Belastetes Trinkwasser in Deutschland:Es stinkt zum Himmel

Nitratbelastung des Grundwassers

Wo das Grundwasser mit Nitrat belastet ist.

(Foto: SZ-Grafik)

Weil Deutschlands Bauern zu viel düngen, ist die Nitrat-Belastung in einem Viertel aller Trinkwasser-Reservoirs deutlich höher als erlaubt. Die Folgen können schwerwiegend sein: Säuglinge leiden an Sauerstoffmangel, bei Erwachsenen könnte Krebs entstehen. Warum die Verunreinigungen weiter zunehmen.

Von Marc Widmann

Ohne Wasser überlebt ein Mensch vielleicht vier Tage, selten länger. Umso wichtiger müsste es den Menschen eigentlich sein, ihre wichtigste Ressource zu schützen. In Deutschland ist sie so reichlich vorhanden und so rein wie in den wenigsten Ländern der Welt. Bislang jedenfalls. Doch viele Wassermanager sind alarmiert. "Wir machen uns große Sorgen um die künftige Qualität des Wassers", sagt Karsten Specht, Chef des Oldenburg-Ostfriesischen Wasserverbands (OOWV) in Niedersachsen, der mehr als eine Million Menschen beliefert. Mit seiner Angst steht er keinesfalls alleine da.

Zwanzig Jahre lang lief alles ordentlich beim Schutz des Trinkwassers, auch wenn es eine teure Angelegenheit war für die Kunden. 50 Millionen Euro gab allein der OOWV aus, um Felder rund um seine Brunnen aufzukaufen. Auf einem Teil pflanzte er Bäume, anderswo verpachtete er das Land gegen Auflagen zurück an die Bauern. Der Wasserpreis stieg um etwa zehn Cent pro Kubikmeter, aber die Belastung mit Nitrat sank. Heute steht fest: Es hat nicht gereicht. "Seit 2006, mit dem Einsetzen des Biogasbooms, sind unsere Erfolge vollständig gekippt", sagt Specht, "die Situation verschlechtert sich erheblich."

Heute steigt das gesundheitsschädliche Nitrat vielerorts wieder an im oberflächennahen Grundwasser. Zum Beispiel im Wasserwerk Großenkneten, mitten in Niedersachsen: Die 16 Messstellen registrierten vergangenes Jahr im Schnitt 93 Milligramm Nitrat pro Liter. Das ist fast doppelt so hoch wie der Grenzwert, der bei 50 liegt. Er wurde so berechnet, dass Menschen das Wasser bedenkenlos trinken können, jeden Tag, ohne sich um ihre Gesundheit sorgen zu müssen.

Nitrat ist zwar kein tödliches Gift, aber es kann bei Säuglingen den Sauerstofftransport behindern, bis sie blau anlaufen. Oder es kann im menschlichen Magen unter bestimmten Umständen in Nitrosamine umgewandelt werden, die womöglich Krebs erregen. Der Grenzwert soll Mensch und Umwelt schützen.

Die alarmierenden Werte stammen unter anderem aus der Region um Oldenburg, wo sich die größten Tiermastbetriebe der Republik ballen: gigantische Ställe mit Tausenden Hühnern oder Schweinen. Jährlich fallen Millionen Tonnen Gülle und Kot an. Diese "Nährstoffe", wie die Bauern sie nennen, so stinkend wie stickstoffreich, landen auf den Feldern. Eine kleine Menge wäre kein Problem, doch die Bauern kippen weit mehr auf die Äcker, als die Pflanzen aufnehmen können. Der überschüssige Stickstoff wird in Nitrat umgewandelt und sickert ins Grundwasser, nach fünf bis 30 Jahren in die Schichten, aus denen Trinkwasser gepumpt wird.

Regeln zur Entsorgung von Gärresten fehlen

Verschärft wird das Problem durch den Boom einer Branche, die sich so grün anhört: die Biogas-Branche. Fast 8000 Anlagen gibt es. Dort wird Mais vergoren oder Gülle, übrig bleiben sogenannte Gärreste, die ebenfalls voller Stickstoff sind. Die landen zusätzlich auf den Äckern, in gewaltigen Mengen. Für sie gibt es bislang keine Regeln. "Man kann die Gärreste ausbringen, wie man will", sagt Wassermanager Specht. Ums Düngen geht es dabei oft gar nicht mehr, wie Rüdiger Wolter vom Umweltbundesamt bestätigt, sondern nur darum, den Abfall loszuwerden. Doch Gülle plus Gärreste, das ist zu viel fürs Wasser.

