Günther Jauch zum Hoeneß-Prozess:Das Märchen von Hoeneß' Steuerschuldvermehrung

Thomas Selter Unternehmer Waldemar Hartmann Journalist Hans Ulrich Jörges Journalist Günthe

Günther Jauch mit seinen Gästen: Thomas Selter, Waldemar Hartmann, Hans-Ulrich Jörges, Herta Däubler-Gmelin und Jakob Augstein (von links)

(Foto: Imago Stock&People)

Wie wurden aus 3,5 Millionen Euro in der Anklage 28,5 Millionen Euro im Urteil? Die Redaktion von Günther Jauch hat es nicht verstanden, macht aber auch ein paar Dinge richtig.

Eine TV-Kritik von Bastian Brinkmann

Klar, über den Hoeneß-Prozess ist viel geschrieben worden. Aber muss Günther Jauch zu Beginn seiner Sendung sagen: "Nichts hat mehr Schlagzeilen geliefert als der Fall Uli Hoeneß"? Dass Russland sich gerade die Krim einverleibt - nicht der Rede wert. Jauchs Aufsager, bevor er sich in die Runde setzt, will durch zugespitzteste Superlative Fallhöhe aufbauen. Was bei Steuerhinterziehung in Höhe von 28,5 Millionen Euro auch nicht unbedingt nötig wäre. "Ein Absturz mit Anstand - Fragezeichen", liest Jauch das Thema der Sendung vor.

Zu Gast sind Waldemar Hartmann, der zufällig mit seiner Einkaufstüte nach dem Ende des ersten Prozesstags am Gerichtsgebäude vorbeischlenderte und Uli Hoeneß vor vierzig Jahren in einer Kneipe in Augsburg kennenlernte, in der er arbeitete. Unternehmer Thomas Selter kämpft gegen Politiker und ihre Geldverschwendung.

SPD-Politikerin Herta Däubler-Gmelin, die mal Bundesjustizministerin war, macht sich während der Sendung mit einem Stift Notizen - Talkshow-Teilnehmer, die die Diskussion wirklich ernst nehmen, sieht man auch nicht alle Tage. Hans-Ulrich Jörges vom Stern ist nach eigenen Angaben ein Freund von Uli Hoeneß. Jakob Augstein ist linker Publizist und reicher Erbe, wie Unternehmer Selter spitz anmerkt (der wiederum selbst den Chefsessel der Gustav Selter GmbH & Co. KG geerbt hat).

Sozialschmarotzer mit Charakter

Jörges erzählt, dass er mit Hoeneß telefoniert hat. Vor dem Prozess, nach dem Prozess. Dass Hoeneß auf Revision verzichtet, ist für Jörges ein "starkes Zeichen von Charakter". Trotzdem: Hoeneß ist für ihn ein Sozialschmarotzer. Das habe er ihm gesagt, und das habe er auch eingesehen, betont der Journalist. Er wagt für Hoeneß aber eine gute Sozialprognose: "Diese Gesellschaft ist so arm an Vorbildern. Wenn Hoeneß mit der Gefängnisstrafe richtig umgeht, kann er wieder ein Vorbild werden. Er muss als Kronzeuge gegen Steuerhinterziehung auftreten." Wir sind gespannt.

Die Jauch-Redaktion versucht, in einem Einspieler den Prozess zusammenzufassen, scheitert allerdings und erzählt das Märchen der Steuerschuldvermehrung zu München. Der erste Prozesstag sei eine "Sensation" gewesen. Während die Anklage von 3,5 Millionen Euro spreche, habe Hoeneß "offenbart", 18,5 Millionen Euro hinterzogen zu haben. Das ist so leider falsch.

Die Anklage beziffert zunächst nur die Hinterziehungsschuld für Zinsen* auf Kapitalerträge und lässt die Hinterziehungssumme für Währungswetten erstmal offen, weil sie im Sommer noch nicht geschätzt werden konnten, als die Anklage geschrieben wurde. So steht es in der Anklage. Doch viele Journalisten haben offenbar nach "3.545.939,70 EUR" nicht mehr weitergelesen.

