Kritik am Dublin-II-Abkommen:EU-Zuständigkeiten für Flüchtlinge funktionieren nicht

Deutschland muss eine wachsende Zahl von Asylanträgen bearbeiten, für die es nach EU-Recht gar nicht zuständig ist. Zunehmend reisen Flüchtlinge über andere EU-Staaten ein. Die Linke und Flüchtlingsorganisationen fordern eine grundlegende Änderung der europäischen Asylpolitik.

Immer mehr Flüchtlinge beantragen in Deutschland Asyl, obwohl sie über ein anderes EU-Land eingereist sind, das damit nach geltendem EU-Recht eigentlich für den Antrag zuständig wäre. Das geht aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Linksfraktion hervor, die die Abgeordnete Ulla Jelpke am Freitag veröffentlichte.

Demnach geht die Regierung davon aus, dass für jedes dritte Asylgesuch 2013 ein anderer EU-Staat zuständig gewesen wäre. Im vierten Quartal seien es sogar mehr als 50 Prozent aller Verfahren gewesen. 2012 waren es nur 17,8 Prozent.

Die Linke und die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl forderten eine grundlegende Änderung des EU-Rechts. Sie beklagten ein unwürdiges Hin- und Hergeschiebe von Flüchtlingen in Europa. In der EU gilt nach der sogenannten Dublin-II-Verordnung, dass jeweils das Land zuständig ist, über das der Asylbewerber in die EU eingereist ist. Das soll verhindern, dass Asylsuchende in mehreren EU-Ländern gleichzeitig einen Antrag stellen. Das heißt, Flüchtlinge, die in einem anderen Land Asyl beantragen, werden wieder in jenes EU-Land abgeschoben, in dem sie europäischen Boden betreten haben.

Keine Abschiebungen nach Griechenland

Die Regeln sind seit Jahren umstritten, weil sich Länder an den EU-Außengrenzen mit der Aufnahme der Flüchtlinge überfordert fühlen. Asylexperten beklagen, die Länder im Inneren der EU wälzten die Verantwortung auf die Staaten am Rande ab.

Nach den Zahlen der Regierung stellte Deutschland im vergangenen Jahr 35 280 Übernahmeersuchen an andere EU-Länder, in denen die Asylsuchenden zunächst eingetroffen waren. Dem standen aber nur 4741 sogenannte Überstellungen gegenüber, also die Abschiebung an den EU-Staat der ersten Einreise. Die Berliner Zeitung hatte als erstes über die Antwort der Regierung berichtet.

Jelpke sagte, eine große Zahl der Überstellungen in andere Länder werde von Verwaltungsgerichten wegen erheblicher Mängel in den dortigen Aufnahmesystemen verhindert. Deutschland verzichtet derzeit auf Abschiebungen nach Griechenland, weil die Lebensbedingungen für Asylbewerber dort schlecht sind.

Linke und Pro Asyl fordern Abkehr von Dublin II

Pro Asyl fordert einen Stopp auch für Überstellungen nach Bulgarien, Ungarn und Italien. In diesen Ländern gebe es keine ausreichende soziale Versorgung für Flüchtlinge, sagte Pro-Asyl-Geschäftsführer Günter Burkhardt. Asylbewerber landeten dort oft in der Obdachlosigkeit oder sogar in Haft. Häufig weigerten sich EU-Mitgliedsstaaten auch, Asylbewerber wieder zurückzunehmen, betonte er. Dies Gezerre und Hin- und Hergeschiebe von Flüchtlingen innerhalb der Europa sei nicht hinnehmbar.

Die Linke und Pro Asyl verlangten eine Abkehr von Dublin II. Flüchtlinge müssten selbst entscheiden können, wo sie Schutz suchen - abhängig etwa von familiären Bedingungen und sprachlichen Fähigkeiten. Die meisten EU-Staaten wollen am bisherigen System aber nicht rütteln - auch Deutschland nicht. Ein Sprecher des Bundesinnenministeriums erklärte in Berlin: "Wir möchten an dem Dublin-Verfahren weiter festhalten." Vielmehr gehe es darum, die Standards für den Umgang mit Asylbewerbern in einigen EU-Staaten zu verbessern.

So viele Ausländer wie nie zuvor in Deutschland

Das Statistische Bundesamt hat außerdem Zahlen aus dem Ausländerzentralregister veröffentlicht. Mehr als 7,6 Millionen Ausländer leben demnach in Deutschland - so viele wie nie zuvor. Mit etwa 5,8 Prozent war das Plus 2013 zudem so stark wie zuletzt 1992. Vor allem die EU-Osterweiterung und die Euro-Krise in den Südländern brachten den Zuwachs. Der vor allem durch Einbürgerung bedingte Rückgang der türkischen Bevölkerung setzte sich dagegen fort.

Etwa 518 800 Menschen kamen unterm Strich neu in die Bundesrepublik (Saldo aus Zu- und Fortzügen). Die Geburten überstiegen die Sterbefälle zudem um 14 200 Menschen. Das erklären die Statistiker vor allem damit, dass die meisten Ausländer in Deutschland in der Familiengründungsphase kommen. 113 000 Menschen wurden eingebürgert und werden daher nicht mehr als Ausländer gezählt.

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