Weichs:Stille Heldinnen

Lesezeit: 3 min

Nach dem Zweiten Weltkrieg kümmerte sich die jüdische Erzieherin Greta Fischer junge Holocaust-Überlebende. Die Autorin Anna Andlauer erforschte und veröffentlichte diese Geschichte. An diesem Donnerstag nimmt sie das Bundesverdienstkreuz entgegen.

Von Daniela Gorgs

Engagiert sich mit viel Herzblut für die Nachkriegszeit in Dachau und Zeitzeugen, die den Holocaust überlebten: Anna Andlauer aus Weichs. (Foto: Joergensen)

Manchmal muss man Prioritäten setzen. Als Ministerpräsident Horst Seehofer der Autorin Anna Andlauer im vergangenen Dezember das Bundesverdienstkreuz überreichen wollte, sagte die 63-Jährige ab. Sie hatte einen anderen Termin, in Manhattan, New York City. Dort, in der Kongressbibliothek, las sie für die National Associaton of Jewish Child Holocaust Survivors aus ihrem Buch "Zurück ins Leben". Über diese Terminkollision hat sich Anna Andlauer nicht wirklich geärgert. Sie wusste, dass sie die Ehrung ein paar Monate später noch entgegennehmen kann, und dann aus der Hand des Kultusministers Ludwig Spaenle. Das sei ihr sowieso lieber, "ich bin ja Lehrerin", sagt sie schmunzelnd.

An diesem Donnerstag nun erhält die frühpensionierte Oberstudienrätin das Bundesverdienstkreuz für ihr Engagement in der Erforschung der Dachauer Zeitgeschichte. Und, weil sie entdeckte, dass es in Markt Indersdorf nach dem Zweiten Weltkrieg ein internationales Kinderzentrum gab, in dem junge Überlebende Zuflucht fanden. Davon hatte man im Landkreis lange Zeit nichts gewusst.

Auch hatte niemand bislang von Greta Fischer gehört, einer tschechischen Jüdin, die für ein Hilfswerk der Vereinten Nationen Hunderte Kinder und Jugendliche aus mehr als 20 Nationen im "International D.P. Children's Center Kloster Indersdorf" beherbergte. Hätte Anna Andlauer nicht die Biografie dieser wunderbaren Frau erforscht und niedergeschrieben, wäre das Sonderpädagogische Förderzentrum Dachau ganz sicher nicht nach der zentralen Figur des Indersdorfer Kinderzentrums in Greta-Fischer-Schule umgenannt worden. Doch der Reihe nach: Anna Andlauer studierte Anglistik, Sozialwissenschaften und Kunstgeschichte. Nach ihrem Umzug vom Münsterland nach Bayern wartete sie sechs Jahre lang auf eine Planstelle an einem Gymnasium. Zur Überbrückung half sie an der Berufsschule Dachau aus, wo sie erstmals mit ehemaligen KZ-Häftlingen in Kontakt kam. Für den Verein "Zum Beispiel Dachau" porträtierte sie Claus Bastian, den "Häftling Nummer 1" des Konzentrationslagers Dachau, und schrieb gleich ein Buch über seine Lebensgeschichte. Es faszinierte sie, wie "erstaunlich richtig" sich Menschen unter den schwierigsten Bedingungen des vergangenen Jahrhunderts verhielten. Die Lehrerin lud Zeitzeugen in ihren Unterricht ein, damit die Schüler hörten, was sie zu sagen haben.

Als Andlauer ihren Dienst in der Schule beendete, führte sie ihr Arbeitszimmer in ihrem Haus in Weichs weiter. Statt Klausuren lagen nun Berichte aus Archiven, Unmengen an Fotos auf ihrem Schreibtisch. Und ein Bericht über das Indersdorfer Zentrum für Kinder, die den Holocaust überlebt hatten. Greta Fischer führte ein Tagebuch über ihre Arbeit als Erzieherin im Kinderzentrum. Anna Andlauer fand die "Greta-Fischer-Papers" zusammen mit Bildmaterial im "Holocaust Memorial Museum" in Washington und beschreibt diese Entdeckung als "Meilenstein in der Erkenntnis, was man bisher über dieses Kinderlager im Kloster Indersdorf weiß". Andlauer besorgte sich ein amerikanisches Telefonbuch, schlug sämtliche Namen aus den Greta-Fischer-Papers nach und verschickte Postkarten, um Überlebende aufzuspüren, die in die USA oder nach Israel ausgewandert waren. Das Kultusministerium unterstützte ihre Recherchen, die Anna Andlauer unter anderem nach New York, Washington und Jerusalem führten. Ihre Ergebnisse verschafften ihr Anerkennung in aller Welt. Mehr als 50 ehemalige Kinder meldeten sich über Veröffentlichungen in Medien in Israel, den USA und Kanada bei Anna Andlauer. Täglich erhielt sie E-Mails oder Anrufe von Verwandten und Freunden der Überlebenden und führte sie zusammen.

In ihrem Buch "Zurück ins Leben" dokumentiert die Autorin die Entstehung des Kinderzentrums in Indersdorf und die Arbeit der United Nations Rehabilitation and Relief Administration (UNRRA). Sie analysiert die Therapiemethoden der UNRRA-Mitarbeiter bei der Betreuung junger Holocaust-Überlebender. Im Mittelpunkt dabei steht Greta Fischer, "eine wunderbare Frau, die ihrer Zeit weit voraus war", sagt Anna Andlauer. Mit viel Einfühlungsvermögen und psychologischem Fingerspitzengefühl versuchte die Frau aus Mähren das Seelenleben der Kinder ins Gleichgewicht zu bringen und sie zurück in ein normales Leben zu führen. Wie die Autorin herausfand, betrachtete Greta Fischer die Kinder ganzheitlich und verhielt sich stark empathisch - Grundbedingungen der heutigen Sonderpädagogik, fand die Konrektorin des Dachauer Förderzentrums, Irmgard Wilfurth, als sie von Andlauers Recherchen erfuhr und den Kontakt suchte. Und weil sich zwischen der Autorin und der Greta-Fischer-Schule eine Freundschaft entwickelte, wird auch die Konrektorin an diesem Donnerstag dabei sein, wenn Anna Andlauer das Bundesverdienstkreuz im Kultusministerium verliehen bekommt und das mit ihrer Familie feiert.

© SZ vom 10.04.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: