Doris Dörrie über den Mythos Spanien:"Im Süden werden wir wilder"

Hannelore Elsner und Axel Prahl in "Alles inklusive"

Ingrid (Hannelore Elsner) und Helmut (Axel Prahl) in "Alles inklusive".

(Foto: Constantin Film Verleih)

Dicke deutsche Pauschalurlauber in Spanien und die Versäumnisse der Hippies: Doris Dörries neuer Film heißt "Alles inklusive". Im Interview spricht sie über das Verbindende des Makels und Sex als Mittel der Selbstdarstellung.

Von Paul Katzenberger

Sie findet ihre Themen im ganz normalen Wahnsinn des Alltags. In ihrer neuen Komödie "Alles inklusive" beschreibt Doris Dörrie diesen zum großen Teil in einer teutonischen Bettenburg an der Costa del Sol und vor dem historischen Hintergrund der Hippie-Zeit. Der Titel des Films steht konkret für die Verpflegungsart, in deren Genuss deutsche Pauschalurlauber in spanischen Hotels kommen, die neben allen Mahlzeiten auch alle Getränke und das Kaffeekränzchen am Nachmittag beinhaltet (in der Fachsprache der Tourismusbranche: "All inc."). Im übertragenen Sinne kann "Alles inklusive" hier aber auch als das Gesamtpaket an guten und schlechten Emotionen verstanden werden, die sich im zwischenmenschlichen Kontakt meistens leider nicht auseinanderdividieren lassen.

SZ.de: In Ihrem neuen Film "Alles inklusive" zeigen Sie Menschen mit psychischen Deformationen, die alle aus der Hippie-Zeit resultieren. War diese Epoche den Menschen tatsächlich derartig abträglich?

Dories Dörrie: Mir lag nicht daran, die Hippie-Zeit zu verurteilen. Die Hippies haben Probleme angesprochen, die inzwischen noch virulenter sind als sie es damals waren. Also zum Beispiel Konsumverzicht, die Absage an die Leistungsgesellschaft, das Sich-wehren gegen die komplette Ökonomisierung und Kapitalisierung unserer Welt. Die Bewegung der Hippies und auch die politische Bewegung der 68er, die haben für alle etwas gebracht. Ich gehöre ja zur Generation danach, und ich habe durchaus partizipiert an dem, was sich dann auch gelockert hat und was plötzlich wachsen und blühen konnte.

Und trotzdem sind in Ihrem Film alle deformiert, warum?

Wahr ist auch, dass viele Hippies ihre Kinder vernachlässigt haben, was schließlich zur Frage der nächsten Generation an die Eltern geführt hat: 'Habt ihr uns eigentlich wirklich als Kinder beschützt und getragen?' Das hatten viele Eltern eben nicht. Dieses Gefühl der Kinder, keinen sicheren Boden unter den Füßen zu haben, das scheint relativ typisch gewesen zu sein.

In Ihrem Film lassen Sie diese Problematik durch Apple verkörpern, die Tochter von Hippie-Mutter Ingrid. Kommt ihr großes Sicherheitsbedürfnis daher?

Ihre große Sehnsucht nach Sicherheit und nach eigentlich sehr bürgerlichen Verhältnissen rührt ihrer Meinung nach daher, dass sie das damals nicht bekommen hat. Und sie litt unter einer Umkehrung, die den Kindern gegenüber richtig gemein war: Sie hatte immer das Gefühl, sie müsse auf ihre Mutter aufpassen.

Trägt Mutter Ingrid die alleinige Schuld für Apples Deformationen? Die ist ja schon längst erwachsen und könnte Verantwortung für ihr eigenes Leben übernehmen. Stattdessen klammert sie sich mit ihren vielen Ängsten an den Haushund.

Die Tochter lässt sich sehr stark gefangen nehmen von ihrer Interpretation der Gegenwart als Opfer ihrer Biografie. Bis jetzt, und sie ist fast 40. Also irgendwann muss man dann sagen: 'Okay, vielleicht reicht das jetzt auch mit der Aufarbeitung.'"

Doch leicht macht es ihr das Umfeld auch nicht. Das beschreiben Sie als recht frostig. Von den Kollegen bekommt Apple keine Anteilnahme und ihren Arbeitsplatz zeigen Sie als Ort steriler Kälte - mit diesen strengen Kunstplastiken vor dem Rundfunkhaus, in dem sie arbeitet. Ist unsere jetzige Zeit wirklich so kalt?