Dass Hoeneß enorm hohe Gewinne aus Währungswetten verbucht hat (hier steht, wie die funktionieren) und noch versteuern muss, wussten Richter, Staatsanwaltschaft und Verteidigung schon vor dem Prozess. Deswegen war auch keiner der am Prozess beteiligten Profis überrascht, als die Steuerfahnderin am Dienstag ihre belastbare Schätzung von 27 Millionen Euro vorlegt.

Jauch-Einspieler trägt zur Verwirrung bei

Überrascht waren nur manche Prozessbeobachter, und auch der Jauch-Einspieler kommentiert den Vorgang wie ein Sportereignis: "Schon am Dienstag der nächste Hammer!" Im Urteil "wächst" die Steuerschuld des Uli Hoeneß dem Einspieler zufolge zum letzten Mal. Dabei hat das Gericht hier einfach den Solidaritätszuschlag addiert, was die Steuerfahnderin noch nicht gemacht hatte. Leider trägt die Jauch-Sendung dazu bei, dass unwissenden Beobachtern vom Prozess in Erinnerung bleibt, wie die Zahlen stündlich gestiegen sind - und damit irgendwie auch Hoeneß' Schuld. Was so nicht stimmt. (Wer das mit den Zahlen noch genauer wissen will: mehr dazu hier.)

Ein anderer Einspieler gelingt der Redaktion. In wenigen Sekunden erklärt er die Umwuchtungen im deutschen Steuersystem. Zeigt grafisch, dass direkte und indirekte Steuern (also zum Beispiel Einkommensteuer und Mehrwertsteuer) plus Sozialabgaben zusammengenommen die Mittelschicht prozentual genauso stark belasten wie die Oberschicht. Der Einspieler weist auf die ungleiche Vermögensverteilung hin und auf die Lohnentwicklung, die viele Arbeitnehmer in den vergangenen Jahren vom Wirtschaftswachstum entkoppelt hat.

Leider stoppt Jauch die Debatte über die Systemfrage zwei Mal. Augstein prangert an, dass Kapital so niedrig besteuert wird. Unternehmer Selter darf den neoliberalen Klassenkämpfer geben und den Steuerwettbewerb loben: "In Deutschland kann ich Kapital nicht brutal hoch besteuern, sonst ist das weg. Das ist pragmatisch." Däubler-Gmelin wiederum winkt ab: "Die Mär vom scheuen Kapital kann ich nicht mehr hören." Diese Argumentation sei "dämlich".

Doch Jauch will zurück zu Hoeneß. Einmal fragt er Jörges, ob Hoeneß ein Sozialschmarotzer sei, obwohl der schon deutlich gemacht hat, dass er Steuerhinterzieher für asozial hält. Als die Runde zur Steuerdebatte zurückgekehrt ist, unterbricht Jauch zum zweiten Mal. "Wenn wir jetzt noch mal die Brücke zu Hoeneß schlagen", sagt er und präsentiert einen Einspieler, in dem Bayern-Fans vor dem Stadion sich exakt so über Hoeneß äußern, wie man es erwartet.

Für die Zuschauer bleibt zudem noch eine Frage offen, die der Schweizer Tages-Anzeiger in einem viel zitierten Artikel stellt und die auch in der Runde aufgeworfen wurde: Wo kommt Hoeneß' Startkapital wirklich her? "Nicht belegt ist, dass die fünf Millionen Mark und die 15 Millionen Bürgschaft vom inzwischen verstorbenen, damaligen Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus stammten", behauptet der Tages-Anzeiger und auch Däubler-Gmelin wundert sich bei Jauch über die Herkunft des Geldes.

Allerdings: Sie wurde vor Gericht geklärt. Der entsprechende Kontoauszug von Dreyfus' Bank BNP Paribas ist aktenkundig. Hoeneß gewann mit den 20 Millionen Mark von Dreyfuß direkt so viel Geld, dass er sie sofort zurückzahlen konnte.

Sie haben noch Fragen zum Hoeneß-Prozess oder Punkte, die Ihnen unklar sind? Stellen Sie Ihre Fragen auf Twitter oder unten in den Kommentaren, der Autor wird antworten.

*Anmerkung der Redaktion: An dieser Stelle stand in einer früheren Version "Hinterziehungszinsen" - das ist natürlich nicht korrekt, es handelt sich um die Hinterziehungsschuld für Zinsen. Eine Anklage enthält keine Hinterziehungszinsen.

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