Profiteure der Globalisierung:Reiche Welt, arme Welt

Operations At A Bayerische Motoren Werke AG (BMW) Motorcycle Factory

Deutschland profitiert wie andere Industrienationen von der Globalisierung, zeigt eine Studie. Im Bild: Ein BMW-Motorrad-Werk in Berlin.

(Foto: Bloomberg)

Abstieg, Unsicherheit, Verlust - die Globalisierung macht vielen Deutschen zunehmend Sorgen, weil in Schwellenländern billiger produziert wird als in Europa. Eine Studie zeigt aber: Vom vernetzten Weltmarkt profitieren vor allem die Industrieländer.

Von Markus Balser, Berlin

Sie vernichtet Arbeitsplätze und zerstört den Wohlfahrtsstaat. Sie ermöglicht, dass Firmen Standorte in Billiglohnländer verlagern und vermögende Steuerzahler ins Ausland flüchten. Sie führt zu einem weltweiten Kampf um Wohlstand, den die reichen Länder nur verlieren könnten. Abstieg, Unsicherheit, Verlust - die Globalisierung machte vielen Deutschen in den vergangenen Jahren zunehmend Sorgen, weil in den Schwellenländern Asiens oder Südamerikas billiger produziert wird als in Europa.

Es würden wohl vor allem die aufstrebenden Nationen wie China oder Indien sein, die im Ringen um Wohlstand künftig die Nase vorn haben, fürchteten auch deutsche Wirtschaftspolitiker. Welche Länder vom wachsenden Welthandel jedoch bislang wirklich am meisten profitierten, darüber gab es kaum valide Informationen. Klar war bislang nur eins: Das Ausmaß der Globalisierung hat in den zurückliegenden Jahrzehnten rasant zugenommen: Lag der Welthandel 1953 bei 84 Milliarden US-Dollar und 1973 bei 600 Milliarden, waren es zuletzt schon knapp 20 Billionen US-Dollar. Dass immer mehr Handelsbarrieren fielen, wurde zum guten Geschäft. Aber für wen?

Erstmals hat die Bertelsmann Stiftung jetzt in einer Studie berechnen lassen, welche Länder die großen Profiteure des zusammenwachsenden Weltmarkts sind. Das von Prognos erstellte Papier, das der Süddeutschen Zeitung vorliegt und an diesem Montag veröffentlicht werden soll, kommt zu überraschenden Ergebnissen: Denn Deutschland zählt der Studie zufolge in den vergangenen zwei Jahrzehnten trotz Outsourcing und Jobverlagerungen zu den großen Gewinnern der zunehmenden internationalen Arbeitsteilung. Das zentrale Ergebnis: Der wachsende Welthandel macht die reiche Welt in hohem Tempo noch reicher: Zwar konnten sämtliche 42 untersuchten Länder - alle großen Industrie- und Schwellenländer - in der wichtigsten Globalisierungsphase von 1990 bis 2011 Wohlstandsgewinne verbuchen.

Doch das Plus des Pro-Kopf-Einkommens fiel sehr unterschiedlich aus: Während das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in den wichtigsten 20 Industrieländern jährlich um durchschnittlich 1000 Euro stieg, legte es in Schwellenländern wie China, Indien oder Mexiko nur um weniger als 100 Euro je Einwohner zu. Die Globalisierung "war während der vergangenen zwei Jahrzehnte vor allem für die Industrienationen ein Treiber für Wachstum des Wohlstands", urteilen die Autoren.

Vorteile hätten vor allem hoch entwickelte Industrienationen gehabt, die im Vergleich zu den Schwellenländern schon 1990 über ein sehr hohes Bruttoinlandsprodukt je Einwohner verfügten und in denen die Globalisierung bereits in den 90er-Jahren starke Schübe erfuhr, heißt es. "Alle untersuchten Länder haben von der Globalisierung profitiert", sagt der Vorstandsvorsitzende der Bertelsmann Stiftung, Aart de Geus, "aber die Industrieländer deutlich stärker als die Schwellenländer".

Wie können Schwellenländer aufschließen?

Deutschland liegt in der Rangliste der größten Profiteure hinter den starken Exportnationen Finnland, Dänemark und Japan auf Platz vier. Allein die Globalisierung habe Deutschlands Wirtschaftsleistung von 1990 bis 2011 jedes Jahr um rund 100 Milliarden Euro wachsen lassen - in Summe ein Plus von zwei Billionen Euro, so das Ergebnis der Studie. Das entspricht etwa fast der gesamten Wirtschaftsleistung eines Jahres - oder durchschnittlich 1240 Euro pro Kopf und Jahr. Die zunehmende Verflechtung auf wirtschaftlicher, politischer und sozialer Ebene war damit für 20 Prozent des Wachstums in Deutschland verantwortlich. "Wir haben in Deutschland so viele Arbeitsplätze wie noch nie - das ist auch eine Folge der Globalisierung", sagt de Geus.

Die Länder mit den geringsten Globalisierungsgewinnen je Einwohner sind dagegen die großen Schwellenländer wie Brasilien, Russland, Mexiko, China und Indien. Brasilien landete mit einem jährlichen Einkommensplus pro Kopf mit 120 Euro ebenso auf einem der letzten Plätze wie Mexiko mit 100 Euro. Schlusslicht im Ländervergleich ist Indien mit nur 20 Euro. Die USA rangieren beim Pro-Kopf-Vergleich nur im Mittelfeld der 42 untersuchten Nationen - einen Platz hinter Estland. Angesichts der unterschiedlichen Wachstumseffekte räumen die Autoren der Studie aber auch mit einem zweiten Vorurteil auf: Sie dämpfen die Hoffnungen vieler Experten, die Globalisierung könne den Wohlstand weltweit gerechter verteilen. "Wir müssen erkennen, dass die Globalisierung die Schere zwischen Arm und Reich eher noch weiter öffnet als schließt", warnt de Geus. "Erst über einen längeren Zeitraum wird sie dazu beitragen, dass Schwellen- und Entwicklungsländer die Wohlstandslücke zu den Industrienationen verkleinern können."

Die Experten empfehlen Regierungen weltweit deshalb eine radikale Korrektur ihrer Handelspolitik: "Damit Schwellenländer aufschließen können, sollte ihre Integration in die Weltwirtschaft stärker gefördert werden." Sie fordern ein ganzes Bündel von Reaktionen. Industrieländer müssten etwa ihre Märkte für Produkte aus weniger entwickelten Ländern öffnen, ihre Subventionen in der Agrarindustrie drosseln, Bildung, den Ausbau der Infrastruktur und der Produktionsanlagen finanzieren. "Die stärkere Vernetzung steigert den Wohlstand auf der ganzen Welt", sagt de Geus. "Es ist Zeit, mit alten Ängsten aufzuräumen." Doch der Freihandel ist längst nicht mehr so frei, wie sich sein Vordenker David Ricardo das vorgestellt hat. Vielerorts werden nicht nur neue Handelshürden aufgebaut.

Auch angesichts der Spannungen zwischen Europa und Russland gehen Experten von Folgen für die Handelsbeziehungen aus. "Wir spüren die Effekte auf die Märkte schon jetzt", sagt de Geus. "Wir können nur hoffen, dass sich die wirtschaftlichen Beziehungen weiterentwickeln können."

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