25 Jahre Tiananmen-Massaker in China:Erfolgreiche Gehirnwäsche der KP

Chinese marchers are jubilant as they surround and stop an army truck at...

1989 wäre die KP beinahe von Millionen Bürgern in die Knie gezwungen worden. Heute ist sie, nimmt man die Zahl der Mitgliedsanträge zum Maßstab, wohl die populärste Partei der Welt.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PR)

Haltet den Mund und werdet reich. Das war der Deal zwischen dem Regime in Peking und dem chinesischen Volk nach dem Tiananmen-Massaker 1989. Mittlerweile ist er brüchig: All die Übel von damals sind heute noch schlimmer - und neue sind dazugekommen.

Ein Kommentar von Kai Strittmatter, Peking

Neulich hielt Chinas amtliche Nachrichtenagentur Xinhua wieder einmal ein flammendes Plädoyer gegen das Vergessen. Es sei eine gefährliche "Entstellung der Geschichte", wenn Regierungen sogar historisch verbürgte Massaker leugneten. Der Artikel trug den Titel "Vergesst niemals die Geschichte". Und zielte natürlich auf Japan.

Chinas KP hat nicht grundsätzlich etwas gegen die Erinnerung. Sie befiehlt das Vergessen nur dann, wenn es um ihre eigenen Verbrechen geht: das Massaker vom Platz des Himmlischen Friedens 1989 zum Beispiel. Wenn es um die Verbrechen der anderen geht - der Japaner, aber auch der europäischen Kolonialmächte -, dann befiehlt sie die Erinnerung: "Vergesst nie die nationale Demütigung!" Vor allem vergesst nie, dass nur eine euch wieder stark machen kann: die Partei. Ihr Mantra war das in den letzten zwei Jahrzehnten. Die patriotische Erziehung, das Heranzüchten eines glühenden Nationalismus war Teil der Gehirnwäsche, mit der die KP auf das Frühjahr 1989 reagierte.

Die Rechnung der Partei ist aufgegangen. 1989 wäre die KP beinahe von Millionen Bürgern in die Knie gezwungen worden. Heute ist sie, nimmt man die Zahl der Mitgliedsanträge zum Maßstab, wohl die populärste Partei der Welt: Alle zehn Sekunden tritt ein neues Mitglied bei, sie hat mehr Mitglieder (85 Millionen) als Deutschland Einwohner.

Hat die KP noch mal 25 Jahre? Man will nicht darauf wetten

Auch junge Chinesen stehen Schlange. Des Kommunismus wegen? Um Himmels willen. Ein Parteibuch garantiert die Karriere, den Zugang zu den Fleischtöpfen. Auch das ein Erbe von 1989: Der Idealismus von damals hat Zynismus und Opportunismus Platz gemacht. Erst der Blick auf damals erklärt, warum China heute so aussieht, wie es aussieht. Der oft überschäumende Nationalismus, der ungebremste Materialismus, der ausufernde Staatssicherheitsapparat, all das hat seine Wurzeln in jener Nacht, die sich soeben zum 25. Mal gejährt hat, und in den Weichen, die die Partei in der Folge stellte.

Werdet reich - und haltet den Mund. Das war der Deal nach 1989, und er hat lange funktioniert. Gerade viele derer, die Zeugen waren des Volksfestes von 1989 und seiner blutigen Niederschlagung, wurden später zu den treuesten Gefolgsleuten der Regierung und plapperten nach, was ihnen die Partei vorkaute: Dass es China nur deshalb heute gut gehe, weil damals die Panzer rollten.

Ob die KP noch einmal 25 Jahre hat? Man will nicht darauf wetten. Der Deal mit dem Volk ist mittlerweile brüchig. Mehr und mehr zeigt sich: Wirtschaftliche Öffnung bei gleichbleibender und sogar anziehender politischer Repression - das ist kein nachhaltiges Rezept. All die Übel, gegen die die Menschen 1989 auf die Straße gingen - Korruption, Machtmissbrauch, wachsende Ungleichheit - sind heute ungleich schlimmer als damals, und neue Übel wie die Umweltverheerung sind dazugekommen. Echte Reform aber ist weit und breit nicht in Sicht.

Xi Jinping, KP-Chef und Staatspräsident seit zwei Jahren, hat dem Volk mehr Wirtschaftsreformen versprochen - und mehr Repression geschenkt. Lange dachte man, die KP-Führung werde sich deshalb auf keine außenpolitischen Abenteuer einlassen, weil sie versinkt in all den innenpolitischen Herausforderungen. Das scheint nicht mehr zu gelten. Wohl gerade weil sich im Inneren die Brüche immer schärfer zeigen, sucht die Führung den chauvinistischen Auftritt vor der Haustür.

Xi träumt von nationaler Größe. Vielleicht sollte er bei seinen eigenen Propagandisten nachlesen. Eine Nation, die sich "den Schandflecken ihrer Vergangenheit" nicht stelle, hieß es in dem Xinhua-Kommentar, könne "weder sich selbst verstehen noch ihren Platz in der Welt finden".

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