Die Folgen lassen sich bundesweit besichtigen. 27 Prozent der Grundwasserreservoirs sind laut der jüngsten Erhebung im Jahr 2010 in schlechtem Zustand, weil sie den Nitrat-Grenzwert überschreiten. Als Faustregel lässt sich ableiten: Dort, wo die Viehhaltung besonders geballt ist, wo besonders intensiv Gemüse angebaut wird oder wo viele Biogasanlagen stehen, geht es dem Grundwasser schlecht.

Belastetes Trinkwasser in Deutschland: Auf deutschen Äckern werden zuviel Gülle und Gärreste aus Biogasanlagen ausgebracht.

Auf deutschen Äckern werden zuviel Gülle und Gärreste aus Biogasanlagen ausgebracht.

(Foto: Peter Bauersachs)

"Was muss noch passieren, bis die Behörden reagieren?"

"Wir sind sehr besorgt", sagt auch Bernhard Röhrle, Sprecher der Landeswasserversorgung Baden-Württemberg, die drei Millionen Abnehmer hat. "Die Nitratwerte bei uns sind auf einem sehr hohen Niveau und steigen teilweise weiter", sagt er, "wir marschieren in manchen Bereichen Richtung Grenzwert und können es nicht zulassen, dass ein Grundwasser von guter Qualität durch die Landwirtschaft kaputt gemacht wird."

Er hat berechnet, was es kosten würde, wenn sie das Nitrat mit technischen Anlagen aus dem Wasser holen müssten. Statt bisher 50 Cent müssten die Großkunden dann 65 bis 70 Cent pro Kubikmeter zahlen. "Das ist ein Szenario, mit dem wir uns beschäftigen müssen", sagt Röhrle. "Wir fragen uns: Was muss noch passieren, bis die Behörden reagieren?"

Kürzlich versuchten Röhrle und seine Kollegen, mit den Bauern auf der Schwäbischen Alb über das Problem mit den Biogasanlagen zu reden. Es war, wie man sagt, ein Schlag ins Wasser. Anstatt sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen, "wurde uns die Tür gewiesen", sagt Röhrle.

Ähnlich störrisch klingt die Pressemitteilung des Deutschen Bauernverbands. Es sei doch alles bestens, verkündete Präsident Joachim Rukwied im März, die Düngevorschriften hätten "sich bewährt", Änderungen seien nicht notwendig. So klingt die politische Macht der Bauern, die Agrarminister das Fürchten lehrt und Wasserwerke in die Verzweiflung treibt. "Das ist ein Thema, da könnte ich Vegetarier werden", sagt der Niedersachse Specht.

Die EU-Kommission in Brüssel hat nun ein Verfahren eröffnet, weil Deutschland sein Nitratproblem nicht in den Griff bekommt. Das Landwirtschaftsministerium in Berlin muss die Düngeverordnung neu fassen, um die Details tobt seit Monaten ein Lobbykampf, bei dem die Bauernfunktionäre ihre Macht einsetzen. Die Wasserverbände befürchten daher, "dass auch die neue Düngeverordnung nicht der große Wurf wird", wie Röhrle sagt. "Wir stellen immer wieder fest, dass der Bauernverband politische Entwicklungen blockiert."

Wohin das führen kann, weiß Johann Hans. Er leitet den Wasserzweckverband Niedergrafschaft im Westen Niedersachsens, einem Zentrum der industriellen Massentierhaltung. Von den sechs Trinkwasserbrunnen beförderten eines Tages drei nur noch stark nitratbelastetes Wasser über dem Grenzwert. Sie mussten neue Brunnen bohren, fünf Stück. Die Rechnung zahlen die Wasserkunden.

Wenn Hans auf sein Messnetz im oberflächennahen Grundwasser blickt, sieht er 144 Orte, die alle den Grenzwert überschreiten, an einer Stelle liegt der Nitratwert sogar beim Dreifachen des Erlaubten. In einigen Jahren wird die Nitratbrühe die tieferen Schichten erreichen. "Da passiert etwas", sagt Hans, "was wir einfach nicht mehr einfangen können."

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