Digitalisierung:Wie der Buchhandel sich retten will

Krimi-Festivals, Jazz-Spezialisierung und kompetente Beratung: Buchhändler überlegen, wie sie die Herausforderung der Digitalisierung und die "Shades-of-Grey-Delle" überleben. Wem es gelingt, dem schreibt schon mal Donna Leon ins Gästebuch.

Von Dieter Sürig

Immer wieder "Shades of Grey": Wenn die deutschen Buchhändler über die eigenen Befindlichkeiten nachdenken, dann wird gerne diese erotische Romantrilogie hergenommen, die 2012 die Bestsellerlisten erobert hat. Sie hat die Lust der Deutschen wieder belebt - zumindest die Lust aufs Lesen. Und der Titel war hierzulande das bislang meist verkaufte E-Book. Die Begierde lässt aber schon wieder nach. Nun sprechen die Buchhändler von der "Shades-Delle". Die hat der Branche im August bei der Belletristik einen Umsatzeinbruch von etwa zehn Prozent beschert.

Ein neuer Bestseller fehlt.

Dieses Beispiel zeigt ganz gut, mit welchem Wandel der Buchhandel gerade zu kämpfen hat. "Shades" hatte seinen Ursprung im Internet, wo es zunächst als die Geschichte eines Fans zur Vampir-Twilight-Saga auftauchte, später auf der Webseite der Autorin, dann als E-Book. Verlage und erst recht der Buchhandel waren bis dahin völlig außen vor - bis die Bücher dann doch gedruckt wurden. Die Frage, ob ein Autor überhaupt noch den Buchhandel braucht, war damit beantwortet - zumindest fürs Erste. Solange der Leser nach gedruckten Büchern verlangt, hat der Buchhandel seine Berechtigung.

Der Internethandel, die Buchketten mit Hunderten Filialen und die Tatsache, dass Bücher nicht mehr nur gedruckt werden, sondern auch in digitaler Form auf Tablets und anderen Geräten gelesen und per Klick gekauft werden - all dies setzt die kleineren Buchhändler unter Druck. Für manche ist folgendes Indiz alarmierend: Die Zahl der Mitgliedsbuchhandlungen des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels ist seit 1999 von knapp 4850 auf 3440 gesunken. Insgesamt gibt es derzeit 6000 Buchläden im Land.

Seit einiger Zeit diskutieren Börsenverein und Händler nichts weniger als die Strategien fürs eigene Überleben. Da werden in Arbeitsgruppen Matrizen erstellt, Mittelwerte gebildet, Thesen formuliert - alles recht abstrakt. Schon vor einigen Jahren zeigten sich die Händler überzeugt, dass die Umsätze mit gedruckten Büchern "rapide zurückgehen". In den Läden sei eine "drastische Reduzierung der stationären Flächen zu erwarten". Und die Lösung sieht - vereinfacht zusammengefasst - so aus: "Spezialisierung, Markenbildung und Ausbildung digitaler Kompetenzen", heißt es etwas sperrig.

Soll bedeuten: Die großen Häuser mit vollem Sortiment wie die Hugendubel-Filiale am Münchner Marienplatz, die bald schließen muss, sind Auslaufmodelle. Die Zukunftskonferenz der Branche fand im vergangenen Jahr noch etwas heraus: Buchhandlungen sollen sich als "Orte der intellektuellen Auseinandersetzung" profilieren.

Alexander Skipis, der Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins, hat in solchen Zeiten bereits das richtige Marketingsprech drauf. Er redet von "USPs", unique selling propositions. So bezeichnen Verkaufspsychologen Besonderheiten, um sich vom Wettbewerber abzuheben. "Der ordnende Geist des Buchhändlers, der beraten und auch mal das Außergewöhnliche empfehlen kann", zählt für ihn klar dazu. Damit stehe der Händler in seinem kleinen Laden besser da, als "noch so kluge Algorithmen". Ist das nur ein Schönreden einer verzweifelten Situation? Online legt immerhin stetig zu .

