Entscheidungen:Das Bewusstsein kommt später

Wissenschaftler können mit Hilfe der Magnetresonanztomographie einfache Entscheidung ihrer Probanden vorhersagen, bevor den Versuchspersonen selbst bewusst ist, was sie wollen.

Wenn wir uns für etwas entscheiden, laufen vor und während dieses Augenblicks Hirnprozesse ab, die uns nicht bewusst sind. Und zumindest für einfache Entscheidungen konnten Wissenschaftler nun erneut zeigen, dass zumindest manchmal schon klar ist wie das Ergebnis aussieht, bevor es uns bewusst wird.

Entscheidungen: John-Dylan Haynes vom  Bernstein Zentrums für Computational Neuroscience Berlin

John-Dylan Haynes vom Bernstein Zentrums für Computational Neuroscience Berlin

(Foto: Foto: AP)

Anhand der Vorgänge im Gehirn ist es Forschern des Max-Planck-Instituts für Kognitions- und Neurowissenschaften in Leipzig, der Charité -Universitätsmedizin Berlin sowie des Bernstein Zentrums für Computational Neuroscience Berlin gelungen, mit großem Erfolg vorherzusagen, wie eine einfache Entscheidung ausfällt, bevor ihre Versuchspersonen sich dessen bewusst waren.

Möglich ist dies, weil sich Stoffwechselvorgänge im Gehirn mit Hilfe einer Kernspintomographie sichtbar machen lassen. Und in 60 Prozent der Fälle wussten die Forscher schon bis zu zehn Sekunden vor dem Zeitpunkt, zu dem die Probanden sich bewusst entschieden hatten, wie das Ergebnis aussehen würde.

Das berichten die Wissenschaftler im Fachmagazin Nature Neuroscience (online vorab veröffentlicht).

Kernspintomographen messen, wie viel Sauerstoff in verschiedenen Hirnarealen verbraucht wird: Ein hoher Verbrauch zeigt eine starke Aktivität. Anhand der Daten können die Geräte räumliche Muster der Hirnaktivität erstellen.

"Gedanken sind wiederum codiert in räumlichen Aktivierungsmustern", erklärte John-Dylan Haynes. Eine Software erkannte schließlich die Muster und ermöglichte Rückschlüsse auf die Entscheidungen der Menschen.

Die Versuchsteilnehmer hatten sich entscheiden müssen, ob sie einen Knopf mit der linken Hand oder einen anderen Knopf mit der rechten Hand drücken.

Dabei war es ihnen freigestellt, wie lange sie sich mit der Entscheidung Zeit ließen. Währenddessen wechselten sich Buchstaben auf einem Bildschirm vor den Probanden ab. Nach dem Tastendruck mussten sie angeben, welcher Buchstabe über den Schirm geflimmert war, als sie ihrer Meinung nach die Entscheidung trafen.

Entscheidungsprozesse betreffen die motorische Ausübung einer Handlung und den Prozess der Bewusstwerdung der Entscheidung. Frühere Versuche hatten darauf hingewiesen, dass Hirnregionen, die für die Ausübung einer Handlung verantwortlich sind, bereits loslegen können, bevor jene Areale aktiv werden, die eine Rolle für unser Bewusstsein spielen.

Unser Unterbewusstsein hätte sich demnach entschieden, bevor wir das Gefühl haben, uns bewusst zu entscheiden. Die Versuche der deutschen Wissenschaftler bestätigen dies offenbar.

"Viele Prozesse im Gehirn laufen unbewusst ab - wir wären sonst schon mit alltäglichen Aufgaben der Sinneswahrnehmung und Bewegungskoordination völlig überfordert. Von unseren Entscheidungen aber glauben wir in der Regel, dass wir sie bewusst fällen. Diese Annahme ist mit unserer Studie in Frage gestellt", sagt Haynes.

Ähnliche Experimente des amerikanischen Neurophysiologen Benjamin Libet hatten bereits vor über 20 Jahren darauf hingedeutet, dass Entscheidungen gefällt werden, bevor es uns bewusst wird. Unter anderem diese Versuche hatten eine Diskussion darüber ausgelöst, ob der freie Wille nur eine Illusion ist und nicht ein "Ich" bewusst entscheidet.

Die Aussagekraft der Daten war insbesondere wegen der kurzen Zeitspanne zwischen dem Bereitschaftspotential, welches auf die bereits gefallene Entscheidung hinweist, und der bewussten Wahrnehmung der Entscheidung bezweifelt worden.

Haynes und seine Kollegen konnten die Vorbereitung der Entscheidung jedoch über weit längere Zeiträume beobachten als Libet. Sie gehen davon aus, dass sie mit ihren Versuchen diese Zweifel an Libets Experimenten aus dem Weg räumen konnten.

"Die Frage nach der Willensfreiheit ist damit nicht endgültig beantwortet", erklärt der Forscher. "Nach unseren Erkenntnissen werden Entscheidungen im Gehirn zwar unbewusst vorbereitet. Wir wissen aber noch nicht, wo sie endgültig getroffen werden. Vor allem wissen wir noch nicht, ob man sich entgegen einer vorgebahnten Entscheidung des Gehirns auch anders entscheiden kann", sagt er. Aber "ich halte einen Eingriff des freien Willens für unplausibel", so Haynes.

Die Erkenntnisse des Versuchs könnten nach Angaben von Haynes für die Entwicklung von Hirn-Computer-Schnittstellen nützlich sein. Derartige Schnittstellen ermöglichen es gelähmten Menschen, mit Hirnströmen elektrische Geräte zu bedienen. (Fachartikelnummer: DOI 10.1038/nn.2112)

Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: