Es war einmal WM - 1954/1958:"Trainer, bitte stellen Sie mich nicht mehr auf"

Es war einmal WM - 1954/1958: Frisch gescheitelt, dazu ein nettes Grinsen: Heinrich Kwiatkowski, damals Torsteher bei Borussia Dortmund.

Frisch gescheitelt, dazu ein nettes Grinsen: Heinrich Kwiatkowski, damals Torsteher bei Borussia Dortmund.

(Foto: imago sportfotodienst)

Zwei Einsätze, 14 Gegentore: Statistisch gesehen, zählt Heinrich Kwiatkowski zu den schlechtesten Torhütern der WM-Geschichte. Dabei wurde er nur Opfer taktischer Spielchen des großen Sepp Herberger.

Von Carsten Eberts

Es war einmal WM: In einer Serie blicken wir auf komische, merkwürdige, besondere Momente in der Geschichte der Fußball-Weltmeisterschaften zurück. Teil sechs beschäftigt sich Heinrich Kwiatkowski, dem bemitleidenswerten deutschen Torhüter von 1954 und 1958.

Fast hätte Heinrich Kwiatkowski seinen WM-Rekord gar nicht aufstellen können. Wenn er vorher ertrunken wäre. In Spiez in der Schweiz, am Südufer des Thunersees.

Nach dem ersten Vorrundenspiel der WM 1954 wollten sich die deutschen Nationalspieler Werner Kohlmaier, Heinz Kubsch und eben Kwiatkowski ein abendliches Bootsrennen liefern. Ein Ruderboot kenterte, Kwiatkowski zappelte im Wasser. Ungefährlich war die Situation nicht, denn der Torwart konnte nicht schwimmen.

Kwiatkowski rettete sich aus eigener Kraft, konnte wenige Tage später gegen Ungarn im Tor stehen. So nahm die Geschichte seines unrühmlichen Rekords seinen Anfang. Kwiatkowski, den alle nur "Kwiat" nannten, stand bei Fußball-Weltmeisterschaften nur zweimal im deutschen Tor. Dabei brachte er es jedoch auf 14 Gegentore.

Bei seinem ersten Einsatz gegen Ungarn wurde er Opfer eines - im Nachhinein genialen - Gedankenspiels von Trainer Sepp Herberger. Der Coach schickte eine B-Elf auf den Platz (unter anderem verzichtete er auf Stammtorhüter Toni Turek). Die arg geschwächte Truppe ging 3:8 unter - die Ungarn blieben aber im Unklaren über die wahre Stärke der deutschen Mannschaft. Das Finale gewann Deutschland bekanntlich 3:2.

Herberger wurde gefeiert für seinen schlitzohrigen Plan. Doch Kwiatkowski war der arme Kerl, der acht Bälle aus dem Netz holen musste. An einem, vielleicht zwei Treffern war er mitschuldig, bei den anderen einfach nur machtlos. "An dem Tag hätte keine Mannschaft der Welt gegen die Ungarn gewinnen können", erzählte Kwiatkowski einmal, "die spielten uns in der Abwehr aus, standen frei vor mir und suchten sich die Ecke aus."

Es war ein fürchterlicher Tag für den Torhüter. Erst traf Kocsis, dann Puskás, später erneut dreimal Kocsis, zweimal Hidegkuti und Tóth. "Ich habe gebetet: Bitte, lieber Gott, lass es nicht zweistellig ausgehen", sagte Kwiatkowski.

Fritz Walter spendet Trost

Trost bekam er aus dem Kreis seiner Kollegen: "Heute hätte auch ein anderer nicht mehr tun können als du", sprach ihm Fritz Walter zu, "lass dir keine grauen Haare wachsen." Und gratulierte ihm zu seinem ersten Länderspiel. Der Legende nach reichte der große Kapitän seinem kreuzunglücklichen Keeper ein Stück Honigkuchen. Doch auch das heiterte "Kwiat" nicht auf.

Eigentlich war Kwiatkowski nämlich ein hervorragender Torsteher. Mehr als 400 Spiele hat er für Borussia Dortmund absolviert, er führte den BVB zu zwei deutschen Meisterschaften. Der gebürtige Schalker galt als besonnener, auch in Extremsituationen ruhiger Torhüter, als Spezialist für Faustabwehren. "Heini Fausten" wurde er auch liebevoll genannt.

Trotzdem wiederholte sich die Geschichte, vier Jahre später, als Kwiatkowski seinen Rekord vervollständigte. Deutschland hatte das WM-Halbfinale gegen Schweden verloren, im Spiel um Platz drei schickte Herberger seine Ersatzleute auf den Platz - auch Kwiatkowski war wieder dabei.

Nach allgemeinem Dafürhalten war er der beste Deutsche auf dem Platz. Trotzdem endete die Partie 3:6. Anschließend bat Kwiatkowski um seine Entlassungspapiere beim DFB. "Trainer, bitte stellen Sie mich nicht mehr auf", erklärte er. Sepp Herberger kam der Bitte seines Torhüters nach.

Teil eins der Serie: Schwarzes Wunder - die Geschichte von José Leandro Andrade, dem ersten Glamour-Star des Fußballs und Weltmeister von 1930.

Teil zwei: Deutschland ehrenvoll ausgeschieden - die erste WM-Teilnahme der Deutschen 1934 zwischen Nazipropaganda und Szepans tollem Spiel.

Teil drei: Torhüter mit gebrochenen Knochen - wie schwer es die besten Torhüter ihrer Zeit in den dreißiger Jahren hatten.

Teil vier: No World Cups, please! - die erste WM-Teilnahme Englands im Jahr 1950 gerät zur Blamage.

Teil fünf: 4:1 für Deutschland - ich bin sprachlos. Wie Gefängnis-Insassen der DDR den WM-Titel 1954 im Radio erleben.

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