Krise in Griechenland:Jung, frustriert, chancenlos

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Proteste in Thessaloniki, September 2013: Tausende gingen auf die Straße, um gegen die Sparmaßnahmen der Regierung zu demonstrieren. Nun jubelt zwar das Parlament über einen Haushaltsüberschuss. Doch der Alltag junger Griechen ist noch immer trist.

(Foto: AFP)

Alltag in Thessaloniki: Junge Menschen betteln andere junge Menschen um Geld an. Die Lage in Griechenland hat sich zwar gebessert. Doch gut ausgebildete Griechen stecken in Pseudo-Jobs fest, in denen sie kein Geld verdienen. Sie sind frustriert und wütend. Das wird sich bei der Europawahl zeigen.

Ein Gastbeitrag von Theodora Matziropoulou

Ein Samstagabend in Thessaloniki. Vor meinem Wohnhaus nähert sich mir ein junger Mann. Ich vermute, dass er süchtig ist. Er will Geld von mir.

Ich stecke meine Hände in die Jackentaschen und ziehe meine Tasche enger an mich. "He, junge Frau, brauchen Sie Hilfe?" Ich lächele ihn an und suche weiter in meinen Taschen. Nie findet man Münzen, wenn man sie braucht. "Es ist wirklich beschämend, einen jüngeren Menschen um Geld anbetteln zu müssen, noch dazu wenn er jünger ist als man selbst. Mit älteren Menschen habe ich da keine Probleme, aber du bist ungefähr in meinem Alter."

Er spricht weiter sehr freundlich zu mir. Ich beruhige mich ein bisschen. Doch in solchen Situationen bin ich einfach angespannt, weil ich nicht weiß, was auf mich zukommt.

"Es ist schrecklich. Vor einigen Jahren fand man wenigstens noch einen Job und konnte sich täglich einen Mindestlohn verdienen. Doch jetzt..." Er stockt kurz. "Es ist Samstagabend und eigentlich sollte ich dich irgendwo auf einen Drink einladen, stattdessen bettele ich dich um Geld an." Endlich finde ich eine Zwei-Euro-Münze und ziehe meine Hand aus der Jackentasche. "Hier, bitte", sage ich, "einen schönen Abend noch. Wer weiß, vielleicht ändern sich die Dinge ja. Eines Tages wirst Du den Samstagabend mit einer Frau und einem Drink verbringen." Er lächelt und macht kehrt.

Höchste Arbeitslosenquote aller EU-Mitglieder

Den jüngsten Eurostat-Zahlen zufolge hat Griechenland die höchste Arbeitslosenquote aller 28 EU-Mitgliedstaaten (28 Prozent) sowie die höchste Arbeitslosenquote von Menschen unter 25 Jahren (61,4 Prozent). Dies bedeutet in absoluten Zahlen, dass im Herbst 2013 von den 1,388 Millionen Arbeitslosen 174 000 junge Menschen auf Arbeitsplatzsuche waren.

Neulich habe ich auf Facebook eine Diskussion über Stellenbewerbungen sowie über die Motivation gelesen, die junge Menschen angeben sollen, wenn sie sich auf einen Job bewerben. Es ging um die Frage, was man im Pflichtfeld "Warum möchten Sie bei uns arbeiten?" angeben sollte. "Weil ich durch Arbeit meine Selbstachtung zurückerhalten möchte", schrieb jemand. Unter dem Kommentar entsponn sich eine Debatte. Es gehe darum, Erfahrungen zu sammeln. "Na klar! Erfahrungen macht man, wenn man nicht das erhält, was man möchte", zitierte ich einen Spruch aus einer Comic-Serie.

Zurück zu den Eltern, ohne Job, ohne Selbstwertgefühl

Und wie steht es um die arbeitende Minderheit? Freunde zu treffen und Neuigkeiten auszutauschen ist immer schön. Vor allem während der Weihnachtszeit, wenn die Stimmung festlich ist und die Menschen fröhlich. Abern ist es Ihnen schon mal so ergangen, dass Sie sie gar nicht mehr fragen wollten, was sie machen und wie es ihnen geht - aus Angst vor den Antworten?

Ich habe eine Freundin getroffen, mit der ich zusammen studiert habe und die ich ein Jahr lang nicht mehr gesehen hatte. Sie hat inzwischen ihren Master gemacht und ist in die elterliche Wohnung zurückgezogen. Diese Rückkehr-Bewegung ins Elternhaus scheint ein unbesiegbarer Virus zu sein. Was für ein trauriger Rückschritt im Abenteuer Leben. Junge Menschen bewohnen ihre früheren Kinder- und Jugendzimmer. Sie sitzen auf eben jenem Bett, auf dem sie davon geträumt haben, erwachsen zu werden, auszuziehen, unabhängig zu sein und ein neues Leben zu beginnen.

