NSU-Ausschuss in Erfurt:Rätselhafte Zeugin, rechte Verbindungen

Der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter gibt weiter Rätsel auf.

Der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter gibt weiter Rätsel auf.

(Foto: Norbert Försterling/dpa)

Im Thüringer NSU-Untersuchungsausschuss legt eine Zeugin Verbindungen im Fall der ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter offen. Es handelt sich um ein teils bizarres Geflecht von Verwandten, Polizisten und rechten Akteuren.

Von Tanjev Schultz, Erfurt

Über ein paar Ecken soll ja jeder Mensch mit allen anderen in irgendeiner Verbindung stehen und vielleicht sogar verwandt sein. Dennoch ist erstaunlich, was im Fall der ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter so alles ans Licht kommt. Die Ankläger im NSU-Prozess halten die Beamtin für ein willkürlich ausgewähltes Opfer der Neonazis. Aber nicht nur die Tatsache, dass die 2007 in Heilbronn erschossene Beamtin wie die Terroristen aus Thüringen stammte, provoziert immer wieder neue Fragen.

Im Untersuchungsausschuss des Landtags in Erfurt musste am Montag die Thüringer Polizistin Anja W. als Zeugin aussagen. Die Liste der Merkwürdigkeiten ist durch ihre Aussage allerdings nur noch länger geworden.

Anja W. war bis 2007 die Lebensgefährtin von Michèle Kiesewetters Onkel. Sie kannte seine Nichte gut, sie fuhren zusammen in den Urlaub, an Wochenenden traf man sich bei Kiesewetters Großmutter zum Essen. Anja W. half der Nichte ihres Freundes auch bei ihrer Abschlussarbeit. Dann trennten sich Anja W. und der Onkel, der ebenfalls Polizist ist.

Anja W. heiratete einen Mann, der eine Sicherheitsfirma betreibt und mit der rechten Szene in Berührung gekommen ist. Er selbst habe mit der Szene nichts zu tun, sagt Anja W.. Dennoch werden die Abgeordneten stutzig: Der Mann von Anja W. war in den Neunzigerjahren Zeuge in einem Verfahren gegen den späteren Terroristen Uwe Böhnhardt.

Mit jemandem aus dem NSU-Umfeld verwandt

Und er ist verwandt mit Ronny W., einem Neonazi aus dem NSU-Umfeld. Der habe doch früher in der Rechtsrock-Band "Vergeltung" gespielt, erinnert sich die Ausschussvorsitzende Dorothea Marx (SPD). Und er sei mit dabei gewesen, als eine Gruppe Neonazis, zu der damals Beate Zschäpe gehörte, im Stil des Ku Klux Klan ein Holzkreuz abfackelte. Ronny W. soll auch Kontakt zu Ralf Wohlleben gehabt haben, einem weiteren Angeklagten im NSU-Prozess. So klein ist die Welt.

In der Welt von Anja W. und ihrem Mann gibt es Verbindungen zur Türsteher-Szene, zu Rockern und anderen harten Jungs, die man einer Polizistin nicht unbedingt als Umgang empfehlen würde. Ein Freund von Anja W. soll seinerseits recht eng mit dem Betreiber jenes Szeneladens sein, aus dem die NSU-Terroristen die Ceska-Pistole bekamen, mit der sie neun Menschen ermordeten.

Anja W. soll ihren Mann kennengelernt haben, als sie gegen ihn ermittelte. Später wurde sie vom Dienst suspendiert, weil sie für private Zwecke Abfragen am Polizeicomputer gemacht haben soll, unter anderem zu einzelnen Rechtsradikalen. Anja W. behauptet, die Abfragen hätten einen dienstlichen Hintergrund gehabt. Ein Verfahren wegen Geheimnisverrats wurde gegen eine Geldzahlung eingestellt. Dennoch ist die Beamtin nicht mehr im Dienst, sie ist seit langem krank geschrieben.

Die Zeugin bleibt vage

Vor dem Ausschuss macht die 43-Jährige einen labilen, fast verängstigten Eindruck. Sie haucht ihre Sätze ins Mikrofon und sagt, nach Erhalt der Vorladung sei sie bedroht worden. Zwei Männer hätten vor ihrer Tür gestanden, irgendeinen Ausweis gezückt und ihr geraten, sich besser nicht zu erinnern.

Woran sollte sie sich nicht erinnern? Wer waren diese Männer? Die Zeugin bleibt vage, nennt plötzlich den Verfassungsschutz. Der könnte es gewesen sein, behauptet sie, aber eine Erklärung dafür oder eine genaue Beschreibung der Szene und der Männer liefert sie nicht. Sie sagt, ihr sei auch ein Reifen zerstochen worden.

Und schließlich erzählt die Zeugin, nachdem sie ein wenig herumgedruckst hat, den Abgeordneten eine weitere Geschichte. Sie handelt von der Tochter ihres früheren Lebensgefährten, also einer Cousine von Michèle Kiesewetter. Die Cousine sei nach der Jahrtausendwende abgedriftet in die rechte Szene; Anja W. nennt auch Namen. Gibt es einen Zusammenhang zum NSU und zum Mord in Heilbronn?

Die Zeugin sagt dazu nichts, die Abgeordneten blicken etwas ratlos. Anja W. berichtet noch von einem Vorfall, der sich 2006 ereignet haben soll in Oberweißbach, Kiesewetters Heimatort in Thüringen. Dort soll es am Ortsrand eine Auseinandersetzung gegeben haben, in die Michèle hineingeraten sei, ohne Genaueres darüber zu erzählen. "Vielleicht hat sie irgendwas gesehen, was sie nicht hätte sehen sollen."

Bisher ist Anja W. im Münchner NSU-Prozess nicht als Zeugin geladen. Das könnte sich nun, nach diesem Auftritt vor dem Untersuchungsausschuss in Erfurt, noch ändern.

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