Bericht zu Armutszuwanderung:Ohrfeige für die Scharfmacher der CSU

Nahles und de Maiziere

Arbeitsministerin Nahles und Innenminister de Maizière stellen den Bericht der Bundesregierung vor.

(Foto: dpa)

Wer betrügt, der fliegt? Mit solchen Sprüchen zur Zuwanderung von Rumänen und Bulgaren müsste jetzt Schluss sein. Denn ein Bericht der Bundesregierung stellt klar: Wenn es Probleme gibt, dann sind sie beherrschbar und regional stark begrenzt.

Von Thorsten Denkler, Berlin

Wäre Thomas de Maizière in der CSU, er hätte wohl schon nach seinen Eingangsworten ein Verfahren wegen parteischädigenden Verhaltens am Hals. Kein "Wer betrügt der fliegt", keine sonstigen markigen Sprüche zur Frage der Armutszuwanderung aus Rumänien und Bulgarien kommen dem CDU-Politiker über die Lippen. Stattdessen sagt er, die Debatte sei ja "spektakulär" geführt worden - in Anspielung auf die Äußerungen von CSU-Chef Horst Seehofer Ende 2013. Es sei deshalb gut, dass sie in die "geordneten Bahnen des Regierungshandles überführt" worden sei. De Maizière ist eben eher der sachliche Typ.

Zusammen mit Arbeitsministerin Andrea Nahles von der SPD hat der Innenminister den Zwischenberichts eines Ausschusses von Staatssekretären vorgestellt, der sich mit der Thematik befasst hat. Der Titel ist etwas sperrig: "Rechtsfragen und Herausforderungen bei der Inanspruchnahme der sozialen Sicherungssysteme durch Angehörige der EU-Mitgliedsstaaten".

Eine Ohrfeige für Scharfmacher

Um es vorwegzunehmen: Das 133 Seiten starke Werk ist ein Ohrfeige für die Scharfmacher aus der CSU. Eine massenhafte Zuwanderung in die Sozialsysteme, wie sie die CSU befürchtet, geben die Daten nicht her.

De Maizière stellt zwar fest: "Die Zuwanderung hat zugenommen." Im selben Atemzug sagt er aber: "Das ist eine gute Nachricht für unser Land." Die Zuwanderer trügen zum "Wohlstand in unserem Land bei".

Probleme gebe es, aber die seien "bundesweit überschaubar" und "bundesweit beherrschbar". Nur in einzelnen Regionen, oder noch präziser: in einzelnen Vierteln in wenigen Städten gebe es Probleme mit Armutszuwanderung, die de Maizière als "besorgniserregend" bezeichnet. Dazu gehören vor allem die Städte Duisburg und Offenbach. Deshalb sei es richtig, früh gegenzusteuern, um nicht in einigen Jahren vor größeren und dann womöglich weniger beherrschbaren Problemen zu stehen.

Die absoluten Zahlen sind dem Minister zufolge unproblematisch. Bundesweit seien im vergangenen Jahr lediglich 75 000 mehr Bulgaren und Rumänen nach Deutschland gekommen, als wieder ausgewandert sind. Für 2014 rechnet er mit einer Verdoppelung der Zahl. Nur ein geringer Teil der insgesamt in Deutschland lebenden Bulgaren und Rumänen bekomme Hartz IV. Etwa 40 000 seien es im Juli 2013 gewesen. Oder 0,7 Prozent aller Hartz-IV-Empfänger. Diese Gruppe sei sogar "leicht unterdurchschnittlich" von Hartz-IV abhängig.

Kommunen sollen finanziell unterstützt werden

Sorge bereiteten ihm nur die zum Teil enormen Steigerungsraten von bis zu 90 Prozent in einzelnen Kommunen. Da gehe es vor allem um Fragen des Wohnraums, der Schulen, der Integration.

Die Bundesregierung will den wenigen betroffenen Kommunen jetzt schnell helfen, die Probleme vor Ort in den Griff zu bekommen. Insgesamt werden die Europäische Union, der Bund und zu einem geringen Teil die Kommunen 200 Millionen Euro für die kommenden sieben Jahre bereitstellen. Den Löwenanteil trägt der europäische Sozialfonds mit 140 Millionen Euro.

Damit sollen muttersprachliche Integrationshelfer, Integrationskurse und Ausbildungen bezahlt werden. Geld soll auch fließen, um marode Häuser zu sanieren, Begegnungsstädten zu schaffen und Spielplätze und Grünflächen herzurichten.

Nahles und de Maizière wollen zudem gezielt gegen Sozialmissbrauch vorgehen, auch wenn dazu keine konkreten Zahlen vorliegen. Die Missbrauchsquote im Hartz-IV-System allgemein liegt bei etwa sieben Prozent, berichtet Nahles. Ob diese Zahl auch für Rumänen und Bulgaren gilt, vermochte sie nicht zu sagen.

Um Missbrauch vorzubeugen, will die Bundesregierung ein ganzes Bündel von Regeln ändern:

  • Wer ein Gewerbe betreiben will, muss dies bisher den Ämtern nur mitteilen. Überprüft wird da nichts. De Maizière will, dass zumindest dem Verdacht der Scheinselbständigkeit nachgegangen wird. Ein Beispiel gibt der Minister selbst: Ein Anhaltspunkt liege vor, wenn etwa jemand mit perfekt in Deutsch ausgefüllten Formularen zum Amt komme, aber selbst kein Wort Deutsch spreche und keine Nachfrage beantworten könne.
  • Er möchte zudem eine Wiedereinreisesperre für EU-Bürger verhängen, die sich Sozialleistungen erschlichen hätten. Sie verlören zwar jetzt schon ihre Aufenthaltserlaubnis. Aber das sei "ein stumpfes Schwert", wenn die Wiedereinreise ungehindert möglich sei.
  • Das Kindergeld soll so geregelt werden, dass Missbrauch erschwert wird.
  • Arbeitnehmer sollen wieder verpflichtet werden, ihre Personaldokumente, also Ausweise und eventuelle Aufenthaltsgenehmigungen bei sich zu führen. Das wäre ohnehin ein gutes Mittel gegen Schwarzarbeit.
  • Ein Auge soll auch auf diejenigen gerichtet werden, die zugezogene Arbeiter aus dem Osten Europas zum Sozialmissbrauch anstiften. Die Kontrollen müssten verstärkt werden, damit niemand aus der Notlage anderer "ein Geschäft" machen könne. sagte de Maizière.
  • Zuwanderern, die keine Aussicht auf einen Job haben, soll die Aufenthaltserlaubnis nach einer bestimmten Frist wieder entzogen werden können. Nahles spricht von drei oder sechs Monaten. Eine Festlegung gebe es aber noch nicht.

Bis Juni will die Bundesregierung einen Maßnahmenkatalog präsentieren und mit den Kommunen abstimmen. Noch in diesem Jahr soll die Hilfe anrollen. Jetzt fehlt nur noch, dass die CSU verbal abrüstet.

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