Araber mit israelischem Pass:"Ich bin Bürger 2. Klasse"

Yousef Marae ist einer der Ersten, die 1948 im Staat Israel geboren wurden. Für den arabischen Israeli ist das kein Grund zum Feiern. Zum Staatsjubiläum trauert er.

Johannes Honsell, Nazareth

Yousef Marae hat keinen Geburtstag. In seinem Ausweis stehen nur ein paar Nullen und eine Jahreszahl - "1948".

Yousef Marae auf dem Dach seines Hauses nahe Nazareth

"Am Unabhängigkeitstag verlasse ich mein Haus und mein Dorf nicht" - Yousef Marae auf dem Dach seines Hauses nahe Nazareth.

(Foto: Foto: Honsell/Blendwerk.fm/flimmit)

"Ich denke es war Mai, oder Juni, denn mein Vater hat mir erzählt, dass gerade Getreideernte war", sagt Marae. "Es war wohl zu der Zeit, als Israel gegründet wurde."

Zu diesem Ereignis kennt man das genaue Datum: Am 14. Mai 1948 rief David Ben Gurion in Tel Aviv den Staat Israel aus, nur wenige Stunden danach begann der Krieg zwischen Juden und Arabern. Maraes Eltern, arme Bauern, flohen vor den jüdischen Truppen, und als sie in ihr Heimatdorf Mashad nahe Nazareth zurückkehrten, wurde Yousef geboren, "auf der Schwelle unseres Hauses", wie er erzählt. Niemand hat den genauen Tag notiert. Die Eltern konnten weder lesen noch schreiben.

Seitdem hat Marae sein Leben als palästinensischer Araber in einem israelischen Staat zugebracht, wurde der erste Arzt seines Dorfes und schickte fünf seiner sechs Kinder nach Deutschland zum Studieren. Er hat es geschafft, würde man in seinem Dorf sagen. Trotzdem ist er traurig.

Freunde, die Juden sind

"Am Unabhängigkeitstag verlasse ich mein Haus und mein Dorf nicht. Wenn ich diesen Tag feiern würde, würde ich die Gründung eines Staates auf den Ruinen meines Volkes feiern", sagt Marae, und es steckt dahinter kein agitatorischer Hass oder politische Agenda.

Marae ist ein gemäßigter Mann, er will nicht, dass Israel vom Erdboden getilgt wird, und er zählt Juden zu seinem Freundeskreis. Trotzdem ist der Tag der Staatsgründung für ihn nur der Tag der Nakba, der Katastrophe.

Von der sind sein Heimatdorf Mashad und das nahe gelegene Nazareth zwar verschont geblieben: Die Stadt und das Dorf ergaben sich mehr oder weniger kampflos, ihre Einwohner wurden nicht vertrieben wie in vielen umliegenden Dörfern.

Aber die Solidarität mit den "Arabern von 1948", die in die Nachbarstaaten Israels flüchteten und seitdem nicht zurückgekehrt sind, ist groß. Und ebenso das Gefühl der Demütigung durch einen Staat, der Marae und die seinen nicht will, wie er sagt: "Mein ganzes Leben werde ich in diesem Staat als Bürger 2. Klasse behandelt, weil ich Araber und Palästinenser bin."

Eine Kindheit unter israelischer Militärherrschaft

Marae gehört zu den 1,2 Millionen Arabern, die in Israel leben, das insgesamt sieben Millionen Einwohner hat. Sie sitzen zwischen den Stühlen, zwischen arabischem Zugehörigkeitsgefühl und dem Leben in einem israelischen Staat.

Seine Kindheit hat Marae unter israelischer Militärherrschaft verbracht. Sie dauerte von 1948 bis 1966 und schränkte die Bewegungsfreiheit der arabischen Bewohner Israels stark ein. "Wir haben genug gelitten. Wenn man in ein anderes Dorf wollte, brauchte man eine Genehmigung. Überall gab es Kontrollen der Polizei", sagt Marae, der stets ruhig und ein wenig schleppend spricht, egal ob es um israelische Fremdbestimmung oder den Studienerfolg seiner Töchter in Deutschland geht.

