Mein Europa:Traditionen und Kulturen wahren

Horia-Dinu Nicolaescu sieht die EU als Chance für Rumänien.

Von Barbara Szymanski

28 Mitgliedsstaaten hat die Europäische Union, als vorerst letztes Land kam 2013 Kroatien dazu. Vom 22. bis 25. Mai dürfen gut 507 Millionen Menschen die 751 Abgeordneten des Europa-Parlaments neu wählen. Die meisten Grenzen sind offen, wer will, kann sich in einem anderen Land der EU Wohnung und Arbeit suchen. Menschen aus den meisten Mitgliedsstaaten leben auch im Landkreis. Die SZ stellt einige von ihnen vor.

Wenn Horia-Dinu Nicolaescu gefragt wird, ob er sich freut, dass sein ehemaliges Heimatland Rumänien nun Mitglied der EU ist, dann sagt er nach kurzer Denkpause: "Jein." Er fürchte auf der einen Seite, dass die alten Seilschaften um Nicolae Ceausescu noch immer aktiv sind und die Justiz nach wie vor nicht unabhängig sei. Auf der anderen Seite sei die Europäische Union die einzige Chance, dass Rumänien eine echte Demokratie werden könnte.

Der ehemalige Musiklehrer am Gymnasium Geretsried, leidenschaftlicher Jazzer, Arrangeur und Orchesterleiter, ist ein politisch denkender Mensch seit seiner Jugend, weil diese Seilschaften seiner Familie und ihm zusetzten. Die Nicolaeascus gehörten zu den alten Landadelsfamilien mit Besitztümern und Pflichten wie Kirchen- und Schulhausbau. Sie wurden enteignet, der Vater, ein Rechtsanwalt, zum Schreiner degradiert und zwei Jahre ohne Prozess eingesperrt.

"Wir hatten eben keine gesunden Wurzeln, waren keine Handwerker, sondern Intellektuelle." Sein Vater zerbrach daran: "Sie haben auch sein Gehirn enteignet." Über diese alten Familien erscheint im Juli ein Buch in rumänischer Sprache, das dokumentiert, was der Kommunismus diesen Sippen angetan hat und warum deswegen so viele Nachkommen ausgewandert sind.

Nicolaescu hat dem Verfasser seine Lebensgeschichte erzählt und geschildert, wie er als Musiker am politischen System scheiterte. Zwar erkannten die Musikhochschulen sein Talent als Trompeter, Komponist, Dirigent und Dozent, doch das Studium abzuschließen gelang ihm nicht. Er gab nicht auf, verdingte sich als Leiter großer Orchester für leichte Musik und Schlager, unternahm Tourneen ins Ausland, trat im Fernsehen auf, wurde populär. Doch seine wirkliche Leidenschaft war der Jazz, in Rumänien weiland als westliche Dekadenz abgetan.

Als 1971 die Möglichkeit einer Familienzusammenführung bestand, stellte er einen Ausreiseantrag für Deutschland. Ohne Pass, kein Wort Deutsch beherrschend und mit nur kleinem Gepäck landeten er, seine Frau und Tochter bei Verwandten in München. An seine Dirigentenerfolge konnte er nicht anknüpfen, auch seine Dozententätigkeit wurde nicht anerkannt.

Er lernte rasch Deutsch, bewarb sich beim Kultusministerium und fand 1980 eine Stelle als Musiklehrer am Geretsrieder Gymnasium. Unvergessen sind seine Erfolge als Gründer und Leiter von preisgekrönten Jugend-Jazz-Orchestern, seine Konzerte mit professionellen Musikern und Sängern und die Kooperation zwischen rumänischen und deutschen Jazzern. Jetzt, als Pensionär, leitet er weiterhin Nicos Jazz-Orchester. Nicolaescu fühlt sich angenommen, Deutschland ist seine Heimat: "Ich bezeichne mich als adoptierten Bayern", sagt er. Zur Europa-Wahl an die Urne zu treten anstatt immer nur zu meckern, hält er für Pflicht. "Doch ich wünsche mir, dass landestypischen Kulturen und Traditionen keine Standards übergestülpt werden."

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