Fotograf Michael Schmidt ist gestorben:Das unversöhnte Grau

Michael Schmidt Fotograf Martin-Gropius-Bau Berlin

Michael Schmidt (1945-2014) in seiner Ausstellung "Lebensmittel", vor einem Jahr im Martin-Gropius-Bau in seiner Heimatstadt Berlin.

(Foto: dpa)

Mit seinen Bildern legte er den Finger auf die Wunde, damit es nicht weiter blutet. Realistisch, sachlich und meist in Grau fing Michael Schmidt die Welt ein. Nun ist der Berliner Fotograf im Alter von 68 Jahren gestorben.

Von Peter Richter, New York

Die traurige Nachricht folgte unmittelbar einer guten. Am Mittwoch erst hatte Michael Schmidt in London den Prix Pictet zuerkannt bekommen, verkündet vom vormaligen UNO-Generalsekretär Kofi Annan, dotiert mit 100 000 Schweizer Franken und begleitet von einer Ausstellung seiner Bilder im Victoria & Albert Museum. Jetzt ist Schmidt, wie zuerst das Kunstmagazin Monopol unter Berufung auf Familienangehörige berichtet hat, am Samstag im Alter von 68 Jahren in Berlin verstorben.

Dass die Dinge manchmal denkbar schroff nebeneinander stehen, ist nun etwas, das man zu allererst aus Michael Schmidts Kunst selbst lernen konnte, es war das Strukturprinzip seiner großen Fotoserien. Aber da war die Reihenfolge wenigstens andersherum: Da kam erst der Schlag in die Magengrube- und was der Betrachter damit machte, war im Idealfall hoffnungsvoll.

Wer Michael Schmidt zum Beispiel bei der Eröffnung seiner großen Retrospektive im Münchner Haus der Kunst vor vier Jahren erleben durfte, bekam es mit einem Mann zu tun, der deutlich heiterer war als seine Bilder. Schmidt stand da in Troosts trostloser Riesenhalle und hatte deren Wände mit den Bildern seiner Serie "Ein-Heit" aus den Neunzigern punktiert wie mit einer Maschinengewehrsalve; die Bilder formten mit ihren jeweiligen Nachbarn harte deutsche Dreiklänge: verschreckte Rentner vor Wiederaufbaumoderne, der glasige Blick einer Drogenschönheit, das Zeitungsfoto einer Hakenkreuzfahne. Oder: roter Stern, Blumentopf, Plattenbau. Oder: Topfpflanze, Ludwig Ehrhard, Sowjetsoldaten.

Selbstgemachte Fotos, gefundene Fotos, abfotografierte Fotos. Es ist sicher die berühmteste Arbeit Schmidts, sie hat seinen internationalen Ruhm begründet, als sie im Museum of Modern Art in New York ausgestellt war und danach durch die Museen und Großausstellungen der Welt gewandert ist. Da stand Schmidt also inmitten des bleiernen Trommelfeuers seiner Bilder und sagte, dass es ihm darum geht, "den Finger auf die Wunde zu legen". Damit es so richtig weh tut? Nein: "Damit es nicht weiter blutet."

Von Anbeginn steckte ein tiefer Humanismus in seiner Arbeit

Es steckte von Anfang an ein tiefer Humanismus in der Arbeit Schmidts, der sich nur durch Schroff- und Kargheit effektiv gegen jede Rührseligkeit zu wappnen verstand. Wer weiß, vielleicht hing das ja tatsächlich damit zusammen, dass Schmidt zunächst ein Ordnungshüter war, ein Polizist, Hauptkommissar auf den Straßen seiner Heimatstadt Berlin, zwischen deren getrennten Teilen seine Familie mehrmals hin- und hergewechselt ist. Schmidt lief dann in Kreuzberg seine Streifen, und als die Leute seiner Generation begannen, sich politisch zu radikalisieren und nach Kuba gingen oder nach Nicaragua, da blieb Schmidt einfach erst recht da, wo es kalt und grau war und absolut unexotisch. Schmidt nimmt seine Kamera und ermittelt damit in den Sozialwohnungsgebirgen von Kreuzberg und Wedding, wo die Fassaden abwaschbar sind und die Spielplätze aussehen Galgenberge.

Diese Bilder erzählen aber auch davon, dass es vermutlich nicht reicht, das alles wie die Wolf Jobst Siedlers dieser Zeit als "gemordete Stadt" zu schmähen und sich nach Diktat in die Kaffeehäuser vom Savignyplatz oder nach Italien zurückzuziehen. Es sind die Jahre, in denen die mit Subventionen hochgepäppelten Bayern anfangen, über das Subventionsloch Westberlin mit seinen Rentnern und Punks zu maulen; Michael Schmidt, der irgendwann nicht mehr Polizist war, sondern nur noch Fotograf, hat lieber die Befunde ernst genommen: sachlich, ohne Polemik, ohne Agitation, aber natürlich trotzdem in der klassischen Tradition des Realismus, also in dem Bestreben, dass eine Unversöhntheit bleibt, die zum Verändern auffordert.

Das Grau, von dem es in seinen Bildern mehr Schattierungen zu geben scheint als irgendwo sonst auf der Welt, dieses Grau, sagte Schmidt bei einer Unterhaltung einmal, sei da, um die Extreme und die Lüge von Schwarz und Weiß zu vermeiden. Es ist, sozusagen, ein moralisches Grau, das Grau des Alltags, wie auf den Alltagsseiten eines Flügelaltars: Man weiß, dass hinter den Grisaillen eine farbigere Welt wartet.

Als wir ihn um das Jahr 2003 herum in seinem Kreuzberger Atelier besuchten, war er gerade dabei, sich von dem Thema Berlin endgültig zu emanzipieren. Eine jüngere Generation entdeckte für sich gerade wieder einmal die "brutale Eleganz" seiner alten Westberlin- und Mauerbilder. Schmidt aber war durch das Land gezogen und hat in der Provinz versucht, Heimat zu fotografieren. Er war nun dabei, aus den tausenden von Aufnahmen, solange auszufiltern, bis alles Anekdotische, Zufällige, Plauderige eliminiert war und die Bilder als Bilder eine ästhetische Gültigkeit hatten, die das Motiv hinter sich ließ, aber auch nicht zu avanciertem Wohnzimmerschmuck zurechtästhetisierte. Es ging an jenem Nachmittag viel um das heikle Navigieren zwischen der Skylla des Malerischen und der Charybdis, die den Namen Fotojournalismus trägt.

So hat er es bei allen seinen großen Serien gehalten. Und das ist ihm zuletzt auch in der Serie "Lebensmittel" noch einmal eindrucksvoll gelungen: Die Äpfel, die Schweine, die Plastikfolienpackungen mit Fleischwurst, die Felder - die ganze sichtbare Welt dessen, was unsere Ernährung ausmacht, große, kühle, sachliche, perfekte Bilder, hart nebeneinander. Und sogar in Farbe. Es war die Serie, für die er in London den Preis bekam, nur drei Tage vor seinem Tod. Ein Jammer, dass dieses Werk nun nicht mehr weitergeht.

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