"Ich bin Bürger 2. Klasse"

1967, als die Israelis den Sechs-Tage-Triumph gegen die umliegenden arabischen Staaten feierten, ging Marae nur gesenkten Hauptes durch die Straßen. "Was bedeutete diese Euphorie für uns? Der Krieg hat die Dinge auf den Kopf gestellt", beschreibt er vorsichtig die ebenso unerwartete wie vernichtende Niederlage der Araber.

Arabische Frauen in der Gegend um Nazareth. Die Aufnahme ist undatiert, entstand aber vor der Gründung Israelis 1948 foto: scherl

Arabische Frauen in der Gegend um Nazareth. Die Aufnahme ist undatiert, entstand aber vor der Gründung Israels 1948

(Foto: Foto: Scherl)

Marae verließ sein Dorf 1969, um in Prag Medizin zu studieren. Er war der Erste, der studierte, bei seiner Abfahrt geleiteten ihn Freunde und Familie in einem großen Festzug zum Dorfausgang.

Die Kommunistische Partei der Tschechoslowakei finanzierte damals sein Studium, nach neun Jahren kehrte er in sein Heimatdorf zurück, wo er bis heute praktiziert. Alte Schwarzweißfotos zeigen einen nachdenklichen Marae im Rollkragenpullover auf dem Prager Wenzelsplatz, Arm in Arm mit einem Studienkollegen aus Mexiko.

"Als ich in Prag ankam, habe ich gedacht, Gott hat mich in den Himmel geschickt", sagt Marae, der sich mit religiösen Anspielungen sonst zurückhält. "Ich bin nicht sehr gläubig."

Das Haus steht leer, die Kinder sind im Ausland

Arbeit und Familie sind eher Werte, an die er sich hält. Er hat sich in Mashad ein großes Haus gebaut, das nun leer steht, weil alle Kinder seinen Weg beschreiten und im Ausland studieren. "In Israel ist es schwieriger für Araber, aufzusteigen", sagt Marae, und seine jüngste Tochter, die im Sommer nach Deutschland geht, nickt zustimmend.

Bürger zweiter Klasse - Marae steigt auf das Dach seines Hauses, er will einen Beweis führen. "Da drüben liegt Nazareth Illit, die jüdische Stadtneugründung von 1957", sagt er, und deutet auf einen vorgeschobenen Wohnkomplex auf dem Hügel, direkt über dem Dächern Mashads.

"Für diesen Ort wird immer wieder Land unserer Dörfer konfisziert." Nazareth Illit absorbiere immer neue jüdische Immigrantenströme aus dem Osten, während Mashad und die anderen Dörfer nicht mehr wachsen könnten.

Warum bleibt er dann hier? Marae verzieht bei der Frage überrascht das Gesicht. "Warum sollte ich gehen? Ich liebe mein Land. Meine Familie ist hier verwurzelt seit Hunderten von Jahren. Wenn ich sterbe, kommen andere Generationen, und das Leben wird weitergehen." Marae glaubt an eine Zukunft friedlicher Koexistenz der beiden Bevölkerungsgruppen.

"Meine Nation ist nicht besser als irgendeine andere. Aber ich denke, dass mein Volk dasselbe Recht zu leben hat wie alle anderen." Ob er damit die Palästinenser in der Westbank und in Gaza meint, für die er zur Zeit der zweiten Intifada in Nazareth auf die Straße ging, oder die israelischen Araber wie seinesgleichen, sagt er nicht.

Yousef Marae hat sich dazu entschossen, seinen Geburtstag etwas später als der Staat zu feiern, im Herbst, am Geburtstag seiner jüngsten Tochter. Denn ihre Geburt, sagt Marae, sei jedes Jahr wieder "ein wunderbares Geschenk."

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