Skipis sieht zwei Pole, zwischen denen sich ein klassischer Buchhändler bewegen muss: Beratung, Orientierung und Kulturvermittlung einerseits, sowie zweitens kundenfreundliche elektronische Plattformen. "Es wird immer klarer, dass es Hybridmodelle geben wird", sagt er. Der stationäre Buchhandel werde damit die Nase vorn haben, weil er über Qualitäten und Fähigkeiten verfügt, die keine Internetplattform je bieten kann, davon ist Skipis überzeugt. Sein Wunsch: "Buchhandlungen, die anregend sind und Emotionen in alle Richtungen vermitteln."

Die Buchhandlung als Begegnungsstätte

Eine Stärke kleinerer Buchläden ist der enge Kundenkontakt. Skipis vergleicht es mit den Geschäften von früher: Tante Emma, sprich: die Frau hinter der Ladentheke, kannte ihre Kunden und konnte ihnen etwas empfehlen. "Ein immenser Vorteil, den die Buchhändler auch nutzen müssen." Nur diejenigen werden erfolgreich sein, "die dieses Verständnis mitbringen".

Persönlichkeit ist gefragt.

Einer, der damit punkten konnte, ist Thomas Wrensch, der mit seinem Bruder die 1867 gegründete Braunschweiger Buchhandlung Graff mit etwa 100 Mitarbeitern führt. "Wir müssen auch präsent sein, die Kunden haben uns mit der Buchhandlung identifiziert", sagt er. Der Börsenverein führt ihn gerne als ein Musterbeispiel für Erfolgsgeschichten aus dem Buchhandel an. Unter diesem Titel hat der Verein in einem Bändchen Buchhändler versammelt, die zeigen, wie sich klassische Läden behaupten, die sich auch mal gegen die Großen stemmen. So wie Wrensch, dem es mit einem Jazz-Sortiment und weiteren Angeboten gelungen ist, den Umsatzrückgang trotz zweier Filialen der Buchkette Thalia in der Nähe überschaubar zu halten. Ein Thalia-Laden ist mittlerweile sogar wieder verschwunden. Das Gästebuch auf seiner Internetseite weist illustre Gäste aus: Donna Leon, Uwe Timm, gerade war Daniel Kehlmann da. Wrensch nimmt seine Kunden mit auf die Buchmesse, organisiert ein Krimifestival. Können sich kleinere Buchläden den Weg ins Internet überhaupt leisten - und vor allem: Finden sie sich dort auch zurecht?

Skipis lässt diesen Einwand nicht gelten: "Der Verband bietet sehr viele Möglichkeiten", um die technischen Voraussetzungen zu schaffen. Darunter auch einen Webshop. Gerade verhandelt er mit den Machern der E-Book-Plattform Tolino über eine Beteiligung. Thalia, Weltbild, Hugendubel und Bertelsmann hatten das System im Frühjahr gestartet, um ein Gegengewicht zu Amazon zu bilden, und andere Buchhändler eingeladen mitzumachen. Das Lesegerät Tolino scheint erfolgreich: In der Branche sprechen sie bereits von einem Marktanteil von 30 Prozent.

Für Wrensch ist das Netz unabdingbar: "Wir müssen in unseren Internetauftritt genau so investieren, wie in ein Ladenlokal." Auch der Tolino sei eine Option. "Es sollte aber zu Konditionen sein, die auskömmlich sind. Bisher ist die Spanne zu gering". Die Verhandlungen laufen noch.

Als Sprecher des Sortimenter-Ausschusses im Verband kennt er die Anforderungen kleiner Läden. Die müssten "zu einem bestimmten Thema kompetent werden", sich spezialisieren. "Der Buchhandel wird erfolgreich sein, wenn er kundenorientiert ist und virtuos auf der Klaviatur des Digitalen und des Örtlichen spielen wird", sagt Skipis. Wrensch fasst ganz gut zusammen, was gefragt ist: "Die Buchhandlung muss zur Begegnungsstätte werden. Nur zum Bestellen braucht man sie nicht mehr".

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