Kunst und Selfies:Eine historische Verbündete

Maria Lassnig MOMA

Maria Lassnig: "Selbstporträt unter Plastik" (1972).

(Foto: Museum of Modern Art)

New York diskutiert über Selfies: Anlass ist ausgerechnet die erste Retrospektive der 94-jährigen österreichischen Malerin Maria Lassnig im Museum of Modern Art.

Von Peter Richter

Wenn die Rezeption eines Werkes immer mindestens so viel über die Betrachter aussagt wie über das Werk selber, dann fällt die Malerei von Maria Lassnig in den von Hightech und sozialen Netzwerken besessenen USA offensichtlich auf den idealen Boden. Die Arbeiten der 94 Jahre alten Künstlerin aus Österreich sind in den letzten Jahren in Europa viel zu sehen gewesen, es gab die triumphale Einzelschau in der Serpentine Gallery in London, einen Goldenen Löwen in Venedig, die große Retrospektive in Graz und Hamburg.

Jetzt hat Peter Eleey vom MoMA PS1 in New York eine erste große Werkschau von Lassnig nach Amerika geholt, 73 Bilder von den Anfängen bis zuletzt, und das heißt, dass auch das Selbstporträt aus den Vierzigerjahren gezeigt wird, das ihr den Ruf einbrachte, wie Rembrandt zu malen. Es folgen die von ihr so genannten Körperempfindungsbilder, die weniger ein Spiegelbild reproduzieren als die psychische und vor allem physiologische Eigenwahrnehmung des Körpers, bei der beispielsweise die Ohren weggelassen werden, wenn deren Vorhandensein im konkreten Fall nicht körperlich empfunden wird.

Man sieht, wie diese Bilder von den künstlerischen Strömungen der Nachkriegszeit in Form gewaschen werden, wie sich Lassnig mit allen Phasen der Abstraktion in den Fünfziger- und Sechzigerjahren auseinandersetzt, um sich dann vom Minimalismus nicht mehr mitnehmen zu lassen. Ab den Siebzigerjahren scheint Lassnig mit ihrer Malerei wirklich nur noch auf sich selbst und ihre Umgebung zu reagieren, selbst die Jahre, die sie damals in New York verbracht hat, schlagen sich in ihren Bildern eigentlich nicht nennenswert nieder.

Und trotzdem reagieren sie in New York jetzt in einer Weise, als hätte Lassnig ihnen da etwas Ureigenes vorformuliert. Das Erste, woran etwa Mary M. Lane vom Wall Street Journal vor Lassnigs erstem "expressiven Selbstporträt" denkt, sind die Emotionsfilter für Smartphone Selfies auf Instagram. Man kann darüber streiten, wie viel mit dem Telefon aufgenommene Knutschmünder mit von innen heraus gemalten Empfindungsporträts zu tun haben.

Aber dass die sogenannten Selfies eine beispiellose Selbstermächtigung über das eigene Konterfei bedeuten und eine Rebellion gegen die Despotie des "Bitte recht freundlich", ist nicht zu übersehen. Offensichtlich hat dieser neue Selfmade-Expressionismus im Moment noch die Tendenz, innere Zustände in konfektionierten Posen nach außen zu stülpen, sodass sie eben auf Instagram kategorisiert und verschlagwortet werden können. Aber ein Ausdrucksbedürfnis ist offensichtlich, und es findet in Lassnigs Bildern historische Verbündete.

Woanders werden sie sogar noch für viel konkretere Dinge in Anspruch genommen. Andrea K. Scott sieht in Lassnigs "Transparantem Selbstporträt" von 1987 - einem En-Face-Stück, mit schwebender Glasscheibe vor den Augen - nicht weniger als den Vorschein der Google-Brille: "Google Glass avant la lettre". Wenn das Auge eine physiologische Ausstülpung des Gehirns ist und in Zukunft seine technologischen Erweiterungen und Spiegel vor dem Gesicht finden wird, dann ist diese Welt natürlich ein ganz anderer Resonanzraum für das, was Lassnig auf ihre Leinwände gebracht hat, als die Welt, in der sie das tat.

Mit diesem Phänomen ist sie aber in guter Gesellschaft. Raffael konnte auch noch nicht sicher wissen, dass eines Tages Schiffe mit Schaufelrädern fahren würden - etwa vierhundert Jahre, nachdem er seiner Galathea schon mal welche an die Muschel malte.

Maria Lassnig. Im MoMAPS1. Bis 25.5.

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