Stromausfall im Halbfinale:Mikroausfall mit Makrowirkung

In dieser schwarzen Halbfinalenacht rauften sich Türken und Deutsche gemeinsam die Haare vor leeren Leinwänden. Jetzt ringt die Uefa um eine Erklärung - und das Kartellamt schaltet sich ein.

Klaus Hoeltzenbein

Sicher, es war ein Torwartfehler. Es war aber auch ein schönes Tor, dieser hohe Luftstand von Miroslav Klose, der türkische Abwehrspieler, der weit unter ihm hängen bleibt, dazu dieser Rüstü, der unglückselige Schlussmann, der in der Nähe orientierungsarm durch die Gegend fliegt. Ein kurioser Moment der Europameisterschaft, zu sehen im Fernsehen aber nur für jene, die sich zur 79. Spielminute am richtigen Ort aufhielten.

Stromausfall im Halbfinale: Und plötzlich war es dunkel: Fußballfan vor dem Störbild während des Halbfinals der Europameisterschaft.

Und plötzlich war es dunkel: Fußballfan vor dem Störbild während des Halbfinals der Europameisterschaft.

(Foto: Foto: dpa)

Der beste Ort war ein Platz vor einem Bildschirm mit dem Schweizer Fernsehen: Bild und Ton liefen deckungsgleich. Ein relativ guter Ort war noch ein Platz irgendwo in Deutschland: Dort lief - nach minutenlangem Bildausfall - schon wieder das Programm.

Das ZDF hatte schnell geschaltet, das Schweizer Signal übernommen und Béla Réthy, den eigenen Kommentator, per Telefonleitung drübergelegt. Das wirkte kurios, da Rethys Stimme zeitversetzt zu hören war: Réthy jubelte, und dann köpfte Klose erst den Ball.

Zeitreise

Aber das war mehr als das Österreichische Fernsehen und weltweit die meisten Sender an diesem Abend anzubieten hatten: Dort blieb der Bildschirm schwarz, kein 2:1, kein 2:2, kein 3:2 - nur noch die letzten Sekunden der Nachspielzeit. Abpfiff, Jubel, Analyse. Auch das Radio war betroffen.

Drei verschiedene Wege, ein Spiel (nicht) zu erleben, und dies in einer Zeit, in der es nach Auffassung der Europäischen Fußball Union (Uefa) nur noch einen geben soll. Das komplette Fernsehsignal wird von der Uefa-Tochtergesellschaft Umet (Uefa Media Technologies) produziert und jenen Sendern, die die EM-Übertragungsrechte erworben haben, verpflichtend zur Verfügung gestellt.

Ab sechs Minuten vor dem Spiel und bis zum Halbzeitpfiff, zudem während der kompletten zweiten Hälfte darf nichts verändert werden. Die Umet-Regisseure wählen die Motive aus, setzen die Zeitlupen, entscheiden, welche Szene drinbleibt, welche raus muss. Das hat der Umet während des Turniers auch den Vorwurf der Zensur eingetragen.

Und einsam sendet das SF

Der Bildausfall vom Mittwoch war ein Unfall, der auf Mängel in der Stromversorgung durch ein Wiener Elektrizitätswerk zurückzuführen ist. Das TV-Signal aus Basel, das die Umet produzieren lässt, wurde ins internationale Fernsehzentrum IBC in Wien geschickt und bis zum Kollaps von dort weltweit verteilt.

Einzige Ausnahme war das Schweizer Fernsehen, das vom Spiel ein eigenes Signal produzieren durfte, welches das ZDF pünktlich zum Klose-Kopfball per Satellit von Mainz aus anzapfte. Der ahnungslose Rest der Welt bekam am Morgen danach eine Erklärung von Uefa-Mediendirektor William Gaillard: Im Wiener Elektrizitätswerk sei es währende eines Unwetters durch "Verkettung unglücklicher Umstände" zu drei "Mikro-Ausfällen" gekommen, die alle nur Millisekunden gedauert hätten.

Trotzdem habe jeder Mikro-Ausfall für einen Bildausfall von jeweils ungefähr sechs Minuten gesorgt. Man müsse sich einen solchen Vorgang wie bei einem Computer vorstellen: Friert auf dem Bildschirm kurz das Programm ein, dauere es auch Minuten, bis der ganze Apparat wieder hochgefahren und funktionsfähig sei.

Auskünfte zu möglichen Regressansprüchen von Rechtehaltern und Sponsoren gab Gaillard nicht. In diesem komplizierten Vertrags- und Firmenkonstrukt wäre es zunächst zu prüfen, wer für was verantwortlich ist.

Die Uefa hat ihre Tochter Umet beauftragt, die wiederum hat die Sicherung der Energieversorgung für Turnier und Medienzentrum an das Serviceunternehmen HBS (Host Broadcast Services) vergeben, welches sich regionale Energiekonzerne als Partner sucht. Die HBS hatte diese Aufgabe auch bei der WM 2006 erledigt.

Zukunftsmusik

Deutlich geworden ist in dieser schwarzen Nacht die Anfälligkeit des Systems mit einen Monosignal. Schon zuvor hatten diverse TV-Sender Beschwerde geführt, die Umet-Regisseure würden nur ihre heile Fußball-Welt produzieren und strittige Bilder aus den Stadien vorenthalten: die bengalischen Feuer auf den Tribünen, den nach seiner Spielsperre auf der Tribüne Zigarette-rauchenden Joachim Löw, wohl auch jenen Fan, der in Basel übers Spielfeld lief.

Zudem würden sie Zeitlupen zu spät und nicht vollständig einspielen. Die Umet hält dagegen, die meisten Einzelsender hätten gar nicht die technischen Möglichkeiten, auf einem angemessenen Niveau zu produzieren. Und strittige Szene, so die Umet, könnten die Sender in ihrer Analyse nach Spielschluss nach eigenem Gusto mittels ihrer Spezialkameras nachreichen.

Auch die deutsche Bundesliga plant von der Saison 2009/2010 an ein Monosignal. Geliefert von der Firma Sirius, die die Deutsche Fußball Liga DFL und Leo Kirch gemeinsam betreibt. Das Kartellamt hat bereits ein Verfahren eröffnet.

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