Ich enthalte mich da eigentlich eines Kommentars. Diese makellose Oberfläche, das ist auch München. Das ist alles in München gedreht. Da schwärmen wir ja auch davon, von dieser fehlerfreien Oberfläche. Das ist, glaube ich, ein Problem unserer Zeit, dass wir ständig versuchen, unsere Oberfäche zu polieren und perfekt zu sein. Und uns so unangreifbar wie möglich darzustellen.

Am Pool in der Bettenburg in Torremolinos bleibt von dieser Makellosigkeit nicht viel übrig, wenn Axel Prahl als Helmut stolz seine Wampe vor sich herträgt.

Deswegen schwärme ich auch für "All inc.", als Ort der gemeinsamen Hässlichkeit. Seit mehr als zehn Jahren fahre ich mit meinen Studenten einmal im Jahr auf Exkursion, und dann gehen wir oft ins "All inc."-Hotel, auch weil es das Einzige ist, das wir uns leisten können. Da habe ich das sehr schätzen gelernt, weil diese kurze Pause für viele Leute mit sehr komplizierten und anstrengenden Leben eine Gelegenheit darstellt, alle Hüllen fallenzulassen, um sich in aller Hässlichkeit und im Beschädigtsein preiszugeben. Das ist etwas, was wir ansonsten ja nicht mehr tun - keiner gibt sich doch preis.

Worin liegt der Vorteil, sich als Beschädigter zu präsentieren?

Den Makel herzuzeigen, verbindet uns sehr viel mehr, als wenn wir unsere polierte Oberfläche vorzeigen. Deshalb gibt es die Figur wie den Helmut, der mit seinem dicken Bauch, seiner zu kleinen Badehose und seiner fast penetrant guten Laune auftaucht, der aber auch sehr bereit ist, etwas von sich herzuzeigen oder herzuschenken. Das ist mir näher als das schicke Polierte.

Die Hippie-Zeit war ja auch für die freie Liebe bekannt, also für die Befreiung der Sexualität. Eine Szene in Ihrem Film, die mit freierer Sexualität zu tun hat, ordnen sie aber unserer heutigen Zeit zu - die Sado-Maso-Szene. Warum?

Weil ich das Gefühl habe, dass Sex inzwischen zur Selbstdarstellung gehört. Dass es zum guten Ton dazu gehört, dass man alle möglichen Spielarten beherrscht, dass in jeder Frauenzeitschrift Tipps gegeben werden, wie man eben das auch noch kann und das auch noch und das auch noch. Ich bin gar nicht so sicher, ob der Tierarzt in meinem Film (Anm. der Red.: gespielt von Fabian Hinrichs) wirklich darauf steht, oder ob er das Gefühl hat, dass er das jetzt auch machen muss, weil es angesagt ist. Da ist ein seltsamer Druck entstanden. Man soll plötzlich wahnsinnig viel können.

Aber wirklich unter Druck steht ja nicht der Tierarzt, sondern Apple, die sich verweigert.

Der Druck, alles können zu sollen, unter dem gerade Frauen stehen, ist extrem geworden. Sie sollen schlank, schön und erfolgreich sein. Sie sollen eine großartige Geliebte und eine fürsorgliche Mutter sein, und, und, und. Was sie alles an Rollen beherrschen und an Bildern erfüllen sollen, das ist so ins Unendliche gewachsen, dass es viele Frauen inzwischen sehr erpresst.

"Wir ziehen die Zäune immer höher"

Ihr Faible für Japan ist bekannt. "Alles inklusive" haben Sie zum Teil in Spanien gedreht. Was reizt Sie an Spanien?

Mein Interesse für das Land reicht schon lange zurück. 1997 habe ich "Bin in schön?" in Spanien gedreht und mich verbindet sehr viel mit dem Land. Es ist zum einen die Sprache, die mich immer wieder da hinzieht. Es ist aber auch dieser große deutsche Mythos.

Tatsächlich. Der Ballermann fasziniert Sie?

