Die CDs der Woche - Popkolumne:Angstfreie Saloon-Kracher

Conor Oberst PR-Bild

Ehemaliges Indie-Wunderkind: Conor Oberst.

(Foto: oh)

Conor Oberst hat sich aus seinem eigenen Sumpf gezogen. Vor ein paar Jahren saß der Indie-Künstler zitternd vor Angst am Boden hinter dem DJ-Pult - heute macht er Musik, als würde er seit 70 Jahren nichts anderes tun. So klingt auch sein neues Album. Die Popkolumne - zum Lesen und Hören.

Von Max Scharnigg

München, 2005, Atomic Cafe. Hinter dem DJ-Pult, zwischen Plattenkoffern und den Jacken der DJs kauert ein junger Mann auf dem Boden, hat die Bündchen seines Pullovers über die Hände gezogen und zittert. Es ist Conor Oberst und er hat Angst. Vor den Menschen an der Bühne, die ihm seine Tour zu "I'm Wide Awake It's Morning" ausverkaufen, vor dem Dasein als Indie-Wunderkind, vor der Traurigkeit, die aus jedem seiner Lieder in dicke Fässer tropft. Ein Häufchen Elend.

Aber Conor Oberst hat sich aus dem eigenen Sumpf gezogen. Sein neues Soloalbum ist herausragend in der Reihe seiner guten Veröffentlichungen seither. Es beweist: Oberst jongliert seinen Folk und Country heute konzentriert und klar, er wiegt den Hörer bis zum letzten Ton in seinen Armen und braucht dafür gar nicht mehr das große Zerrissensein der ersten Bright-Eyes-Platten. Nein, seine trockenen Geschichten erzählt er entweder mit opulenter Geste, begleitet von allem, was das Americana-Operationsbesteck so hergibt.

Dann kommt ein Saloon-Kracher raus wie "Hundreds Of Ways" und er steht im Studio in Nashville, als würde er seit 70 Jahren nichts anderes tun. Bleibt er leise, flüstert er sich verletzt etwa durch "Lonely At The Top", ist er wieder der Junge mit dem Ärmeln über den Händen. Aber man hat keine Angst mehr um ihn, da zittert nichts, da bleibt alles ruhig. Notieren: "Upside Down Mountain" (Nonesuch) ist seine beste Soloplatte. Bis jetzt.

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Neil Young

Einer der tatsächlich schon fast siebzig Jahre im Business auf dem Buckel hat, ist Neil Young und er hat es jetzt trotzdem geschafft, noch mal ganz zeitgemäß Geschichte zu schreiben. Als Gast in der Tonight Show des musikbegeisterten Jimmy Fallon (wer einen frohen Nachmittag haben möchten, sollte sich auf YouTube mal durch dessen Musiker-Imitationen hören) nahm er live eine Vinylsingle auf.

Auftakt der Deutschland-Tour von Neil Young

Neil Young nahm während einer Tonight Show eine Vinylsingle auf.

(Foto: dpa)

Er stieg dazu in eine historische "Recording Booth", die der notorische Jack White aufgestöbert und restauriert hat und in der Neil Young auch schon seine ganze neue LP "A Letter Home" aufgenommen hat. Diese ist übrigens ebenfalls hörenswert.

Der Sound aus der winzigen Musikkabine ist ein stickig-warmer und unendlich altmodischer Dampf, davon konnten sich Fallon und seine Zuschauer überzeugen. Das live aufgenommene und gepresste Stück war "Crazy" von Willie Nelson, und Young spielte es ganz lässig auf etwa einem Quadratmeter Bodenfläche weg und die kleine Bude stanzte es hinein ins Vinyl. In Zeiten der Digitalproduktion - und distribution ein beinahe magischer Fernsehmoment!

Lykke Li

Sorry, Conor, aber Album der Woche ist die neue Lykke Li. Das Künstlerkind aus Schweden mit ständig wechselndem Wohnsitz hat ja seit ihrer "I Follow Rivers"-Superhit-Zuarbeit eine enorme Aufmerksamkeit erfahren. Gut so. Ihr Talent ist erschreckend vielseitig, auf "I Never Learn" (Warner) verwendet sie es überraschenderweise dazu, blanken Pop-Pathos mit einem klugen Twist zu versehen und damit dramatisch wie ästhetisch anspruchsvolle Kulissen zu errichten.

Von wegen Elektropop und schwedischer Dance! Nein, Adele, Lana Del Ray und Co. werden sich nun wieder brav anstellen und Lykke Li um Hilfe beim Songwriting bitten, denn was sie hier für ein dunkles Feuerwerk abbrennen lässt ist schon grandios: dicke Balladen ohne ein Gramm Fett wie das absolut hitträchtige "Never Gonna Love Again", kleine Klavier-Kostbarkeiten, auf der akustischen Gitarre hingeknallte Lässigkeiten wie "I Never Learn", es gilt bis zum letzten Ton: die Frau ist in Topform. Und dabei suhlt sie sich nie in ihrer Brillanz, sondern sucht immer das schwierige Ende, den komplizierten Refrain - das macht die Sache verflixt gut. Musik für wildes Wetter und gute Einsamkeit.

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