Ukraine:Der Westen entdeckt Swobodas hässliches Gesicht

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Oleg Tjanybok ist zwar an der Regierung in Kiew beteiligt, bei Wahlen hätte seine Partei aber keine Chance: Umfragen sehen Swoboda bei 2,5 Prozent. (Foto: Gelb Garanich/Reuters)

Sie seien Faschisten und brandgefährlich, sagt der Kreml. Der Westen hat die ukrainische Regierungspartei Swoboda bisher hingegen als notwendiges Übel betrachtet. Dass ein Swoboda-Abgeordneter jetzt einen TV-Direktor verprügelte, könnte die Position ins Wanken bringen.

Von Michael König

Schon das Zuschauen tut weh. Ein Mann mit auffälliger Pferdeschwanz-Frisur packt Alexander Pantelejmonow am Hals. Er würgt ihn, schlägt ihn, stößt ihn um. Als sich der Direktor des ukrainischen TV-Senders "Erster Nationaler Kanal" zur Wehr setzen will, dreschen drei Männer auf ihn ein. Sie zerren ihn an seiner Krawatte zu dem Ledersessel hinter seinem Schreibtisch und legen ihm ein Stück Papier vor: sein Rücktrittsgesuch. Als er nicht sofort unterschreiben will, schlägt ihm der Zopf-Mann gegen den Kopf. Einmal, zweimal.

Eine Videoaufnahme des Vorfalls, aufgezeichnet von den Schlägern, kursiert seit Mittwoch im Netz. Seine Wirkung setzt allerdings erst allmählich ein. Für die ukrainische Regierung sind die Bilder der größte anzunehmende Publicity-Unfall. Westliche Politiker stehen unter Druck. Und Russland empfindet das Video als Bestätigung.

Der Mann mit dem Zopf ist Igor Miroschnitschenko, Parlamentsabgeordneter der Partei Swoboda, die am Sturz des Janukowitsch-Regimes beteiligt war und nun in der Übergangsregierung drei Minister stellt. Miroschnitschenko und seine Männer stürmten das Büro des TV-Senderchefs, weil der es gewagt hatte, die Rede des russischen Präsidenten Wladimir Putin zur Annexion der Krim übertragen zu lassen - aus Swoboda-Sicht russische Propaganda. Der Sender ist seit längerem umstritten. "Das war klar ein Janukowitsch-Sender", sagt der Soziologe Mykhaylo Banakgh im Deutschlandfunk. Während der Revolution habe er "diskreditierende Informationen" ausgestrahlt. Dennoch kritisiert Banakgh den "üblen Angriff", der "von der ganzen ukrainischen Zivilgesellschaft auf Schärfste verurteilt" werde.

"Der Glorienschein scheint zu verblassen"

"Swoboda" bedeutet Freiheit, aber für Meinungs- und Pressefreiheit gilt das wohl nicht. Das ist zumindest die Botschaft, die von dem Video ausgeht. Der Vorfall ist Wasser auf die Mühlen derer, die Swoboda für eine gefährliche Kraft halten, die der Westen auf keinen Fall unterstützen sollte. Russische Medien trommeln seit Wochen gegen die "Neo-Nazis" und "Antisemiten" in Kiew. Der Kreml rechtfertigte die Annexion der Krim mit dem Hinweis auf die Bedrohung der russischen Bevölkerung durch die "Faschisten".

In Deutschland kritisierte die stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linken im Bundestag, Sahra Wagenknecht, die Bundesregierung: "Eine Putschregierung, der Neofaschisten und Antisemiten angehören, kommt mit dem Segen von Merkel und Steinmeier ins Amt."

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Mit Ausnahme der Linken betrachteten westliche Politiker den Einfluss der Swoboda-Partei bislang als politische Anomalie, als notwendiges Übel. Diese Sichtweise könnte sich nun ändern. "Der Glorienschein scheint zu verblassen, der aus Sicht von USA und EU nach der Maidan-Bewegung über der neuen prowestlichen Regierung strahlte", schreibt die Nachrichtenagentur Reuters.

