Der 19. Prozesstag:Gerrie Nel: "Sie hören mir nicht zu"

Oscar Pistorius

Oscar Pistorius vor dem Gerichtsgebäude in Pretoria, in dem er an diesem Mittwoch Staatsanwalt Gerrie Nel antworten muss.

(Foto: AP)

Zwei Tage lang durfte Oscar Pistorius vor Gericht recht frei seine Version des Abends erzählen, an dem er seine Freundin tötete. Jetzt nimmt Staatsanwalt Gerrie Nel den Sportler ins Kreuzverhör - und gibt ihm "den guten Rat", genau zuzuhören und exakt zu antworten.

Der Prozesstag im Newsblog

  • Prozess für den Tag unterbrochen
  • Was genau bedeutet "versehentlich"?
  • Staatsanwalt Gerrie Nel ermahnt den Angeklagten, gut zuzuhören und exakt auf Fragen zu antworten.
  • Anklage zeigt Video, in dem Pistorius auf einer Schießanlage zu sehen ist

Prozess unterbrochen: Das Gericht hält sich strikt an den Stundenplan und vertagt sich um Punkt 15 Uhr bis zum Donnerstagmorgen.

Wie schoss Pistorius?: Staatsanwalt Gerrie Nel will beweisen, dass Oscar Pistorius nicht aus Versehen auf Reeva Steenkamp geschossen hat. Der Angeklagte spricht immer wieder von einem tragischen "Versehen" ("accident") gesprochen. Wie genau er das meint, will Ankläger Nel wissen. "Haben sich die Schüsse versehentlich gelöst?", fragt er. Und ob ihm klar sei, was das bedeute, "versehentlich gelöst"? Pistorius sucht nach Ausflüchten, beteuert immer wieder, er habe nicht die Absicht gehabt, "irgendjemanden zu erschießen". Nach wiederholtem Nachfragen sagt er schließlich: "Ich habe abgedrückt", beeilt sich jedoch erneut, zu betonen, er habe niemanden töten wollen. Ob er über die Folgen nachdenke, bevor er antworte, fragt Staatsanwalt Nel. "Natürlich", antwortet der Angeklagte. "Es geht hier um mein Leben." Die Antwort des Staatsanwalts ist prompt: "Reeva hat kein Leben mehr."

Staatsanwalt Nel setzt Pistorius unter Druck: Zu Beginn seiner Befragung will Nel vom Angeklagten die Worte hören "Ich habe Reeva Steenkamp erschossen und getötet". Pistorius sucht nach Ausflüchten, sagt, er habe "nicht beabsichtigt, Reeva oder irgendjemand anderen zu töten". Er könne ihn nicht warnen, sagt Nel später, als Pistorius in längliche Erklärungen zu veränderten Gegenständen am Tatort abschweift. Er gebe ihm jedoch einen guten Rat: Pistorius solle genau zuhören und auf die Fragen antworten. Er habe offensichtlich viele Antworten im Kopf, sagt Nel zu Pistorius, die er vortragen wolle. Er solle jedoch auf exakt die Fragen antworten, die ihm gestellt würden. Nel klingt sehr bestimmt. "Sie hören mir nicht zu", sagt er immer wieder. Nel spricht mit ausladender Gestik und lächelt immer wieder, als mache er einen Scherz, den nur er versteht. Der Ton im Gericht hat sich deutlich geändert.

Kreuzverhör konzentriert sich auf Details: Staatsanwalt Gerrie Nel konzentriert sich in seinen Fragen an Pistorius auf Details, deren Relevanz sich zum jetzigen Zeitpunkt nur schwer erschließt. Befand sich der Stand-Ventilator gänzlich auf dem Balkon oder lediglich eines seiner drei Beine? Warum wurde in der Stellungnahme vom vergangenen August (Hier in voller Länge als pdf) nur ein Ventilator erwähnt? In der Begründung, warum er sich für "nicht schuldig" erklärt, sprach Pistorius auch die Tatsache an, dass der Tatort "verunreinigt, durcheinandergebracht und verändert" war ("contaminated, disturbed and tampered with"). Welcher dieser drei Begriffe trifft genau auf den Ventilator zu? Auf Reevas Mobiltelefon, das mutmaßlich bewegt wurde? Seit Pistorius' Verhaftung sind immer wieder Pannen bei den Ermittlungen zutage getreten. So bewahrte etwa der leitende Ermittler Gilliam Van Rensburg die Toilettentür zeitweise in seinem Büro auf.