Nehmen Sie das Lied "Spanischer Wein" von Christian Anders, wenn wir Deutsche das hören, dann glauben wir, dass wir im Süden andere Menschen werden. Wir werden lebendiger, wir werden schöner und im Süden werden wir wilder. Wir werden alles Mögliche. Das ist unser deutscher Mythos vom Süden, den darzustellen mich immer wieder interessiert hat.

Doris Dörrie

Doris Dörrie in München: "Wir versuchen ständig, unsere Oberfläche zu polieren und perfekt zu sein."

(Foto: dpa)

Aber dieses Wilde, von dem Sie sprechen, nimmt ja ziemlich abstoßende Züge an - auf Mallorca, an der Costa Brava und so weiter.

Ja, sicher. Jetzt kommt die große geplatzte Traum-Blase ans Licht. Diese Verschandelung der Küste hat schon sehr stark mit unserer Verstrickung zu tun. Die Spanier haben uns die Sonne verkauft und wir wollten sie unbedingt billig, billig, billig haben, und so ist diese Betonisierung der gesamten Küste entstanden. Wir tragen genauso viel Schuld daran wie die Spanier.

Sie deuten in Ihrem Film auch die Flüchtlingsproblematik zwischen Afrika und Europa an. Ist das Ihr politisches Statement zu den Tragödien vor Lampedusa?

Ich berühre das Thema, weil es zu den italienischen und spanischen Küsten gehört. Man kann das nicht ausblenden. Da sind überall die afrikanischen Verkäufer an den Stränden, die dorthin als Flüchtlinge gelangt sind. Und es kommen jeden Tag mehr dazu, die sich, von Afrika aus gesehen, dieses Europa wie das Schlaraffenland vorstellen.

Das ist es im Vergleich sicher auch.

An dieser Haltung ist auch nichts auszusetzen. Wir bezeichnen diese Menschen als Wirtschaftsflüchtlinge, was eine Frechheit ist, denn jeder Mensch wird immer dahin zu gehen versuchen, wo es ihm vielleicht besser geht als zu Hause. Das mit einzuschließen, war mir wichtig, weil es auch etwas mit uns zu tun hat. Denn wir ziehen die Zäune immer höher und verteidigen etwas, von dem wir glauben, dass es nur uns gehört. Das kann man sehr stark in Frage stellen, dieses "all inclusive" nur für uns.

In der Begegnung zwischen Helmut und Ingrid schwingt eines ihrer typischen Themen mit, das "Leben im Jetzt" und das "Leben in der Zukunft". Man hat das Gefühl, dass beide Figuren mit ihrem jeweiligen Lebenskonzept nicht ganz glücklich sind. Heißt das, dass Sie in dieser Frage unentschieden sind?

Ich muss mich da nicht entscheiden, weil ich keine Ratgeberin bin. Ich erzähle Geschichten und beschreibe hier etwas sehr Ambivalentes. Im Jetzt zu leben hat es immer schon als Vorstellung davon gegeben, wie man mit dem Leben zurechtkommt. Es ist aber auch ein Stück Schmerzvermeidung. Ingrid versucht, alles auszublenden.

Helmut ist aber auch nicht glücklicher.

Die Frage, die er stellt, nämlich: "Was ist denn an der Gegenwart so schön, wenn man sich die Zukunft nicht vorstellen darf?", ist zunächst vollkommen berechtigt. Es geht mir nicht darum, das auseinanderzusortieren, und zu sagen, der eine hat recht und der andere überhaupt nicht. Sondern das sind zwei sehr unterschiedliche Menschen, die beide auf ihre Art versuchen, Schmerz zu vermeiden und einen Hauch von Glück zu finden.

Was er am Schluss aber weniger erreicht als sie. Sie findet zumindest zu ihrer Tochter. Er bleibt allein und wartet vergeblich auf Ingrid.

Ja, sie mag Bindungen wirklich nicht. Sie bleibt ein Hippie. Da ist sie hart. Diese gewisse Rücksichtslosigkeit fand ich stimmig und auch die Egozentrik, die ihr zu eigen ist - sie besteht schon sehr stark auf den eigenen Bedürfnissen. Aber gleichzeitig macht sie Dinge möglich. Dass sie alle am Schluss in dieses Haus holt und damit für alle etwas Neues möglich macht, das ist auch Ingrid.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: