Bayerisches Oberland:Wolf in Gefahr

Wolf

Ein junger Wolf in einem Wildpark in Groß Schönebeck (Brandenburg). Der Wolf in den bayerischen Alpen sorgt bei der Bevölkerung für Unruhe.

(Foto: Patrick Pleul/dpa)

Es war nur eine Frage der Zeit, bis in Bayern wieder Wölfe auftauchen. Der Rüde, der jetzt im Wendelstein-Gebiet unterwegs ist, sorgt für Unruhe. Die Abneigung der Bevölkerung ist groß und immer wieder greifen Leute zu Gift oder Gewehr.

Von Christian Sebald

Nein, natürlich weiß Ulrich Wotschikowsky nicht, wo sich der junge Wolf herumtreibt. Auch wenn er einer der führenden Fachmänner für Wölfe ist. "Aber wir haben nichts außer dieser einen Hirschkuh, die er vor 14 Tagen am Wendelstein gerissen hat", sagt er. "Gut möglich, dass er weitergezogen ist." Es ist aber genauso gut möglich, dass sich der Wolf zwischen Oberaudorf, Brannenburg und Wendelstein niedergelassen hat. Die Gegend mit ihren Bergen, weitläufigen Almen und tiefen Wäldern hat alles, was er braucht: Rehe, Hirsche und Gämsen als Nahrung und stille, unzugängliche Orte, wo er Ruhe hat. "Mehr benötigt ein Wolf nicht, damit er sich wohl fühlt", sagt Wotschikowsky. "Nur wenn kein Weibchen nachkommt, wird es ihm irgendwann zu einsam."

Alles bestens, möchte man meinen. Noch dazu, wo einem jeden klar war, dass es einzig eine Frage der Zeit war, bis in Bayern wieder Wölfe auftauchen. Ob in der Schweiz, in Tschechien oder in Sachsen: Überall um den Freistaat herum hat sich die streng geschützte Art längst neu etabliert. Und sie breitet sich von Jahr zu Jahr aus. Wenn die Jungen mit zwei Jahren geschlechtsreif sind, verlassen sie das Elternrudel und suchen sich eigene Reviere. Dabei wandern sie oft Hunderte Kilometer weit. Schon seit Jahren rechnet Wotschikowsky deshalb damit, dass Bayern wieder Wolfsland wird - so wie es das bis weit ins 19. Jahrhundert war.

"Dass es ausgerechnet das Wendelstein-Gebiet ist, das sich der neue Wolf ausgesucht hat, dürfte freilich ein Zufall sein", sagt Wotschikowsky, "allerdings ein merkwürdiger". Schon vor vier Jahren hatte sich in der Region um den 1838 Meter hohen Aussichtsgipfel ein junger Rüde niedergelassen. Ein Jahr streifte der Bayrischzeller Wolf umher und löste ein Tohuwabohu aus. Er brachte sämtliche Almbauern gegen sich auf, weil er 28 Schafe riss. Die Jäger waren stocksauer, weil er mindestens zwei Rehe und 15 Stück Rotwild tötete. Auch die Touristiker waren natürlich gegen den Wolf. Zwar hat ihn keiner je zu Gesicht bekommen - so scheu wie die Raubtiere sind -, aber sie wähnten nicht nur die Einheimischen in großer Gefahr, sondern vor allem die Ausflügler und Feriengäste. Dann plötzlich war der Wolf verschwunden. Experten vermuten, dass er abgeschossen wurde - auch wenn das eine Straftat ist, auf die bis zu fünf Jahre Gefängnis und 20 000 Euro Geldstrafe stehen.

Streng geschützt, trotzdem abgeschossen

Der Verdacht kommt nicht von ungefähr. So sehr sich Naturschützer darüber freuen, dass Wölfe und andere einst ausgerottete Raubtiere ihre einstigen Lebensräume zurückerobern, so groß ist die Abwehr der Bevölkerung. Und ganz offenkundig bleibt es nicht nur bei Stammtischgerede. Immer wieder greifen Leute zum Gewehr oder zu Gift. Den jungen Luchsen im Bayerischen Wald etwa geht es nur so lange bestens, wie sie im dortigen Nationalpark umherstreifen. Wandern sie ab, verschwinden sie so spurlos, dass es für die Forscherin Sybille Wölfl "mit natürlicher Mortalität nichts mehr zu tun hat". Anders gesagt: Im Bayerischen Wald werden Luchse, obwohl sie so streng geschützt sind wie Wölfe, immer wieder abgeschossen, vergiftet oder auf andere Weise getötet.

Naturschutzorganisationen fordern deshalb schon seit langem eine zentrale Polizeieinheit, die solche Straftaten verfolgt. "Gerade jetzt, wo wir womöglich wieder einen Wolf haben, wäre sie dringend nötig", sagt Peter Blanché von der Gesellschaft zum Schutz der Wölfe, "allein schon aus Abschreckungsgründen". Aber nicht nur das. Die örtlichen Polizeireviere seien mit Naturschutzstraftaten zumeist fachlich überfordert, sagen Experten, außerdem fehle ihnen das Gespür.

Aber selbst wenn es einmal gelingt, einen Täter dingfest zu machen, werden die Verfahren oft eingestellt. So wie in der Rhön. Dort wurden vor einem Jahr die Kadaver von neun Rotmilanen, einem Schwarzmilan, fünf Mäusebussarden, einer Elster, fünf Füchsen und zwei Steinmardern entdeckt. Die Tiere waren alle vergiftet worden. Zwar wurde ein Verdächtiger ermittelt. Doch dann stellten die Behörden das Verfahren ein - wegen mangelnden öffentlichen Interesses. "Das ist ein Freibrief für jeden Wilderer", sagt Blanché. "Solange sich da nichts ändert, werden es Wolf, Luchs und Co. sehr schwer haben."

Der Zorn kocht wieder hoch

Auch der Wolf im Inntal. Seit sich seine Ankunft herumgesprochen hat, kocht der Zorn wieder hoch. Die Bauern fürchten um ihre Schafe, Ziegen und Jungrinder, die sie demnächst auf die Almen treiben wollen. Die Jäger klagen, das Wild bleibe auf der Strecke. Und es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis sich ein Touristiker meldet, der Tagesausflügler und Urlauber in Gefahr wähnt. Auch an den Stammtischen ereifern sie sich bereits, es wäre das Beste, wenn der neue Wolf nie mehr auftauchen würde. So wie vor drei Jahren der Bayrischzeller Wolf plötzlich weg war.

Der Wolfsexperte Wotschikowsky ist schon so in Sorge, dass er ein Signal der Staatsregierung fordert. "Die Naturschutzgesetze sind eindeutig: Sie muss dafür sorgen, dass der Wolf in Bayern eine Chance hat", sagt er. "Es ist überfällig, dass sich Umweltminister Marcel Huber vor die Leute hinstellt und sich dazu bekennt."

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