Wie Tausende anderer junger Griechen auch ist meine Bekannte in Maßnahmen der griechischen Arbeitsagentur (OAED) für Arbeitslose beschäftigt. In unserem Gespräch vor Weihnachten erzählte sie mir, dass ihre Einarbeitung im August stattfand und sie im September zu arbeiten begonnen hat. "Wir werden 'irgendwann' bezahlt und hoffen, dass wir am Jahresende 300 Euro für den Ausbildungsmonat bekommen", sagte sie mir sehr beherrscht. "Das wäre toll, denn dann hätte ich über die Feiertage etwas Geld!" Aber nein. Sie hat kein Geld bekommen. Aus der Traum.

Dankbar für Pseudo-Jobs

Eine andere Freundin hat die Lage gut zusammengefasst: "Ich werde verrückt, wenn ich Nachrichten schaue. Es ist unglaublich, dass die Politiker noch im Amt sind, die entschieden haben, dass wir fünf Monate lang unentgeltlich in Pseudo-Jobs arbeiten sollen, um die Arbeitslosenquote zu senken." Die Freundin meinte damit die oben erwähnten Maßnahmen der Arbeitsagentur. Sie sagte weiter: "Und wir sind auch noch dankbar dafür... Wir haben noch nicht einmal die Aussicht auf einen auskömmlichen Job und ein gutes Leben."

Was das größte Elend ist

Gleichwohl geht es dem Land besser. Der Haushalt weist einen Überschuss auf und die Abgeordneten haben nach der Abstimmung im Parlament gejubelt. Da ist es ja auch egal, dass es in den griechischen Wohnungen sehr kalt ist, weil die Heizungen wegen der exorbitanten Heizölpreise nicht angestellt werden. Einige haben sehr unsichere Überlebensstrategien gewählt. So habe ich im Dezember die erschreckende Nachricht gelesen, dass ein Teenager und seine Mutter tot aufgefunden wurden. Sie sind erstickt, weil sie die Wohnung mit Grillkohle geheizt haben. Sie waren nicht die einzigen, aber nach einer Weile wird über solche Fälle nicht mehr berichtet. Das größte Elend ist, sich ans Elend zu gewöhnen.

Doch der Frühling wird kommen. Im Frühling wird auch das Europäische Parlament neu gewählt. Ich habe meine Zweifel, dass die Wut der jungen Menschen in höhere Wahlbeteiligung umschlägt. Laut Eurobarometer-Daten werden 46 Prozent der Griechen nicht wählen gehen. Zwei Drittel dieser Nichtwähler geben als Begründung an, dass sich ohnehin nichts ändern wird und dass das Europäische Parlament als EU-Institution sich nicht um ihre Probleme kümmert.

Die Wut der Nichtwähler

Um ehrlich zu sein, verstehe ich sie voll und ganz. Zum einen hat man die EU verteufelt. Wir warten auf eine Veränderung, die nicht eintritt, obwohl wir hart dafür arbeiten und Opfer bringen. Zum anderen mangelt es an Solidarität. Diejenigen, die die Griechen als korrupt und faul beschimpfen, verhalten sich unmoralisch, weil sie ein ganzes Volk diskriminieren und die Fakten ignorieren. So haben aktuelle Zahlen ergeben, dass die Griechen deutlich länger arbeiten als andere Europäer. Nord und Süd, reich und arm, hart arbeitend und unproduktiv - solche pauschalen Gegensätze werden immer wieder verbreitet. Die Wirklichkeit ist komplizierter, wir sollten sie nicht auf solche Gegensätze reduzieren. Das bringt nichts.

Stattdessen sollten wir die Dinge in einen Zusammenhang stellen. Es stimmt, manche Kluft erscheint in der Wirklichkeit sehr groß. Wir sollten uns dies bewusst machen und uns beispielsweise in die Lage der oben erwähnten Menschen versetzen. Würden Sie in einer solchen Situation wählen gehen wollen? Und wenn ja, wie würde Ihre Entscheidung ausfallen?

Dieser Artikel erscheint im Rahmen der Kooperation "Mein Europa" von Süddeutsche.de mit dem Projekt FutureLab Europe der Körber-Stiftung. Bis zur Europawahl Ende Mai werden in der Serie junge Europäer zu Wort kommen - streitbar, provokativ und vielfältig.

Theodora Matziropoulou, 25, hat einen Abschluss in Slawistik und Orientwissenschaft. An der Universität von Sussex, Großbritannien, hat sie Internationale Beziehungen und Anthropologie studiert. Ihr Forschungsschwerpunkt liegt auf Grenz- und Migrationsfragen.

An English version of the text is available at the website FutureLab Europe.

Übersetzung: Dorothea Jestädt

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