trainingsbedingungen, inklusive eines Stipendiums über angeblich 10 000 Dollar monatlich. Den Vornamen Viktor wählte er als Würdigung des bekannten russischen Rockmusikers Viktor Zoj, dessen Vater Koreaner war. "Am Anfang hatte ich Zweifel, ich hatte Gedanken, nach Korea zurückzukehren", sagt Ahn. Doch als dann die Verletzung auskuriert war und auch seine Frau eingebürgert wurde, lief es besser.

In Südkorea, Gastgeber der nächsten Spiele, hat sich Ahns Erfolg fast zu einer Staatsaffäre ausgeweitet. Wie es nur sein könne, dass so jemand den Verband gewechselt habe, fragen viele; selbst die Staatspräsidentin Park Geun-Hye hat sich eingeschaltet. Dass Ahn noch einmal zurückkehrt, können sie nicht erwarten. Er will in Russland bleiben und als Trainer arbeiten. Nach einer Siegerehrung vermerkten die russischen Medien anerkennend, wie textsicher Ahn schon die Nationalhymne mitgesungen habe. Über Vic Wild allerdings konnte das niemand berichten.

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