Steinmeier verschärft den Ton

Tatsächlich stellt Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier inzwischen Forderungen an Kiew. "Eine Politik für alle Landesteile" müsse her, mahnte er im Hinblick darauf, dass die ostukrainischen Regionen in der Regierung unterrepräsentiert sind. Es müsse eine Verfassung ausgearbeitet und die Todesfälle auf dem Maidan aufgeklärt werden. Außerdem forderte Steinmeier eine klare Distanz von extremistischen Gruppierungen - damit war wohl auch Swoboda gemeint.

Jean-Claude Juncker, Spitzenkandidat der konservativen Parteien für die Europawahl, nannte die Zusammensetzung der ukrainischen Regierung im Interview mit dem Deutschlandfunk am Freitagmorgen "nicht sehr angenehm". Die demokratischen Kräfte in Kiew wüssten, "dass sie in Zukunft nicht mehr mit den Rechtsextremen zusammenarbeiten können".

Der Kreml darf sich von solchen Zitaten bestätigt fühlen. "Miroschnitschenko ist für Putins Propagandisten unbezahlbar: Am Donnerstag meldeten alle großen Zeitungen seine Attacke auf den Fernseh-Chefredakteur", beschreibt der Moskauer Korrespondent von Spiegel Online, Benjamin Bidder, die Lage in Moskau. "Gäbe es ihn nicht schon - der Kreml müsst einen Mann wie Miroschnitschenko erfinden."

Der Mann mit dem Zopf hat erreicht, dass die Argumentationskette jener, die zur Rücksicht gegenüber Kiew aufrufen, auf ihre Festigkeit überprüft werden wird. Die sieht folgendermaßen aus:

  • Ohne die Stimmen von Swoboda im Parlament hätte Janukowitsch nicht gestürzt werden können, hieß es stets. Die übrigen Parteien hielten Swoboda im Zaum. "Das ist keine Zusammenarbeit. Wir haben uns im Kampf gegen das Regime zusammengetan, mehr nicht", sagte Vitali Klitschko, Anführer der Udar-Partei, Mitte März dem Spiegel.
  • Der wesentliche Teil von Swoboda sei harmlos. "Tatsächlich tendiert sie seit geraumer Zeit in Richtung Zentrum und vertritt keine extremistischen Positionen. Es sind Pragmatiker", sagte etwa der ukrainische Schriftsteller Jurij Andruchowytsch der Berliner Zeitung. Ähnlich äußerte sich der ukrainische Politikwissenschaftler Wolodymir Fessenko in der SZ: "Da wird vieles vollkommen übertrieben. Swoboda (...) hat sich von ihren antisemitischen Parolen losgesagt und tritt nun verstärkt pro-europäisch auf." Der Vorsitzende des World Jewish Congress, Josef Zissels, sagte im Menschenrechtsausschuss des Bundestages, die Juden in der Ukraine seien keinerlei Gefahr faschistischer oder antisemitischer Kräfte ausgesetzt.
  • Die von Swoboda besetzten Regierungsposten* (Vizepremier, Verteidigungsminister, Umweltminister, Landwirtschaftsminister) seien unwichtig und nur deshalb zustandegekommen, weil die Partei bei der Wahl 2012 zehn Prozent der Stimmen erreicht hatte. Auch der Generalstaatsanwalt gehört allerdings Swoboda an.
  • Bei der Wahl am 25. Mai werde Swoboda ohnehin eine Pleite erleben, alle Umfragen sprechen dafür.

Aber können sich Eurpoa und die USA, können es sich die demokratischen Kräfte in Kiew wirklich leisten, bis zum 25. Mai zu warten? Diese Frage dürfte nun in der Debatte um Sanktionen gegen Russland mitschwingen.

Miroschnitschenko gab sich übrigens in einer Presserklärung nach der Attacke geläutert: In Zukunft werde er sich als Volksvertreter anderer Mittel bedienen, um die seiner Meinung nach korrupten Bürokraten der Ära Janukowitsch zu bekämpfen.

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Ein Kommentar von Cathrin Kahlweit, Kiew

*Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version war von drei Regierungsposten die Rede, wir haben das korrigiert.

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