Krim-Krise:Russisches Heimspiel am Starnberger See

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Nicht nur russische Matroschka-Puppen erfreuen sich bei vielen Deutschen großer Beliebtheit, auch die russische Außenpolitik. (Foto: dpa)

Nur jeder Fünfte in Deutschland ist in der Krim-Krise für Sanktionen gegen Russland. Wer's nicht glaubt, muss nur an den Starnberger See fahren, wo der russische Generalkonsul bei einer Tagung zum Publikumsliebling wird.

Von Detlef Esslinger, Tutzing

Nur ein Statement, keine Fragen anschließend, Bitte um Verständnis. Ein Samstag in der Evangelischen Akademie, Günther Beckstein leitet diese Wochenendtagung, und er hat gerade beschlossen, um 16 Uhr das Programm für einige Minuten zu ändern. Unter den gut 200 Teilnehmern ist Andrej Grosow, der russische Generalkonsul in München; also bietet es sich an, dass der Mann die Sicht Russlands auf den Krim-Konflikt schildert. Nur ein Statement will Beckstein, der frühere bayerische Ministerpräsident, ihm abverlangen, "und gerne ein einseitiges", wie er hinzufügt; keine Diskussion.

Da kennt er diesen Russen aber schlecht.

Andrej Grosow, Jahrgang 1961, seit viereinhalb Jahren im Amt, hält kein Statement, sondern er setzt sich einfach um 16 Uhr in die für diese Zeit angesetzte Podiumsdiskussion, es sollte dort eigentlich um ein ganz anderes Thema gehen. Grosow spricht fließend Deutsch, und er ist nicht bloß bereit, Fragen zu beantworten, er will es sogar. Neben ihm ein Politikprofessor sowie ein Lehrbeauftragter von der Uni Passau. Der Professor, Daniel Göler sein Name und 15 Jahre jünger, war auf Ukraine und Grosow nicht vorbereitet. Aber er lässt sich drauf ein. Er wirft Russland vor, Völkerrecht gebrochen zu haben, er spricht den Generalkonsul auf die Soldaten an, die seit Wochen die Krim besetzen, ohne Hoheitsabzeichen auf der Uniform.

Die Leute im Saal sehen einander an, noch schweigend.

"Wir sind nicht interveniert. Das müssen alle einsehen"

Dann antwortet Grosow. Er sagt: "Es tut mir leid, dass so junge Leute wie Herr Professor Göler in den Stereotypen des Kalten Krieges denken. Sie sollten weniger Zeitung lesen, Fernsehen schauen oder im Internet surfen, weil Sie dann keine Zeit haben zu analysieren."

Jetzt klatschen die Leute, das erste Mal.

Der Direktor der Akademie fragt, sich zum Mikrofon nach vorne beugend und dadurch kleiner machend, ob der Herr Generalkonsul sich vorstellen könne, dass die Situation Ängste auslöst? "Diese Ängste sind nach Auffassung meines Landes unbegründet. Wir sind nicht interveniert. Das müssen alle einsehen."

Niemand murrt, nur einer gibt Widerworte, der Professor Göler. Er sagt: "Wenn die Menschen nicht so viel Zeitung läsen, Fernsehen schauten oder im Internet surften, wäre aus Sicht der russischen Regierung vielleicht alles besser."

Nur jeder Fünfte ist für Sanktionen gegen Russland

Jetzt murrt der Erste, in Reihe 8 sagt jemand halblaut: "Der will sich wohl unbedingt mit dem fetzen." Der ist nicht der Generalkonsul, sondern der Professor, es ist nicht als Kompliment intoniert.

Am Wochenende veröffentlichte Bild am Sonntag eine Umfrage, nach der in Deutschland nur jeder Fünfte für Sanktionen gegen Russland ist. Der Politiker, der's nicht glaubt, braucht nur nach Tutzing zu fahren, in die Akademie. Sie schreibt ihre Tagungen öffentlich aus, die meisten Gäste kommen aus dem Raum München, aber auch aus Bochum und aus Wolfenbüttel; als Berufe geben sie Vertriebsleiter, Radiologin und Senatsrat a.D. an, die Mehrheit hat, dem Augenschein nach, zumindest das siebte Jahrzehnt erreicht.

An diesem Wochenende geht es größtenteils um den Euro und die EU. Zuerst war Schäuble da; dann demonstrierte der Vorsitzende der "Alternative für Deutschland" auf 27 Powerpoint-Folien, wie der Euro Europa nur spalte; Edmund Stoiber sprach über die EU-Schnullerketten-Verordnung, und später wird sich Peter Gauweiler noch mit König Ludwig beschäftigen dürfen, wirklich.

Aber jetzt: Grosow.

Starnberger Bürgertum und Generalkonsul ganz einer Meinung

"Wo sehen Sie eigentlich die Gewaltanwendung?", fragt er den Professor. "Führen Sie ein Beispiel an. Gewalt wurde in Kiew angewendet, die Molotowcocktails, die Steine. Haben Sie das nicht gesehen?"

Er bestreitet die Diskussion ohne größeren Einsatz von Charme, und wenn der Professor oder der Lehrbeauftragte reden, schaut er sie niemals an, er stützt bloß die Hände vorm Gesicht auf und blickt in den Saal. Aggressiv reden, aggressiv schauen, normalerweise ist das kein Erfolgsrezept.

Ein Mann geht ans Saalmikrofon. Er findet, "wir Deutschen" hätten die naive Vorstellung, die ganze Welt zu demokratisieren. Russland zu regieren, sei aber "ein Wahnsinn". Grosow deutet ein Nicken an, der Redner fährt fort, er sei über 80 Jahre alt und könne nur davor warnen, den Russen einen vor den Latz zu knallen. Beifall. Ein junger Mann, der sich als Student vorstellt, sagt, es halte sich das Gerücht, dass die Demonstranten auf dem Maidan in Kiew von ausländischen Mächten finanziert wurden; er stelle das nur mal als Frage in den Raum. Beifall.

Der Nächste sagt, "in der Tschechei" werde der Konflikt übrigens ganz anders dargestellt als in Deutschland, und so geht es weiter, fast eine Stunde lang - das Bürgertum vom Starnberger See und den Generalkonsul trennt kein Blatt Papier. Angst vor Krieg? Angst vor Sanktionen? Man hätte materiell etwas zu verlieren, in der Gegend ganz besonders. Der Einzige, der es schwer hat in dem Saal, ist der Professor aus Passau; selbst dann, wenn er auf den Russen zugehen will.

"Das hast du nun oft genug gesagt"

"Russland hat ja legitime Interessen", sagt Göler. "Aber kann es die auf diese Weise durchsetzen?"

"Es reicht", ruft da einer von hinten. "Das hast du nun oft genug gesagt." Du, nicht Sie.

Am Ende bedankt sich Günther Beckstein, mit einem Spruch, den er sich vorher zurechtgelegt hat und den er jetzt durchzieht: dass der Herr Generalkonsul den Mut gehabt habe, hier aufzutreten, wissend, es nicht zu leicht zu haben! Er hoffe, dass Russland auf Sanktionen "nicht mit Strafmaßnahmen zurück reagieren wird", fügt er noch an.

Später meldet sich eine Dame, Brosche im anthrazitfarbenen Kostüm, sie hat eine Frage an den Redner Gauweiler: ob es denn stimme, dass Wilhelm I. einst 800 000 Taler an Ludwig II. zahlen musste, damit er Kaiser sein durfte. "Über diese ganze Krim-Geschichte haben wir jetzt genug geredet."

© SZ vom 17.03.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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