Video zeigt Pistorius auf Schießanlage: Der Staatsanwalt zeigt ein Video, auf dem der Angeklagte bei Schießübungen mit Freunden zu sehen ist. Pistorius zielt mit seiner Waffe auf eine Melone, drückt ab, die Frucht wird zerfetzt. Auf dem Band ist Pistorius' Stimme zu hören. Sie sagt, die Melone sei "viel weicher als ein Gehirn" und die Waffe sei ein "Zombie-Stopper". Pistorius erinnert sich an das Video, betont aber den Unterschied zwischen Schüssen auf eine Melone und einen Menschen. Im Nachhinein finde er seine Worte schrecklich. Die Richterin hat das Video erst nach einer kurzen Bedenkzeit zugelassen. Auf Youtube ist ein Teil davon zu sehen.

Aussage nicht gefilmt: Pistorius macht von seinem Recht Gebrauch, während der Aussage nicht gefilmt zu werden. Der Livestream, der zum Beispiel beim US-Nachrichtensender CNN verfolgt werden kann, zeigt den vollen Gerichtssaal. Unter den Besuchern befinden sich unter anderem die Mutter Reeva Steenkamps sowie Eltern und Geschwister des Angeklagten. Oscar Pistorius ist lediglich zu hören. Journalisten berichten jedoch aus dem Gerichtssaal, dass der Sportler bei seiner Aussage den Blickkontakt mit Staatsanwalt Nel vermeidet. Nel stellt die Fragen, Pistorius wendet sich bei seinen Antworten an Richterin Thokozile Masipa, sagt vor jedem Satz "Mylady".

Nach den tödlichen Schüssen: Vor dem Kreuzverhör wurde der beidseitig beinamputierte Sportler an diesem 18. Prozesstag von seinem Verteidiger Barry Roux befragt. Erneut dreht sich die Befragung um die Tatnacht, um das, was geschah, nachdem Pistorius seine Freundin durch die geschlossene Toilettentür erschossen hatte. Er habe die Tür mit einem Kricketschläger eingeschlagen, sich über Steenkamp gebeugt, habe keinen Atem gehört. Dann habe er versucht, sie hochzuheben, berichtet Pistorius unter Tränen. Er habe einen Nachbarn und den Rettungsdienst angerufen. Er habe den Nachbarn angeschrien, ihm zu helfen, seine Freundin ins Krankenhaus zu bringen. Vergeblich. "Reeva war schon gestorben, während ich sie hielt, bevor der Rettungswagen kam", sagt Pistorius.

Demonstration im Gerichtssaal: Auf Geheiß seines Verteidigers Roux zeigt Pistorius, wie er den Kricketschläger geschwungen hat, um die Tür zur Toilettenkabine einzuschlagen. Pistorius kommt dem nach, er trägt dabei weiterhin seine Prothesen. Die Frage nach den Schlägen auf die Tür ist wichtig, weil sich hier Anklage und Verteidigung widersprechen. Die Anklage stützt sich auf die Aussagen eines Experten, der sagt, Pistorius habe den Kricketschläger geschwungen, ohne seine Prothesen zu tragen. Pistorius beharrt darauf, das sei für ihn schon rein körperlich nicht möglich.

Die entscheidenden Momente der Tatnacht: Am Dienstag begann der Angeklagte vor Gericht mit der Schilderung des Abends an dem Steenkamp starb. Indem er die Fragen seines Verteidigers beantwortete, versuchte er seine Version der Geschichte zu untermauern. Demnach tötete er seine Freundin aus Versehen, weil er sie für einen Einbrecher hielt. Im Zimmer sei es dunkel gewesen, er habe ein Geräusch aus dem Badezimmer gehört. In Panik habe er nach seiner Waffe gegriffen und versucht, sich und Reeva zu schützen. Er habe den vermeintlichen Einbrecher angeschrien, sein Haus zu verlassen. Als er um die Ecke ins Bad spähte, habe er gesehen, dass dort ein Fenster offen stand. Dann sei ein Geräusch aus der Toilettenkabine gedrungen. "Bevor ich wusste, wie mir geschah, hatte ich vier Schüsse abgegeben."

Zweifel der Staatsanwaltschaft: So stringent Pistorius' Aussage für Laien klingen mag, ergeben sich doch einige Fragen. Warum zum Beispiel sollte Steenkamp nicht geantwortet haben, als Pistorius rief, der vermeintliche Einbrecher solle sein Haus verlassen? Warum sagen mehrere Zeugen, sie hätten einen Streit gehört - obwohl Pistorius beteuert, es habe keinen Streit gegeben? Die wichtigsten Fragen, denen sich der Angeklagte stellen muss, finden Sie hier.

Weiterführende Links:

Wessen Aussage entlastet Pistorius? Wer belastet ihn? Alle bisherigen Zeugenaussagen haben wir hier für Sie zusammengefasst und bewertet.

Richter, Anwälte, Ankläger: Die wichtigsten Personen und Fakten zum Prozess.

"Ende einer Ikone": Porträt eines einst umjubelten Athleten.

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