Inge Hannemann:Hartz-IV-Rebellin appelliert an Abgeordnete

Petitionsausschuss zu Arbeitslosengeld

Inge Hannemann im Petitionsausschuss des Bundestages: Plädoyer gegen Hartz-IV-Sanktionen

(Foto: dpa)

Als Mitarbeiterin eines Jobcenters kennt Inge Hannemann das harte Leben der Arbeitslosen und fordert daher, die Sanktionen für Hartz-IV-Bezieher abzuschaffen. Ihr Arbeitgeber ist von diesem Engagement nicht begeistert - der Bundestag jedoch hört sie an.

Von Benjamin Romberg, Berlin

Es gab sicherlich schon Menschen, die aufgeregter vor den Petitionsausschuss des Deutschen Bundestages getreten sind als Inge Hannemann. Dabei ist der Rummel dieses Mal besonders groß: Die Besuchertribüne ist voll, und weil die Plätze nicht reichen, gibt es eine Liveübertragung in einen weiteren Raum. Doch Hannemann, 45, ist routiniert, sie kennt die Politik und längst auch den Medienbetrieb. Die schmale Frau mit kurzen dunklen Haaren und Brille stellt sich geduldig vor die Kameras, holt sich noch einen Happen zu essen, dann nimmt sie ihren Platz ein, um ihr Anliegen vorzutragen.

Ihr Anliegen, das ist die Abschaffung sämtlicher Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger. Wer Arbeitslosengeld II erhält und einen Termin im Jobcenter verpasst oder ein Stellenangebot ausschlägt, dem werden die staatlichen Zuschüsse teils massiv gekürzt. Das verstößt aus Sicht von Hannemann gegen die Menschenwürde, weil Betroffene in ihrer Existenz bedroht seien und nicht am gesellschaftlichen Leben teilhaben könnten. Deshalb hat sie vergangenen Herbst eine Petition gestartet. Etwa 90 000 Unterschriften sind zusammengekommen, nun muss sich der Bundestag mit Hannemanns Forderung befassen.

"Ist mein letzter Weg der Suizid?"

"Hartz-IV-Rebellin" wird sie in den Medien oft genannt. Wie eine Rebellin wirkt Hannemann vor dem Ausschuss nicht. Sie spricht ruhig, eindringlich - und immer wieder anklagend. Sie erzählt von Jobcenter-Mitarbeitern, die zu wenig Zeit haben, um die Fälle überhaupt richtig zu prüfen. Von Menschen, die wegen der Strafkürzungen kaum etwas zu essen haben. Von Menschen, die sich keine Fahrkarte leisten können, aber ins Jobcenter fahren müssen. Sie erzählt von der teils aussichtslosen Lage der Arbeitslosen. Ein Mann mit schwerer Diabetes sei zu ihr gekommen, der kein Geld für Insulin hatte. "Frau Hannemann", habe er gesagt, "ist mein letzter Weg der Suizid?" Hannemann will von den Abgeordneten wissen, wer die Verantwortung dafür übernehme.

Was Hannemann erzählt, ist deshalb so interessant, weil sie von ihren eigenen Erfahrungen berichtet. Bis April 2013 arbeitete sie im Jobcenter Hamburg-Altona. Dann wurde sie vom Dienst freigestellt, wie es in einem solchen Fall heißt. Hannemann hatte das Hartz-IV-System öffentlich kritisiert. "Wie viele dauerkranke, frustrierte und von subtiler Gehirnwäsche geprägte Mitarbeiter wollen Sie in Ihrem Konstrukt Jobcentermaschine durchschleusen?", schrieb sie etwa in ihrem Blog. Bei ihrem Arbeitgeber kam das nicht gut an. Sie habe den Betriebsfrieden gestört und sich geweigert, Sanktionen gegen Erwerbslose zu verhängen, so die Begründung für den Rausschmiss im April 2013.

Damit findet sich Hannemann allerdings nicht ab. Notfalls will sie sich durch alle Instanzen klagen. Vor dem Hamburger Arbeitsgericht soll der Fall im Juni neu verhandelt werden, weil im ersten Verfahren noch nicht alle Unterlagen berücksichtigt wurden. Immerhin: Das Jobcenter zahlt Hannemann weiter ihr Gehalt. Ob sie dort auch irgendwann wieder arbeiten darf, ist unklar.

Jetzt will Hannemann erst einmal in die Politik. Dort kennt sie sich bereits aus, früher war sie bei den Jusos in Baden-Württemberg engagiert. Bei der Bürgerschaftswahl in Hamburg kandidiert sie im kommenden Jahr für die Linke. Die unterstützt Hannemanns Forderung, Sanktionen für Hartz-IV-Empfänger abzuschaffen, ebenso wie die Grünen. Das Problem: Die Bundesregierung sieht das weniger radikal, laut Koalitionsvertrag sollen lediglich die harten Strafen für Jugendliche unter 25 Jahren überdacht werden. Ansonsten gilt weiter das Prinzip "fördern und fordern".

Doch Hannemann ist zufrieden mit ihrem Auftritt. Nun hofft sie, dass das Thema in den Bundestagsausschüssen weiter diskutiert wird. Sie habe mit ihren Erzählungen "einige getroffen", das glaube sie schon. Vor dem Saal warten schon die Kameras, viele Besucher applaudieren. Hannemann nimmt sich Zeit für jeden Interviewwunsch, schüttelt Hände, lässt sich beglückwünschen. Im Gehen ruft sie einem Kamerateam zu: "Macht einen guten Schnitt, ja?"

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: